Mit großer Vorfreude erwarten Borussia und ihre Fans die beginnende Saison 2016/17, die gleich zum Start eine der wichtigsten Partien bereithält. In den beiden Spielen gegen Young Boys Bern entscheidet sich, ob die vergangene Spielzeit eine gute oder erneut eine überragende gewesen ist. Zur detaillierten Einschätzung des Gegners lese man unser ausführliches Portrait. Aber bei aller Wertschätzung für die Young Boys, die mit Shakthar Donezk schon ein internationales Schwergewicht ausgeschaltet haben: Alles andere als der Einzug in die Champions League-Gruppenphase wäre für Borussia eine herbe Enttäuschung, die den Verein ca. 15 wichtige Millionen kosten und den streitbaren Trainer früh unter Druck setzen würde.

Besserer Start wird benötigt

Im vergangenen Jahr zeichneten die Borussen sich nicht unbedingt als Frühstarter aus. Lucien Favre fand in sechs Pflichtspielen nicht die richtige Mischung und gab nach 5 Niederlagen in Folge entnervt auf. Auch in die Rückrunde startete die Mannschaft holprig mit drei Niederlagen aus den ersten vier Partien.

Nach dem Abgang von vier Führungsspielern, von denen mit Xhaka und Nordtveit zwei in der vergangenen Rückrunde sportlich eine wesentliche Rolle gespielt haben, gilt es diesen Sommer einmal mehr, neue Mechanismen zu entwickeln, was diesmal hoffentlich schneller gelingt. Einen festen Stamm wird es dabei kaum geben. Die Mittelachse sollte mit Sommer, Christensen, Kramer und Raffael weitgehend gesetzt sein. Daneben tummelt sich aber eine Vielzahl von rund 15 weiteren Spielern auf ähnlich hohem Niveau, aus denen Schubert jeweils die passenden 7 auszuwählen hat. So nahm der Trainer den einzigen echten Härtetest in der Vorbereitung am vergangenen Samstag gar nicht erst zum Anlass, eine Stammelf einzuspielen, sondern er rotierte kräftig durch. Was u. a. den Vorteil hat, dass der Gegner ebenso wenig wie der Schreiber dieses Vorberichts erahnen kann, welche Elf schlussendlich auf dem Platz stehen wird.

Fragezeichen für die Startelf

Dies umso weniger, als dass hinter einigen Akteuren noch ein Fragezeichen steht. Mo Dahoud und Lars Stindl wurden gegen Lazio wegen einer leichten Erkrankung geschont. Sollte diese bis Dienstag abgeklungen sein, sollten sie am Dienstag im zentralen Mittelfeld zum Einsatz kommen. Jonas Hofmann und Thorgan Hazard wären logische Kandidaten, um sie andernfalls zu ersetzen. Der Ex-Dortmunder ging wiederum genau wie Strobl mit Blessuren aus dem Testspiel heraus, so dass auch sein Einsatz noch ungewiss ist.

Gute Aussichten gibt es hingegen bei Yann Sommer, der rechtzeitig zu seinem „Heimspiel“ in der Schweiz wieder fit geworden ist. Vor ihm ist allein Andreas Christensen in der zu erwartenden Dreierkette gesetzt. Jantschke, Vestergaard, Strobl und Elvedi heißen die Kandidaten für die beiden verbleibenden Plätze. Nicht minder unspannend wird es auf den offensiven Außenbahnen, wo sich Patrick Herrmann und Ibrahima Traoré ein enges Kopf an Kopf-Rennen um den Platz auf der rechten Seite liefern. In Schuberts 3-5-2-System wird ihnen eine etwas defensivere Rolle abverlangt. Das nach hinten arbeiten wurde ihnen in den letzten Jahren aber bereits von Favre eingebläut und beide haben unter dessen Ägide deutliche Fortschritte in diesem Bereich gemacht. Auf links sollte Oscar Wendt gegenüber Fabian Johnson in der Pole Position sein.

Ein unbequemer Gegner

Die Optionen sind aber zu vielfältig, um sie alle aufzuzählen. Wichtiger als die Aufstellung wird ohnehin die Einstellung sein, denn es wäre verheerend, den international eher unscheinbaren Gegner aus der „kleinen“ Schweiz in irgendeiner Form zu unterschätzen. Die Berner hätten gut und gerne die Qualität in der Bundesliga mitzuhalten und werden bis in die Haarspitzen motiviert sein, um sich den großen Traum von der europäischen Königsklasse zu erfüllen. Schon jetzt ist das Erreichen der Play-Offs ein Riesen-Erfolg. Da in der Liga zudem schon nach vier Spieltagen absehbar ist, dass die Meisterschaft einmal mehr nach Basel gehen wird, kann der Verein faktisch nur in den Pokalwettbewerben punkten – so paradox sich dies anhört.

Im Schweizer Cup machten sie hierzu am vergangenen Wochenende den ersten Schritt, als sie den sechstklassigen SC Veltheim ohne Probleme mit 6:0 abfertigten. Wie nicht anders zu erwarten schonte Trainer Hütter einige seiner besten Spieler für die Partie am Dienstag. Nach zuletzt vier englischen Wochen in Folge sind die Berner nämlich in einer gänzlich anderen Situation als Borussia. Ihnen könnte eher zu viel Spielpraxis gefährlich werden, denn der Kräfteverschleiß war zuletzt gegen die starken Gegner aus Donezk und Basel unübersehbar.

Bern zuletzt mit Höhen und Tiefen

Während es gegen die Ukrainer mit einem Kraftakt in der Verlängerung und im Elfmeterschießen noch zum Weiterkommen reichte, zeigte ihnen der FC Basel am vergangenen Mittwoch die Grenzen auf. Dies weniger spielerisch, denn insgesamt war es ein Duell auf Augenhöhe, das die Young Boys über 55 Minuten lang sogar überlegen gestalteten. Nachdem die Gastgeber mit etwas FCB-Dusel und günstigen Schiedsrichterentscheidungen solange das 0:0 halten konnten, schlugen sie danach eiskalt und hoch effizient zu und sorgten am Ende mit einem 3:0-Erfolg doch noch für klare Verhältnisse und einen 6-Punkte- sowie 11-Tore-Vorsprung vor dem ärgsten Rivalen in der Tabelle.

Für Borussia boten insbesondere die jüngsten Partien gegen Donezk und Basel interessantes Anschauungsmaterial. Zum einen konnte man erkennen, dass Bern auch mit Teams auf diesem Niveau mithalten kann und sich somit ebenfalls vor Borussia nicht zu verstecken braucht. Andererseits wurden aber gerade die Probleme in der ersatzgeschwächten Defensive offengelegt. Die Ukrainer hätten schon das Hinspiel deutlich höher als nur 2:0 für sich entscheiden müssen. Gelingt es Borussia, die eigene Offensivmaschinerie in Gang zu setzen, so könnte auch schon in Bern ein komfortabler Auswärtssieg möglich sein.

Offene Systemfrage durch einige Ausfälle

Vor diesem Hintergrund wird spannend zu sehen sein, wie Trainer Adi Hütter seine Mannschaft ins Rennen schickt. Normalerweise spielt er in einem 4-4-2-System mit einer hängenden Spitze hinter Torjäger Hoarau. Obwohl zuletzt der junge Neuzugang Michael Frey häufiger zum Einsatz kam, bietet sich der Japaner Kubo an, der mit den beiden Toren im Rückspiel gegen Donezk zum Europacup-Helden aufstieg.

In Basel erprobte Hütter nun allerdings mal wieder ein interessantes 3-5-2-System, das zumindest in der ersten Halbzeit gut funktionierte. Dies war aber insbesondere dem Ausfall von Abwehrchef Steve von Bergen geschuldet, der auch im Pokal weiter geschont wurde. Sollte er Dienstag immer noch nicht fit sein, so stünde der junge Gregory Wüthrich Gewehr bei Fuß. Da mit dem nach Ingolstadt abgewanderten Hadergjonaj, Joss und Benito weitere Defensivakteure nicht zur Verfügung stehen, ist die Personaldecke relativ dünn. Die Viererkette genügt insgesamt keinen höheren internationalen Ansprüchen und kann als Schwachpunkt ausgemacht werden. Dies gilt ganz und gar nicht für den Torhüter, denn Yvon Mvogo ist einer der stärksten Keeper der Schweizer Liga. Auch im defensiven Mittelfeld verfügen die Berner eigentlich über hohe Qualität. Mit Sekou Sanogo fällt aber eine Kampfmaschine für beide Play-Off-Partien aus. Neben-6er Denis Zakaria hat sogar noch größeres Talent und war nicht ohne Grund mit 19 bereits bei der EM mit dabei. In Veltheim kam er zu seinen ersten 25 Spielminuten in dieser Saison, nachdem er die ersten Partien mit Knöchelverletzung verpasst hatte. Ob dies ausreicht, um ihn am Dienstag direkt in die Startelf zu berufen, ist fraglich. Neben Bertone würde ansonsten der Serbe Milan Gajic auflaufen. In dieser Besetzung wäre aber auch das defensive Mittelfeld eher unterdurchschnittlich aufgestellt.

Was für Bern spricht

Neben einem fitten Zakaria wären ansonsten die Offensivakteure der Berner zu beachten. Sulejmani ist ein brillanter Techniker, der schon in der Vorbereitung Borussias Hintermannschaft diverse Probleme bereitete. Der Franzose Guillaume Hoarau ist zwar mit seinen 32 schon etwas in die Jahre gekommen, aber immer noch ein Knipser, der nicht viele Chancen benötigt.

Diese Offensivstärke verbunden mit den Pluspunkten einer bereits eingespielten Mannschaft, die auf ihrem heimischen Kunstrasen vor dem Spiel des Jahres steht, macht die Partie für Borussia gefährlich. Die Elf von André Schubert wird sich dieses Jahr keine Anfangsschwäche leisten können, um gegen diesen Gegner zu bestehen. Ruft sie aber ihre Normalform ab, so sollte es keines Wunders bedürfen, um im Wankdorfstadion ein gutes Ergebnis einzufahren.

Bern: Mvogo – Sutter, Vilotic, van Bergen (Wüthrich), Lecjaks – Ravet, Bertone, Zakaria, Sulejmani – Kubo, Hoarau

Borussia: Sommer – Jantschke, Christensen, Vestergaard – Herrmann, Kramer, Dahoud, Stindl, Wendt – Raffael, Hahn

SEITENWAHL-Tipps

Michael Heinen: Es ist schwer vorherzusehen, wie sich Borussia im ersten Pflichtspiel dieser Saison präsentiert. Ich bin aber Optimist und glaube an einen 2:1-Auswärtserfolg.

Claus-Dieter Mayer: „Nach leichten Anlaufschwierigkeiten kommt die Borussen-Offensive zu flüssigen Kombinationen und letztendlich auch zu Toren. Leider erlauben Abstimmungsproblem in der Defensive den Schweizern ebenfalls einige Chancen, so dass man am Ende mit einem 2:2 nur mit einem Dreiviertel-Bein in der Gruppenphase ist.“

Christian Spoo: „Borussia tut sich auf dem ungewohnten Belag gegen die jungen Jungs schwer. Nach dem 1:1 gibt es aber noch alle Chancen für das Rückspiel im Borussia-Park.“

Christian Heimanns: „Es holpert und knirscht und läuft noch nicht so richtig rund und reicht doch zu einem 2:1 Sieg der Borussen in Neuwankdorf.“

Christoph Clausen: „Weniger Wechsel als gegen Rom, aber die zweite Nullnummer binnen einer halben Woche. Borussia steht defensiv viel besser als beim 3:3 gegen den gleichen Gegner in der Vorbereitung. Ansprechende Ansätze im Spiel nach vorn verhaken sich aber auf dem ungewohnten Kunstrasen. Mit Spannung erwarten wir das Rückspiel.“

Thomas Häcki: „Ein unterhaltsames 2:2 zeigt noch viel Luft nach oben, reißt aber die Tür zur Champions League weit auf.“

Volkhard Patten: "Wir siegen vor 8000 weißgekleideten Borussen mit 4:0 und bereiten uns eine Woche lang auf die Party des Jahres vor."