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Bayer LeverkusenDas Spiel war keine vier Minuten alt, da schenkte es den Gladbachfans eine Erinnerung an glücklichere Tage. Mit einem Pass, der spielerische Intelligenz und technische Finesse vermählte, düpierte Juan Arango eine komplette Abwehr; der in den freien Raum gestartete Patrick Herrmann verarbeitete den Ball in hohem Tempo und spitzelte ihn gekonnt am Keeper vorbei in die Maschen. Für einen Moment schien die Spielkunst wiedergefunden, die in der letzten Saison zu rauschhaften Fußballfesten und einem sensationellen vierten Platz geführt hatte. Allein, es sollte bei dieser kurzen Erinnerung bleiben. Der Rest war Grauen.

Über weite Strecken lieferte die Borussia in Leverkusen eine erschreckend schwache Leistung ab, vielleicht die vielleicht schlechteste Leistung überhaupt in der Ära Favre. Dass sie dennoch einen Punkt aus Leverkusen mitnahm, war in erster Linie purem Glück und Leverkusener Unvermögen geschuldet, in zweiter Linie einem starken Torwart. Marc-André ter Stegen war aber auch der einzige Lichtblick in ansonsten tiefschwarzer Nacht. Sicher, schon zuvor und auch in der brillanten letzten Saison hatte es Spiele gegeben, in denen die Borussia mit dem Latein am Ende war. Aber das waren Spiele, in denen man gegen konsequent destruktive Gegner ein frühes Tor verpasste, der Anfangsschwung nach und nach verpuffte und sich schließlich Ratlosigkeit ausbreitete. Und selbst in solchen Spielen hatte man immerhin defensiv weitestgehend sicher gestanden, die große Errungenschaft der Favre-Zeit.

 

In der BayArena stimmte es weder mit dem Ball noch gegen ihn. Im Sturmzentrum blieb der bedauernswerte Luuk de Jong erneut ohne Zuspiele, die die Stärken eines Strafraumspezialisten zur Geltung bringen könnten. Unzählige Fehler im Spielaufbau ließen die Borussen kaum jemals überhaupt in Strafraumnähe kommen. Hinten fehlte es allerorten an Struktur. Über eine Niederlage mit drei, vier oder fünf Gegentoren hätten sich die Gladbacher nicht beschweren können. Anders als gegen Kiew konnte man sich auch nicht mit dem Verweis auf unglücklich abgefälschte Gegentreffer trösten. Anders als gegen Nürnberg nicht damit, man habe zwar eine spezifische (und behebbare) Schwäche bei Standardsituationen, aus dem Spiel heraus aber doch kaum Chancen zugelassen.

 

Die Schwäche bei Standards bleibt dramatisch: Auch in Leverkusen herrschte bei ruhenden Bällen im Gladbacher Strafraum so viel Stabilität wie im Hormonhaushalt pubertierender Jugendlicher. Aber die ungemein variabel auftretende Werkself sang eine ganze Registerarie Gladbacher Verwundbarkeiten: Über die Flügel, durch die Mitte, aus der Nähe, aus der Distanz, lang, kurz, flach, hoch – Chancen ließen sich gegen diese Gladbacher auf praktisch jede vorstellbare Art erarbeiten.Beide Negativentwicklungen hängen zusammen. Am Fußballer des Jahres kommt man bei ihrer Erklärung nicht vorbei. Nicht nur, dass Marco Reus der Offensive an allen Ecken und Enden fehlt und dass es Mannschaft und Trainer bislang nicht in Ansätzen gelungen ist, das Spielkonzept auf einen ganz anderen Stürmertyp umzuschneidern. Die Versuche nach einem post-Reusschen Angriffsspiel haben auch die Defensive in Unordnung gebracht.

 

Auf einen Grund dafür hat Lucien Favre ausdrücklich hingewiesen: Konnte sich die Borussen in der letzten Saison phasenweise weit zurückziehen und auf Reus‘ explosiven Antritt vertrauen, so müssen sie nun weiter aufrücken, um die Wege zum gegnerischen Tor kürzer halten – und werden so ihrerseits für schnelle Angriffe anfälliger.Ein zweiter Grund liegt im zentralen Mittelfeld. In der letzten Spielzeit funkelte das Offensiquartett um das Kronjuwel Reus so hell, dass sich dahinter Neustädter und Nordtveit vornehmlich auf ihre defensiven Kernaufgaben konzentrieren konnten. Nach Reus‘ Abschied fassten Sportdirektor und Trainer vor der Saison den nachvollziehbaren Entschluss, die Last der Nachfolge auf mehrere Schultern zu verteilen. Deshalb investierte man erheblich in einen Granit Xhaka, der zwar schon in Basel nicht als Balleroberer aufgefallen war, von dem man sich aber zusätzliche offensive Impulse erhoffte. Deshalb auch erging an die zentralen Mittelfeldspieler die Aufforderung, mehr als in der letzten Saison selbst den Torabschluss zu suchen.

 

So weit, so einsichtig. In der Praxis aber zahlt die Borussia dafür defensiv einen hohen Preis, ohne offensiv nachhaltigen Mehrwert zu erzeugen. Speziell Nordtveit fehlt es aktuell sichtlich an Gespür dafür, wann er sich sinnvoll nach vorne einschalten kann und wann nicht. Da gleichzeitig weder Cigerci noch Xhaka an Neustädters Qualitäten im Zustellen von Lücken heranreichen, ist es mit der gerühmten Gladbacher Kompaktheit vorbei. Kommen haarsträubende Fehlpässe in Serie und ein aggressiv pressender Gegner hinzu, dann ist Gladbacher Tag des offenen Strafraums.

 

Kein guter Zeitpunkt also, um auf einen Gegner auf einer Euphoriewelle zu treffen. In Hamburg setzte ein reicher Spendieronkel der Tristesse ein vorläufiges Ende. Dabei hatte nach dem Erstrundenpokalaus gegen Karlsruhe und Ligapleiten gegen Nürnberg und Bremen noch blanke Panik an der Alster regiert. Sportdirektor Arnesen geriet immer stärker in die Kritik; Klublegende Uwe Seeler verbreitete wiederholt öffentlich Abstiegsängste. Dann traten zwei auf den Plan, die die HSV-Fans eigentlich schon zum Teufel gewünscht hatten: Investor Kühne und Spielmacher Rafael van der Vaart.

 

Speziell der Niederländer liefert Anschauungsmaterial dafür, wie sehr Fußballfans das Adenauer-Wort vom „Geschwätz von gestern“ verinnerlicht haben. Es ist noch nicht lange her, da galt van der Vaart als persona non grata: Als er Hamburg verlassen wollte, ließ er sich schon mal vorsorglich im Trikot eines Interessenten ablichten und verkündete, es würde ihm „Schmerzen bereiten“, sollte er weiter in Hamburg spielen müssen. Tempi passati. Inzwischen ist van der Vaart wieder Hamburger Messias und beteuert artig, wie sehr er auch in der Fremde den Verein und seine Fans im Herzen behalten habe.

 

Spielerisch bedeutet die 12-Millionen-schwere Verpflichtung, die ohne die Hilfe des eigentlich hoch umstrittenen Kühne undenkbar gewesen wäre, zweifellos einen Qualitätssprung. Es ist kein Zufall, dass der HSV in den zwei Ligaspielen vor van der Vaart ohne Torerfolg blieb und in den zwei mit ihm fünf Tore erzielte. Stand heute ist van der Vaart das, was Hans Meyer einen „Topper“ zu nennen pflegte, ein Spieler also, an dessen Seite auch andere um fünfzehn, zwanzig Prozent besser spielen. In Hamburg gilt das aktuell vor allem für Heung-Min Son. Der Koreaner blühte seit van der Vaarts Verpflichtung auf und erzielte gegen Frankfurt und Dortmund drei Treffer, davon zwei auf direkte Vorlage des Spielmachers.

 

Nominell agiert van der Vaart zwar im zentralen offensiven Mittelfeld, faktisch aber weicht er immer wieder auch weit auf die Flügel aus, von wo er für brandgefährliche Flanken gut ist. Ohnehin suchen die Hamburger oft den Weg über die Außenbahn, wo die Offensivkräfte Son und Ilicevic immer wieder durch die sehr offensivfreudigen Außenverteidiger Diekmeier und Jansen unterstützt werden. Sorgenkind bleibt vorerst das Sturmzentrum, wo Neuzugang Artjoms Rudnevs zwar Marcus Berg aus der Startelf verdrängen konnte, selbst aber weitgehend glücklos blieb.

 

Auch für die Defensive leisteten sich die Hamburger späte Neuverpflichtungen. Der Ex-Wolfsburger Jiracec handelte sich zwar in seinem ersten Einsatz für den HSV einen Platzverweis ein und ist gegen Gladbach noch gesperrt. Der aus Zagreb gekommene Milan Badelj aber agierte wird im Verbund mit Tolgay Arslan wieder die Doppelsechs besetzen. Auf den Champions League-erfahrenen Badelj hält Arnesen große Stücke und erhofft sich neben defensiver Stabilität auch kreative Impulse. Durch die Verpflichtung des Kroaten konnte Heiko Westermann wieder in die Innenverteidung rücken. Deshalb und auch weil auf den Außenpositionen Diekmeier und Jansen aufgeweckter agieren als Bruma und Aogo, präsentiert sich die Viererkette inzwischen deutlich sortierter als zu Saisonbeginn.

 

Dennoch gerieten die Hamburger beim 3:2-Erfolg gegen Borussia Dortmund vor allem in der Schlussphase gewaltig unter Druck. Dass Thorsten Finks Team den Sieg über die Zeit rettete, war am Ende vor allem René Adlers Verdienst. Der lange verletzte Ex-Leverkusener, den Oliver Kahn inzwischen schon wieder mit der Nationalmannschaft in Verbindung bringt, hat sich als absoluter Glücksgriff erwiesen. Für seine Leistung gegen den deutschen Meister kommt man am Wort „Weltklasse“ schwer vorbei.

 

Aufstellungen:

 

Borussia Mönchengladbach: ter Stegen -  Jantschke, Stranzl, Dominguez, Daems – Cigerci, Nordtveit – Herrmann, Xhaka, Arango – de Jong.
Hamburger SV: Adler – Diekmeier, Mancienne, Westermann, Jansen – Badelj, Arslan – Son, van der Vaart, Ilicevic – Rudnevs.

 

Schiedsrichter: Deniz Aytekin.
Assistenten: Marco Achmüller, Benjamin Brand.
Vierter Offizieller: Marco Christ.

 

SEITENWAHL-Meinung:

 

Christoph Clausen: Gegen euphorisierte Hamburger und einen Torwart in überragender Verfassung ist für die sorgengeplagte Borussia nicht viel zu holen. Die Hamburger gewinnen mit 2:0.

Christian Grünewald: Der Trend ist momentan nicht der Freund der Borussia. Das Heimspiel gegen keinesfalls überragende Hamburger geht mit 1:2 verloren.

Christian Heimanns: Die noch halbwegs brauchbaren Ergebnisse der letzten Zeit spiegeln die grundlegenden Probleme im Spiel nicht wieder. Weil die noch da sind, geht es gegen Hamburg nicht über ein 1:1 hinaus.

Michael Heinen: Sofern es Borussia gelingt, an die ordentliche letzte Stunde aus dem letzten Heimspiel anzuknüpfen, sollte es auch für die wiedererstarkten Hamburger reichen. Borussia siegt mit 2:1.

Christian Spoo: Hamburg im Aufwind, Gladbach im Abwind. Der richtige Holländer macht letzten Endes den Unterschied. 2:0 für die Gäste.