Die meisten rieben sich verwundert die Augen. Anerkennendes Nicken auch vom Gegner. 58.600 Zuschauer waren grade Zeuge einer Gala-Vorstellung geworden. Einer Demonstration der Spielstärke. Der Gast vom Niederrhein hatte grade den Hauptstädtern deutlich seine Grenzen aufgezeigt und mit einem in der Höhe verdienten 4:1 den höchsten Sieg in Berlin nach Hause gebracht. Das war nicht unbedingt erwartet wurden. Denn die Hertha war erstaunlich stark in die Saison gestartet. Statt Abstiegskampf fand man sich vor dieser denkwürdigen Partie auf dem fünften Tabellenplatz wieder. Verdient, dank der drittbesten Defensive. Und nun bekam man von den spielfreudigen Fohlen vier Tore eingeschenkt, doppelt so viele wie in den Heimspielen zuvor. Hätte man nach dem Spiel das Lied der Wahl-Berlinerin Hildegard Knef „Von nun an ging's bergab“ gespielt, der Beobachter hätte es sicherlich auf die Heimmannschaft bezogen. Keinesfalls auf den wieder erstarkten Gast aus Mönchengladbach.

 Fast genau ein Jahr später reist die Borussia wieder in die Hauptstadt. Das sie erneut eine solche Vorstellung abliefern wird, glauben mittlerweile nur noch die größten Optimisten. Zu deutlich ist der spielerische Verfall fortgeschritten und die Gäste finden sich mittlerweile völlig zu Recht im Mittelfeld der Bundesliga wieder. Was damals niemand ahnte: Der Auftritt in Berlin war der Abschluss der fulminanten Aufholjagd, welche die Borussen unter Interimstrainer André Schubert gestartet hatten. Eine Woche später sollte die Siegesserie von Ingolstadt durchbrochen werden, was weniger dramatisch war. Katastrophal ist hingegen seitdem die Auswärtsbilanz. In den folgenden 15 Auswärtsspielen konnte man nur noch einmal gewinnen. Am letzten Spieltag in Darmstadt, wo nach dem überraschenden Klassenerhalt das letzte Heimspiel zur Feier umfunktioniert wurde. Dem stehen zehn! Niederlagen gegenüber, bei nunmehr 14:32 Toren. Hatte man am Anfang die meisten Spiele unglücklich oder wenigstens knapp verloren, mutieren die Fohlen mittlerweile auf des Gegners Platz zu Ackergäulen, die ein williges Schlachtopfer darstellen. Egal ob Absteiger (Hannover), krisengeschüttelt (Schalke) oder mit halber Kraft spielend (München), stellt man die Heimmannschaften vor lösbare Aufgaben. Auswärts passt der Titel der Knef wie die Faust aufs Auge.

Das Ganze war solange verkraftbar, wie die Mönchengladbach im heimischen Stadion ein anderes Gesicht zeigte und den Gegner reihenweise an die Wand spielte. Doch auch dieser Nimbus ist mittlerweile durchbrochen. Gegen den akut krisengeschüttelten HSV gelang trotz einer fast einstündigen zahlenmäßigen Überlegenheit kein Tor. Ebenso wenig gegen Frankfurt, die von einer ideenlosen Offensive vor keine ernsthaften Probleme gestellt wurden. Zuletzt entführte Celtic Glasgow einen verdiente Punkt aus dem Borussen Park. Bei allem Respekt vor dem großen Namen dürfte deren Spielstärke eher im unterklassigen Segment anzusiedeln sein. Dabei hatte es zum Saisonbeginn noch ganz anders ausgesehen. Spielstarke Leverkusener wurden niedergekämpft und Young Boys Bern förmlich aus dem Stadion gewirbelt. Die Borussia schien auch mit neuem personellem Gewand dort weiter zu machen, wo sie in der vergangenen Spielzeit aufgehört hatten. Von nun an ging's bergab. Natürlich sind solche Auftritte wie gegen Bern nicht beliebig wiederholbar. Auffällig ist jedoch, wie sich die Borussen damals und heute präsentieren. Wo vorher Esprit und Spielfreude waren, herrscht heute Verunsicherung und Konzeptlosigkeit. Vieles wirkt mittlerweile zufällig, so als wüsste kaum jemand, welche Rolle im zugedacht ist. Vieles erklärt man mit der Abwesenheit von Kreativspielern wie Hazard und Raffael. Das erklärt allerdings nicht, warum sich mittlerweile fast alle anderen Basisspieler weit unter ihrem Leistungsvermögen befinden. Borussias Erfolg hängt vom Zusammenspiel der Mannschaft ab und nicht von einzelnen Spielern.

Was unterscheidet Gladbach von der Hertha? Die Berliner liegen wie im vergangenen Jahr auf dem fünften Platz und bilden zu Hause mit einer lupenreinen Weste von vier Erfolgen in vier Spielen eine kleine Macht. Dieser Erfolg ist mitnichten zufällig. Die Hertha verfügt über ein klares Konzept und einem Trainer, der dieses umzusetzen und der Mannschaft zu vermitteln versteht. Auf Experimente verzichtet Pal Dardai weitestgehend und der Erfolg gibt ihm recht. Von nun an ging's bergab prophezeiten viele, als die Berliner lange auf Champions League-Kurs waren, um dann zum Saisonende einzubrechen. Sie wurden eines besseren belehrt. Gerne wird am Niederrhein über die Verletztenmisere lamentiert. Bei der Hertha sieht es allerdings keineswegs besser aus. Langkamp, Plattenhardt, Darida oder Duda sind Basisspieler in Dardais System, zuletzt fiel auch noch Stocker rotgesperrt aus. Angesichts es deutlich qualitativ dünner besetzten Kaders sind diese Ausfälle deutlich schwerer zu kompensieren. Trotzdem musste man sich bislang nur in München deutlich beugen, auch wenn es am vergangenen Wochenende in Hoffenheim mit 0:1 die zweite Niederlage setzte. Die Hertha spielt kompakt. Das ist selten spektakulär aber höchst effizient und erfolgreich.

Die Mannschaft ist der Star bei den Berlinern. Dies ist umso erstaunlicher, weil die alte Dame grade in der Vergangenheit immer wieder durch Eskapaden einzelner Leistungsträger auffiel, was letztendlich zu ihrem Niedergang beitrug. Pal Dardai ist sich der qualitativen Grenzen seines Kaders bewusst und stellt die Mannschaft über allem. Dabei gelang es ihm sogar, eher extravagante Persönlichkeiten wie Kalou erfolgreich einzubinden. Rein vom Papier spielt die Hertha über ihren Möglichkeiten, dies allerdings wiederholt. Im Ergebnis ist die Mannschaft stärker, als die Summe der Einzelspieler und bildet damit einen Kontrast zum Gast aus Mönchengladbach. Hier hat man mittlerweile das Gefühl, dass das Potential des Kaders nicht annähernd abgerufen wird. Dabei sind es die noch die Neuzugänge, die die beste Leistung abliefern. Kramer kämpft solide, Vestergaard findet sich immer besser zurecht und Strobl fungiert mittlerweile als Überraschungstransfer. Es sind die Etablierten, die ratlos scheinen und oft mit langen, planlosen Bällen das zu erzwingen suchen, wo vorher mit gepflegten Kurzpassspiel Dominanz versprüht wurde. Die Zeichen haben sich also seit dem letzten Besuch in der Hauptstadt deutlich verändert. Vieles spricht dafür, dass es diesmal für den Gastgeber rote Rosen regnen wird.



Hertha: Jarstein - Pekarik, Stark, Brooks, Mittelstädt - Skjelbred, Lustenberger - Weiser, Kalou, Haraguchi – Ibisevic

Borussia: Sommer – Jantschke, Elvedi, Vestergaard, Wendt – Strobl, Kramer – Johnson, Stindl, Hazard - Raffael

 

Tipps:

Thomas Häcki : Heimstärke gegen Auswärtsschwäche. Lauf gegen Krise.Konzept gegen Konzeptlosigkeit. Der Hertha genügt eine durchschnittliche Leistung um einen sicheren 2:0 Erfolg zu erreichen. Ich würde mich gerne eines Besseren belehren lassen.

Michael Heinen: In Berlin wird es schwer. Leider setzt sich die Hertha mit 2:1 durch.

Claus-Dieter Mayer: Ein langweiliges 0:0 bringt die Brussia nicht weiter.

Christian Spoo: Raffael hin, Hazard her: Die Borussia ist verunsichert. Die 1:3 Niederlage in Berlin macht das nicht besser.

Christoph Clausen: Es gab Zeiten, da demonstrierte Borussia wie ein Kader über seinen Möglichkeiten spielen kann, wenn ein klar etabliertes Spielkonzept Struktur und Sicherheit gibt. In Berlin zeigen die Gladbacher erneut das Gegenteil. Die Psychologie des Auswärtsspiels und die Formstärke des Gegners kommen hinzu. Am Ende heißt es 3:1 für die Hertha.