Wie schnelllebig der Fußball sein kann, wissen Borussen-Fans schon lange. Selten trat es aber so brutal auf wie in der vergangenen Woche: Zwischen dem umjubelten Derbysieg in Köln und der historischen Blamage gegen Wolfsberg lagen gerade einmal fünf Tage. Ein rabenschwarzer Tag reichte aus, damit beinahe alles schon wieder in Frage gestellt wurde, was kurz zuvor noch als vielversprechende Zukunftsperspektive galt. Diese manchmal arg übertriebenen Stimmungsschwankungen darf man kritisch sehen. Es ist aber gut und wichtig, nach einer solchen Un-Leistung der Mannschaft wie am Donnerstag nicht direkt zur Tagesordnung überzugehen, sondern die Ursachen genau zu analysieren. Der letztlich glückliche, aber verdiente 2:1-Sieg über Fortuna Düsseldorf war ein wichtiger Schritt zur Wiedergutmachung. Es war aber auch an diesem Nachmittag noch lange nicht alles gut, sodass Marco Rose und sein Team weiter viel Arbeit vor der Brust haben, um ihren Weg nachhaltig fortzusetzen. 

Das Wort „Mentalität“ ist bei einigen Fußballprofis dieser Tage zwar verpönt. Es steht aber außer Frage, dass die Einstellung der Borussen-Profis an diesem Abend nicht allzu professionell war. Der individuell zweitklassig besetzte Gegner wurde ganz offensichtlich unterschätzt. Es war vorher bekannt, dass die Österreicher sehr aggressiv spielen, dass sie ihre Gegenspieler ständig doppeln und bemüht sein werden, ihre schnellen Stürmer einzusetzen. Es war vorher bekannt, dass Wolfsberg keine Mannschaft hat, die sich nur hinten reinstellen kann. Es war vorher bekannt, dass die Mannschaft torgefährliche Stürmer hat und zudem bei Standards gefährlich ist. Es war vorher bekannt, dass z. B. Leitgeb bereits im Vorjahr 6 Tore vornehmlich über Standards markiert hatte. Es war vorher bekannt, dass der Trainer im bisherigen Verlauf der österreichischen Ligasaison fast durchgehend auf dieselbe Stammelf gesetzt hatte und diese sich als sehr homogen und eingespielt erwiesen hat. Es war vorher bekannt, dass selbst der Wolfsberger AC höchst respektabel kicken kann und ein ernstzunehmender Gegner ist, der zuletzt Red Bull Salzburg des Öfteren zugesetzt hat. 

Das alles konnten Borussias Spieler vergangene Woche bei ihren sicherlich regelmäßigen Besuchen auf der Seitenwahl-Website nachlesen. Es wird ihnen aber noch viel eindringlicher von Marco Rose und von ihrem Teamkollegen Stefan Lainer eingetrichtert worden sein. Umso erschreckender, wie einfach die vorher bekannte Spielidee der Gäste aufging und wie wenig Borussia dem entgegenzusetzen hatte. So spannend und hilfreich all die taktischen Analysen zur Spielverlagerung und zu abkippenden 9ern sind. Fußball wird sehr viel mit dem Kopf entschieden. Und im Hinterkopf waren die Spieler dann doch überrascht, wie forsch der vermeintlich kleine Gegner auftrat und sich dann auch noch herausnahm, das Tor zu treffen. Und das sogar mehrfach, nämlich immer genau dann, als man gerade wieder etwas Hoffnung hatte, Borussia könne vielleicht doch noch einmal ins Spiel zurückfinden. Die Chancen, die Blamage abzuwenden, waren nicht allzu zahlreich, wurden dann aber mal wieder durch die bewährte Ineffizienz zunichte gemacht. So fiel es mit zunehmendem Spielverlauf immer schwerer, den Schalter doch noch einmal umzulegen. 

Es gibt solche Tage, an denen bei der einen Mannschaft alles schiefgeht und der anderen alles gelingt. So extrem wie an diesem Abend ist es selbst in Borussias langer Geschichte selten aufgetreten. Aber entscheidend ist, wie eine Mannschaft damit umgeht. Wie schon in den beiden letzten Jahren folgte der jeweils schwächsten Saisonleistung (jeweils deftige Pleiten gegen Leverkusen) ein Aufeinandertreffen mit Fortuna Düsseldorf. Und wie schon in den beiden letzten Jahren erwies sich der Lokalrivale als dankbarer Aufbaugegner. 

Dabei sah es lange Zeit nicht danach aus. Wie nicht anders zu erwarten, stellte Friedhelm Funkel seine Mannen genauso forsch auf die Partie ein wie es Wolfsberg vorgemacht hatte. Die Aggressivität des Gegners war genau das richtige – oder je nach Sichtweise falsche – Mittel für die verständliche Verunsicherung der Borussen. In den ersten 10 Minuten knüpfte Gladbach daher an die „Leistung“ vom Donnerstag an und kassierte folgerichtig erneut das 0:1. Die Abwehr agierte in dieser Phase vogelwild, das Mittelfeld ideenlos, der Angriff ineffizient. 

Nach 10-15 Minuten kam die Mannschaft langsam besser ins Spiel und schüttelte so die Unsicherheit etwas ab. Dies ist aller Ehren wert und spricht dann doch wieder für die Einstellung oder auch Mentalität der Mannschaft. So richtig überzeugend war der Auftritt aber bis weit in die 2. Hälfte hinein nicht. Zwischenzeitlich bekam man das Gefühl, die Mannschaft könne fünf Stunden spielen, ohne das Tor zu treffen. Erst die Hereinnahme von Thuram verhinderte dies und sorgte für das wichtige Happy End. Der junge Franzose hatte in den letzten Wochen viele Einsätze, benötigt aber noch Pausen, sodass es plausibel war, ihn zunächst auf der Bank zu belassen. Welche Zukunft vor ihm liegen könnte, deuteten nicht nur seine beiden Treffer an, sondern auch diverse Dribblings, mit denen er die Düsseldorfer ziemlich alt aussehen ließ.

Aber auch Benes und Neuhaus steigerten sich im Spielverlauf und boten beide eine gute Leistung auf den Halbpositionen. Breel Embolo war erneut kampfstark, wenngleich im Abschluss etwas unglücklich. Am zweiten Treffer war zudem Raffael beteiligt, den nicht wenige Fans gerne häufiger auf dem Feld sehen würden. Technisch ist er immer noch eine Augenweide und welcher Fußballliebhaber würde ihn nicht gerne möglichst immer Fußball zelebrieren sehen? Ein verantwortlicher Trainer kann sich solche Sentimentalitäten leider nicht leisten, sondern muss die Fakten betrachten. Und die besagen, dass Raffael inzwischen 34 Jahre alt ist und in den letzten Jahren oft verletzt war, sodass es bei ihm offensichtlich nur noch für eine Rolle als Edeljoker reicht. Dies hat er inzwischen sogar selbst eingesehen, wie er öffentlich kundgetan hat. Die Frage kann also lediglich sein, wie früh er eingewechselt werden sollte. Rose entscheidet sich hier meist für eine relativ späte Lösung, was an diesem Sonntag soeben noch einmal reichte.

Es reichte u. a. deshalb, weil der so oft gescholtene VAR eingriff und das korrekt erzielte 2:1 rettete. Auch wenn gute VAR-Entscheidungen von der Öffentlichkeit meist als selbstverständlich angesehen werden, zeigte sich einmal mehr, wie unverzichtbar das System ist. Unverständlich war dagegen, warum es in Halbzeit 1 so lange dauerte, Embolos Abseitsstellung aufzuklären. Nach zwei Jahren VAR-Erfahrung muss so eine Szene innerhalb kürzester Zeit im Kölner Keller eindeutig entschieden werden. Aber bei allem berechtigten Ärger über solche Umsetzungsprobleme: Solange Menschen Entscheidungen treffen – ob auf dem Feld oder vor dem Fernseher, werden Fehler passieren. In dieser Szene agierte das Schiedsrichter-Team ähnlich schwach wie Borussia letzten Donnerstag. Beim 2:1 war der Einsatz der Technik dann allerdings vorbildlich und rettete die Schiedsrichter und Borussia vor einem folgenschweren Fehler. 

So wichtig dieser Sieg war: Er reicht lange nicht aus, um sich jetzt zurückzulehnen und zu glauben, dass damit alles wieder gut ist. Ein 5. Platz mit 10 Punkten kann trügerisch wirken. Die Mannschaft hat leider oft genug bewiesen, dass sie zur Selbstgefälligkeit neigt. Der Auftritt vom Donnerstag sollte zumindest so lange nachwirken, damit dies in den kommenden Wochen und Monaten nicht mehr Einzug hält. Wenn dies gelingt, dann ist übrigens selbst in der Europa League noch nichts verloren. Das Rückspiel in Wolfsberg wird gewonnen werden müssen und dann braucht die Mannschaft „nur noch“ einen weiteren Zähler mehr als die Österreicher. Ärgerlich ist, dass durch das Resultat vom Donnerstag eine Schonung einzelner Spiele in den nächsten Partien schwieriger wird. Rose wird klug rotieren müssen, um die Belastung gut zu steuern.

Trotz der ersten englischen Woche und der schwierigen psychologischen Situation konnte die Mannschaft gegen Düsseldorf zum Ende noch zulegen, was dafür spricht, dass es in Sachen Fitness bergauf geht. Es wird aber schwer, diesen 100 % Volley-Fußball über die ganze Saison mit Dreifachbelastung durchzuhalten. Eine weitere Lehre aus der schwierigen Woche ist allerdings: Egal gegen welchen Gegner Borussia spielt: Sie kann nur gewinnen, wenn sie stets 100 % bringt. 

Es ist immer legitim, sich über die Spielweise und das System der Mannschaft Gedanken zu machen und ggf. kritisch zu äußern. Borussia hat in den letzten Jahren gewisse Leitplanken vorgegeben und stets beteuert, diese sollen das Basisgerüst für die Zukunft des Vereins sein – unabhängig von den handelnden Personen. Es darf schon kritisch hinterfragt werden, ob diese Leitplanken jetzt nicht doch allzu sehr einem Trainer angepasst wurden, der eine in den letzten Jahren aufgebaute Spielphilosophie innerhalb kurzer Zeit komplett umkrempelt. Von seinem Anspruch, sein System zu kombinieren mit den bisherigen Stärken, ist bislang noch wenig zu sehen. Borussia spielt überwiegend ihr neues kampf- und laufstarkes Pressingspiel und setzt sehr wenig auf einen spielerischen Plan B. Gerade in Spielen wie zuletzt, in denen sie klarer Favorit ist und der Gegner kompakt verteidigt, tut sie sich damit extrem schwer. Nur mit Kampf und Laufen wird es auf Dauer schwierig, in der Bundesliga auf ganz hohem Niveau mitzuhalten. Dies umso mehr, wenn die Stürmer weiter so schlampig mit ihren zahlreichen Torchancen umgehen.

Aber es ist ebenfalls klar, dass sich Borussia bewusst für Marco Rose und damit auch für seine Art Fußball zu denken, entschieden hat. Max Eberl hat ein sehr dickes Fell – und dies in diesem Fall vollkommen zurecht – sodass er selbst kritische Stimmen im Umfeld gekonnt wird ignorieren können, wenn es nötig ist. Schon allein aufgrund der immensen Fallhöhe war es absehbar, dass Rose nicht ganz ohne solche Diskussionen durch seine erste Saison als Bundesliga-Trainer gehen würde. Es war aber von Anfang an ebenso klar, dass Eberl aus sportlichen Gründen in diesem Jahr niemals ernsthaft über den Trainer nachdenken würde. Das wäre extrem inkonsequent und würde seinem Credo von der Kontinuität widersprechen. 

Konstruktiv kritische Anmerkungen müssen dennoch erlaubt sein und es ist davon auszugehen, dass auch Rose selbst sich und die Entwicklungen der letzten Woche kritisch hinterfragen wird. Der 2:1-Erfolg bietet ihm immerhin etwas mehr Ruhe dazu und beendet zudem das leidige Thema der Heimschwäche, die sich zu weiten Teilen auf die desolate Rückrunde der Vorsaison bezieht. In dieser Saison ist die Mannschaft punktemäßig im Soll, wenngleich leistungsmäßig noch mit Steigerungsmöglichkeiten. Schon in der nächsten englischen Woche kann sich aber erneut zeigen, wie schnelllebig der Fußball sein kann. Wollen wir hoffen, dass schon nach der nächsten englischen Woche und den Spielen gegen Hoffenheim, Basaksehir und Augsburg die Peinlichkeit der vergangenen Woche nur noch die Geschichtsbücher belasten wird.

Seitenwahl-Einschätzung

Mike Lukanz: „Es gibt hier zwei Lesarten. Der Nörgler in mir denkt, dass es bedenklich ist, mit welch einfachen Mitteln ein Gegner Borussia nerven und beschäftigen kann. Der Optimist in mir sieht, dass die Klatsche gegen Wolfsberg Spuren hinterlassen hat, dass am Ende aber eine Willensleistung gereicht hat, das zweite Derby in Folge zu gewinnen und dass 10 Punkte sehr, sehr ordentlich sind.“ 

Christian Spoo: „Drei Halbzeiten in dieser Saison gaben einem eine Idee davon, was Marco Rose vorhaben könnte. Die beiden letzten Partien allerdings brachten die unerwünschte Renaissance von etwas, das böse Zungen wie meine eher Frontzeck-Fußball nennen würden: viel Unsicherheit, wenig Zugriff, geringes Selbstvertrauen. Schön, dass sie es trotzdem noch gedreht haben.“

Thomas Häcki: „Der Wille ist da, alleine die Leichtigkeit fehlt. 10 Punkte aus 5 Spielen sind zwar erfreulich, doch hat sich die Mannschaft bislang auch immer schwer getan. Effizienz und Kreativität vor dem Tor sind dringend gesucht.“

Claus-Dieter Mayer: „Eine Spitzenmannschaft gewinnt auch solche Spiele. Deshalb ist aber eine Mannschaft, die so gewinnt, noch lange keine Spitzenmannschaft (Logik für Anfänger mit Borussia, Teil 1). Wichtig war´s trotzdem.“