Trotz Champions-League-Halbfinals und des bevorstehenden Meisterschaft-Matchballs gegen den Angstgegner. Die Schlagzeilen dieser Woche gehörten dem bevorstehenden Wechsel von Mats Hummels zum FC Bayern München. Der BVB und die ihm arg wohlgesonnenen Medien schlachten das Thema dieser Tage genüsslich aus und nehmen es zum Anlass, den Untergang des Fußballs heraufzubeschwören. Bei näherer Betrachtung erweist sich dies allerdings als scheinheilige Dramatisierung eines mittlerweile alltäglichen Vorgangs.

Es ist keine große Neuigkeit, dass der FC Bayern über die meisten Geldmittel in der Liga verfügt. Ihr Umsatz liegt ungefähr doppelt so hoch wie beim BVB und sogar fast fünfmal so hoch wie bei Borussia. Die Abstände bei den Verdienstmöglichkeiten sind ähnlich gelagert und auch wenn einige Profis immer wieder andere Gründe für einen Wechsel zum Ligaprimus anführen: Monetäre Anreize spielen bei jeder Wechselentscheidung eine nicht unwesentliche Rolle. Wie sonst würde der VfL Wolfsburg überhaupt 11 Profis unter Vertrag nehmen können?

Es ist ebenfalls unstrittig, dass die Bayern ihre Vormachtstellung in den vergangenen Jahren geschickt genutzt haben, um sich die besten Spieler des Landes und zusätzlich internationale Hochkaräter zu sichern. Faktisch hat der Verein immer schon so agiert. In richtig großem Maße kann das Jahr 2007 als Ausgangspunkt für die aktuelle Entwicklung gesehen werden. Damals beendeten die Münchener die Saison auf einem für sie deprimierenden 4. Platz und mussten in den ungeliebte UEFA-Cup. Schlimmer noch: Sie drohten gar ihre ihnen natürlich zugewiesene Vormachtstellung im deutschen Fußball zu gefährden. Dies konnte der sich natürlich überlegen fühlende Bajuware nicht akzeptieren. Zum Glück war das Festgeldkonto noch ausreichend gefüllt, so dass eine Transfer-Großoffensive initiiert wurde. Neben den Superstars Franck Ribery und Luca Toni und den Jungspielern Toni Kroos und Sandro Wagner (sic!) wechselten aus der Liga u. a. Miroslav Klose, Marcell Jansen und Hamit Altintop in den Profikader des Rekordmeisters. Nicht ganz überraschend wurde im darauffolgenden Jahr die Meisterschaft mit 10 Punkten Vorsprung gewonnen. Und auch wenn später der VfL Wolfsburg und der BVB noch einmal kurzzeitig die alleinige Vorherrschaft des Branchenprimus aufschieben konnten. Der Weg war geebnet für die Situation, in der sich die Bundesliga seit inzwischen vier Jahren befindet. Die aggressive Transferpolitik, die sich durch die zunehmenden Gelder aus der Champions League problemlos rechtfertigen ließ, wurde weiter fortgesetzt und der Ligakonkurrenz weitere Stars wie Mario Gomez, Dante, Manuel Neuer oder Mario Mandzukic abgekauft, was bei den abgebenden Vereinen i.d.R. zu Unmut führte. Das öffentliche Wehklagen erschallte aber stets am stärksten, als bei den Transfers von Mario Götze und Robert Lewandowski der BVB betroffen war.

Ähnliches wiederholt sich jetzt bei Mats Hummels, der als langjähriger deutscher Nationalspieler ganz natürlich ins Beuteschema des FC Bayern fällt und sich zudem sogar selbst bei seinem einstigen Ausbildungsverein angebiedert haben soll. Rein sportlich darf diskutiert werden, ob Hummels in der Form der letzten Jahre für die Münchener ein solch großer sportlicher Vorteil gegenüber dem bestehenden Defensivpersonal wäre und ob sich für die zu erwartende Ablöse nicht auch für die Westfalen eine ähnlich starke, aber jüngere Alternative finden lässt. Aber für derlei Betrachtungen ist in den Medien kaum Platz. Dafür wird die Debatte überstrahlt durch die absurde Jammerei der Dortmunder, die sich über die Ungerechtigkeiten des modernen Fußballs immer genau dann akut aufregen, wenn sie selbst betroffen sind. Nur in Dortmund gibt es nämlich "echte Liebe" und echte Fans - so das marketinggetränkte Selbstverständnis, das ein Großteil der dortigen Zuschauer allen Ernstes mit der Realität verwechselt. Das Paradoxe dieses Wehklagens wird auf die Spitze getrieben, wenn in den gleichen Artikeln verkündet wird, dass für die zu erwartenden Transfereinnahmen Spieler wie Süle, Volland oder Dahoud verpflichtet werden sollen. Der BVB bedient sich nämlich derselben Mechanismen wie die Bayern - nur im kleineren Maßstab. Dass ihr Abstand zum 3. Platz 20 Punkte beträgt, ist zum Teil der jahrelang eigenen guten Arbeit zu verdanken - gerade im Vergleich zu Vereinen wie Schalke oder Wolfsburg, die weit weniger aus ähnlich guten Möglichkeiten machen. Es ist aber nicht unwesentlich auch eine Folge der absurden Gelderverteilung im modernen Fußball, die durch die alles überstrahlende Vormachtstellung der Champions League zementiert wird und von der eben auch der BVB als regelmäßiger Teilnehmer sehr wesentlich profitiert.

Das Grundübel liegt nicht so sehr bei den Großvereinen, die verständlicherweise danach streben, für sich das Optimum herauszuholen und die sich um die bestverfügbaren Spieler bemühen, um im Konzert der ganz Großen dauerhaft mithalten zu können. Es liegt vielmehr am System, derer sich alle Vereine bedienen müssen, um überhaupt am modernen Profifußball teilnehmen zu können. Borussia tut dies genauso, wenn sie z. B. einen Strobl aus Hoffenheim und einen Stindl aus Hannover holt, wie es der BVB im größeren Maße bei Transfers a la Reus, Ramos oder Castro macht oder eben der FC Bayern im noch größeren Maße. Ausgenommen von diesem Fressen-und-gefressen-werden-Spiel sind nur ganz wenige Vereine am obersten Ende der Nahrungskette. Problematisch wird die Situation erst durch die Ausmaße, die mittlerweile in der finanziellen und daraus folgend der sportlichen Ungleichheit zwischen den Vereinen entstanden sind. Dies ist aber ganz bestimmt kein Phänomen, das erst der Hummels-Transfer offengelegt hat, sondern schon seit Jahren offenkundig, ohne dass nachhaltig nach Lösungen gesucht worden wäre.

Die Situation ist mittlerweile so verfahren, dass eine realisierbare Lösung kaum noch vorstellbar ist. Gehaltsobergrenzen wären ein plausibler Schritt, der aber durch entsprechende Sonderzahlungen umgangen werden könnte. Gerade die Bayern sind schon mehrfach dabei erwischt worden, unerlaubte Geldzahlungen zu leisten, um unliebsame Regeln zu umgehen und den bestehenden Wettbewerbsvorteil noch konsequenter zu nutzen. Nötig wäre daher vielmehr ein echter Solidarfonds, in dem die insbesondere in der Champions League verdienten Gelder massiv umverteilt werden zum Wohle eines echten Wettbewerbs. Da dies europaweit noch utopischer durchzusetzen wäre als eh schon in der Bundesliga, müsste dafür in Kauf genommen werden, dass so kaum noch ein deutscher Klub Chancen auf internationale Erfolge hätte. Ein Preis, den die fußballinteressierte Öffentlichkeit in der Mehrheit nicht bereit ist zu zahlen. Wenn man dies so sieht und - wie der BVB - von diesem System ebenfalls in beachtlichem Maße profitiert, indem man im Windschatten der ganz Großen eine ziemlich komfortable Position in der gesicherten Bundesliga-Spitze einnimmt, dann sollte man aber auch nicht rumjammern und erst recht keine solche öffentliche Bühne für sein perfides Wehklagen erhalten.

Der Trade-Off zwischen nationalem Wettbewerb und internationaler Wettbewerbsfähigkeit ließe sich alternativ nur durch ein Aufbrechen der 50+1-Regel umgehen. Dies wiederum hätte zur Folge, dass über Erfolg und Misserfolg ganz maßgeblich mit entscheidet, wer das Glück hat den spendabelsten Gönner zu finden. Schon heute ist dies z. B. in Hoffenheim, Leipzig, Wolfsburg oder auch Hamburg und Gelsenkirchen zu beobachten, so dass es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis diese letzte große Bastion der Fußball-Romantiker fällt.

Dies alles wären Themen, über die in den Medien besser diskutiert werden sollte als über den ganz normalen Transfer eines überbewerteten und heuchlerischen Innenverteidigers, der von einem Spitzenklub zu einem noch etwas größeren Spitzenklub wechselt. Es ist zweifelsohne amüsant, dessen aktuelle Haltung mit seinen früheren Aussagen abzugleichen, als er z. B. Mario Götze für seinen Wechsel nach München kritisierte, weil er "sportlich wenig bis keine Gründe" sah, den BVB zu verlassen. Damals lag der Verein wohlgemerkt 25 Punkte hinter den Bayern zurück. Die Aussage aus dem vergangenen Jahr, dass ihm ein Titel mit dem BVB als Führungsspieler lieber wäre als vier Titel als Teilzeitkraft, kann man hingegen noch damit rechtfertigen, dass selbst dieser eine Titel bei den Schwarzgelben in absehbarer Zeit wenig realistisch erscheint.

Aufmerksamen Fußballfans war aber schon lange bekannt, dass sich Mats Hummels lieber mit arroganten Kommentaren in die Belange anderer einmischt und die Schuld bei anderen sucht anstatt selbstkritisch seine eigenen Fehler zu reflektieren. BVB-Fans und die dem BVB-zugeneigte Medienwelt werden dies jetzt erst in ähnlicher Weise realisieren wie es auch schon beim einstigen Liebling Matthias Sammer geschah. Damit hätte der Hummels-Transfer am Ende dann immerhin doch noch ein positives Ergebnis.