AJ7X2779Seitenwahl 17Aug19Man reibt sich ganz allmählich die Augen: Nachdem Borussia Mönchengladbach am 7. Spieltag gegen den FC Augsburg gewonnen und die Tabellenführung erobert hatte, war es mehr oder weniger allgemeiner Konsens, dass das angesichts der geringen Punktabstände eine schöne Momentaufnahme ist, mit Blick durch die rosarote Borussenbrille verdient, ja sicher, aber genauso sicher nicht von Dauer (mancher nicht durch die Borussenbrille schauende, eher neutrale Beobachter mag sogar eher an einen glücklichen Zufall gedacht haben). Kamen doch nach Augsburg die richtig schweren Wochen: Fünf Spiele in den 14 Tagen zwischen dem 19. Oktober und dem 2. November, darunter zweimal Dortmund, der AS Rom, Frankfurt, Leverkusen – das war aus damaliger Sicht kein Programm, das eine Verteidigung der Tabellenführung zwingend nahelegt. Hinzu kamen die immensen Verletzungsprobleme, bis zu 11 Ausfälle, darunter mit Ginter, Jantschke, Plea, Kramer absolute Leistungsträger. Kurz gesagt: Stünde Gladbach heute Abend nach einem Unentschieden gegen Frankfurt und einer Niederlage in Leverkusen mit 5 Punkten weniger auf Platz 6 der Tabelle, hätte das niemanden wirklich gewundert und es hätte höchstwahrscheinlich auch kein Krisengerede – weder intern im Verein noch extern in der Presse – ausgelöst.

So ist es aber nicht gekommen. Warum also die Ausgangslage noch einmal aufwärmen? Na klar, um die unfassbar starke Leistung der Mannschaft in den vergangenen beiden Wochen noch einmal herauszuarbeiten. Wer diese letzten Spiele gesehen hat – einschließlich der beiden Niederlagen in Dortmund – kann sich nicht vorstellen, dass das dieselbe Mannschaft ist (heute standen mit Ausnahme von Thuram und Lainer nur Spieler auf dem Platz, die letztes Jahr auch schon da waren), die sich in der letzten Rückrunde zaghaft, willenlos, ohne Selbstvertrauen und ohne erkennbares Konzept auf einen Europa-League-Platz geschleppt hat.

Hier hat sich Fundamentales verändert, vor allem in den Köpfen der Spieler. Mit welchem Selbstvertrauen die Mannschaft mittlerweile auch in unangenehmen Situationen gegenhält, wie die Mannschaft gegen Gegner wie Dortmund, Leverkusen und Frankfurt aktiv agiert, das ist einfach nur gut und – um mal ein in den letzten Wochen überstrapaziertes Wort zu gebrauchen – ein Zeichen für einen gravierenden Mentalitätswandel. Schön zudem, dass dieser Wandel nicht in einen eher leichtathletischen Ansatz von Fußball mündet, in dem zuallererst und nahezu ausschließlich der Gegner bekämpft wird. Nein, die Mannschaft spielt Fußball und das phasenweise herausragend.  

Stand heute – und man sagt ja, dass nach dem 10. Spieltag der richtige Zeitpunkt für ein Zwischenfazit sei – darf sich Max Eberl beglückwünschen, einen Trainer geholt zu haben, dessen bis heute einzig erkennbares Defizit ist, Lokist zu sein.

Wäre man zu euphorisch, würde man jetzt schreiben dass diejenigen aus dem Süden der Republik, die nach eigener Auffassung ein Anrecht auf die Tabellenführung und den Titel haben, mittlerweile wohl darüber nachdenken müssten, Ferngläser für den Blick auf die Tabelle anzuschaffen … Da wir aber nicht zu euphorisch, sondern borussisch bescheiden sind, nehmen wir das heutige Ergebnis aus Frankfurt nur mit dem Hauch eines Lächelns zur Kenntnis, allerdings nicht mit Erstaunen, offenbart sich doch in diesem Ergebnis, mit welchem Realitätsverlust bzgl. der eigenen Stärke man in München in die Saison gegangen ist. Man stelle sich vor, Lewandowski würde sich verletzen …     

Beim Blick auf die anderen Spielstände des heutigen Tages musste Borussia Mönchengladbach kurzzeitig Angst um einen scheinbar für die Ewigkeit gemachten Rekord haben: Glücklicherweise hat es die BSG Getränkevertriebskombinat gegen Mainz bei acht Toren bewenden lassen, sodass das 12:0 aus dem Jahre 1978 weiter Bestand hat als höchster Bundesligasieg aller Zeiten.  Wäre auch schade gewesen, wenn dieser Rekord nach Salzburg gewandert wäre.    

 

Die SEITENWAHL-Einschätzung:

Christian Spoo: Meine Nerven! Die zweite Halbzeit sagte eine Stimme in meinem Kopf „gleich klingelt‘s“. Aber die Stimme hat keine Ahnung. Borussia 2019 kann auch solche Spiele. Wie schon vor Wochenfrist festgestellt: Das ist nicht mehr meine Borussia. Und das fühlt sich sehr sehr gut an.

Michael Heinen: Das System Rose greift immer besser, kostet aber auch enorm viel Kraft. Mit letzter von dieser kämpfte sich Borussia in Leverkusen über die Zeit und holte dadurch mal wieder einen Big Point. So langsam wird auch dem letzten Experten klar, dass Borussias Tabellenführung kein Zufall ist, sondern hochverdient.

Mike Lukanz: Man darf nicht vergessen, mit wem Borussia zu Spielbeginn NICHT angetreten ist. Es wird einem fast schon mulmig, daran zu denken, wenn alle Leistungsträger wieder zur Verfügung stehen. Es macht Spaß. Und es ist völlig in Ordnung, dass die Tabelle gerade so aussieht, wie sie aussieht.