Man konnte Schlimmes erahnen. Rudi Völler, Sportchef bei Bayer Leverkusen, diskutierte zur Halbzeit bereits eifrig. Einen erhöhten Diskussionsbedarf hätte er auch nach dem Spiel haben können.Ja, der Ball lag vor Kramers Freistoß nicht ruhig. Ja, Lars Stindl stand vor dem Siegtreffer minimal im Abseits. Allerdings hat auch niemand Kampl verboten, den Freistoß zu behindern. Hätte Tah nicht den mit seinem Kopfball Mitspieler Toprak düpiert, wäre Hahn gar nicht erst in Schussposition gekommen. Und natürlich war da auch die strittige Entscheidung nach Foul an Johnson, als der Elfmeterpfiff ausblieb. Hätte, wenn und aber. Natürlich ist Rudi Völler viel zu erfahren, um nicht alle diese Dinge selbst gesehen zu haben. Deshalb blieb der befürchtete Sturm im Wasserglas auch sinnvollerweise aus.

 Drei Szenen sorgten also für die vermeindlichen Aufreger im vielbeachteten Topspiel des ersten Spieltages. Sie als Aufreger zu nutzen, ist allerdings weit hergeholt. Alle drei Entscheidungen waren knapp. Und wo dem im Sessel räkelnden Fußballfan 3D-Analysen und Superzeitlupen angeboten werden, hat der Schiedsrichter lediglich sein eigenes Ermessen. Legt man die biologischen und physikalischen Grenzen zu Grunde, die der Mensch nun mal unterliegt, machen Schiedsrichter übrigens erstaunlich wenig Fehler. Zumindest weniger, als statistisch erwartet werden dürfte. Dies kann durch Erfahrung erklärt werden und genau deshalb gibt es auch so etwas wie eine Rangliste für Schiedsrichter. Natürlich unterlaufen den Unparteiischen auch immer mal wieder krasse Fehlentscheidungen, die dann zu Recht als Diskussionsstoff taugen. Die drei Entscheidungen am Samstag Abend gehören aber nicht dazu. Was übrig blieb war ein Spitzenspiel, welches seinen Namen in allen Belangen verdient hatte.

Das es überhaupt ein Spitzenspiel wurde lag an den teilnehmenden Mannschaften. Beide begnügten sich nicht mit einem taktisch akzeptablen Unentschieden, sondern spielten auf Sieg. So sicherte Leverkusen nach dem späten Ausgleichstreffer nicht den Punkt, sondern versuchte noch den Erfolg zu erreichen. Beim Ausgleichstreffer stand die Abwehr sehr hoch, was schließlich von der Borussia eiskalt genutzt wurde.Ausschlaggebend hierfür ist die Qualität. Die Gastgeber konnten es sich erlauben, den am Mittwoch noch stark aufspielenden Hazard auf der Bank zu lassen. Sein Pass nach der Einwechslung brachte die Entscheidung. Umgekehrt ist auch die Qualität der Werkself beachtenswert. Wer Brandt und Mehmedi von der Bank bringen kann, verfügt eindeutig über eine breit gestreute Qualität im Kader. Als man dann für den verletzten Aranguiz mit Pohjanpalo einen weiteren Stürmer brachte, war dies vielleicht zu viel des Guten. Zwar traf der Finne kurz nach seiner Einwechslung zum Ausgleich, Mit Bellarabi, Kampl, Mehmedi, Brandt und eben Pohjanpalu waren fünf Offensivkräfte auf dem Feld. Mut wird eben nicht immer belohnt.

Die Borussia wiederum hat die Qualität, dies auszunutzen. Dies zeigt sich schon in dem enormen Selbstbewusstsein, sich von dem späten Ausgleich nicht beeindrucken zu lassen und weiterhin geduldig auf seine Chancen zu warten. Dies zeigt sich darin, dass die strategisch wichtige Position im defensiven Mittelfeld komplett neu besetzt ist, ohne dass in diesen Tagen ein Qualitätsverlust deutlich wird. Bemerkenswert ist z. B. Der am wenigsten beachtete Neuzugang Strobl, der in allen Partien eine grundsolide Leistung erbrachte und sich nahtlos in das Team eingefügt hat. Gladbach kann rotieren, ohne merklich an Qualität einzubüßen. Eine Fähigkeit, die bislang nur Bayern, Dortmund, Leverkusen, Wolfsburg und mit Abstrichen Schalke haben. Deshalb ist dieser Sieg gegen einen direkten Konkurrenten hoch zu bewerten. Natürlich ist die Saison noch lang. Natürlich wird die derzeitige Form nicht in allen 33 folgenden Spielen abrufbar sein. Natürlich werden auch noch schwache Leistungen folgen. Die Leistung am Samstag war aber dennoch ein frühes und dickes Ausrufezeichen bzgl. der Europapokal-Ambitionen von Borussia Mönchengladbach.Max Eberls Konzept, Schritt für Schritt besser zu werden hat weiterhin Bestand.