koeln neu

Eigentlich sah das alles doch sehr gut aus vor der Saison, was den FC Köln aus Gladbacher Sicht betrifft: Seit dem die Dummstädter 1998 vom Bundesliga-Gründungsmitglied zur Fahrstuhlmannschaft konvertierten, hatte man es noch nie geschafft, mehr als 4 Jahre in der ersten Liga zu bleiben (durchschnittliche Verweildauer: 2.7 Jahre). Auch der katastrophale Absturz nach dem letztmaligen Erreichen internationaler Plätze im Jahr 2017 gab Anlass zur Hoffnung. Und dass die Wirkung des Rumpelstilzchens mit der seltsamen Schirmmütze am Spielfeldrand irgendwann nachlassen, würde, war auch klar. Die Transferperiode machte es nur besser: Geld für ernsthafte Verstärkung gab es nicht, mit Özcan musste man einen echten Leistungsträger für eine relativ geringe Summe nach Dortmund gehen lassen und als Sahnehäubchen darauf, verließ auch Toptorjäger Modeste zu Saisonbeginn den Verein in Richtung Dortmund, einer der seltenen Transfers der beide beteiligte Vereine schwächte. Spätestens nach dem Erstrunden-Pokal-Aus in Regensburg war also alles angerichtet für den Sturzflug des FC. Aber irgendwie hatte anscheinend niemand in Köln das Drehbuch gelesen (wir vermuten Analphabetismus) und so verlor der Verein in der bisherigen Saison nur ein einziges Liga-Spiel, besiegte am Wochenende daheim die Vize-Meisterschafts-Anwärter aus Dortmund und rangiert nun einen Punkt vor der Borussia auf Platz 7 der Bundesliga. Wäre man fair und halbwegs neutral, sollte einem diese Leistung der Kölner, aus ziemlich wenig das Optimale herauszuholen, einiges an Respekt abverlangen. Da wir aber Gladbach-Fans sind, dreht sich bei uns eher der Magen um. Nach der Corona-Epidemie und Putins Ukraine-Wahnsinn ist ein stabiler und erfolgreicher FC Köln einfach etwas Zuviel des Schlechten.

Im Prinzip sollte all das für das Spiel am Sonntag völlig egal sein, denn die Kölner sind nicht nur Erzrivale, sondern auch Gladbacher Lieblingsgegner, den man traditionell ungeachtet anderer Umstände immer wieder weggefegt hat. Die vergangenen 2 Jahre haben leider einen kleinen Schatten auf diese wunderbare Bilanz geworfen, denn die Geißböcke schafften es irgendwie, ihre naturgegebene Opferrolle vorübergehend abzuwerfen und zweimal maßgeblich an der Demontage des jeweiligen Gladbach-Trainers beteiligt zu sein. Marco Rose wäre vermutlich mit der Bekanntgabe seines Wechsels nach Dortmund sowieso nie mehr besonders populär in Mönchengladbach gewesen, aber die Niederlage mit einer schlechteren B-Elf im Derby hatte schon zuvor sein Image erheblich beschädigt. Adi Hütter schien nach Anfangsschwierigkeiten auf einem guten Weg mit der Borussia zu sein (man hatte kurz zuvor die Bayern im Pokal mit 5:0 gedemütigt), als er in der Schlussviertelstunde im Derby den kompletten Zusammenbruch seines Teams mit ansehen musste, was auch den Anfang einer heftigen Negativserie bedeutete.  Und die Heimpleite gegen den gleichen Gegner im Frühjahr war dann auch so etwas wie der letzte Sargnagel für den Österreicher, auch wenn dies die einzige Bundesliganiederlage der Borussia in den letzten 9 Spielen der Saison 21/22 war.

Natürlich ist die Schlussfolgerung daraus nicht, dass am Sonntag ein Schicksalsspiel für Daniel Farke ansteht, aber wie diese Beispiele zeigen sind die Rhein-Derbys nicht einfach nur 2 von 34 Ligaspielen, sondern haben nicht nur eine besondere Bedeutung, sondern können auch größere Wirkung haben als andere Spiele. Dies gilt natürlich ganz besonders, wenn man gerade so blamabel verloren hat wie die Borussia in der Vorwoche in Bremen. „Resilienz“ ist so ein Lieblingswort des Gladbacher Trainers und nur 5 Gegentore in den ersten 7 Spielen oder das Aufholen von zwei Rückständen in diesen Partien ließen hoffen, dass der Westfale seiner Mannschaft diese Tugend auch bereits erfolgreich vermittelt hatte. Das Spiel in Bremen war ein Rückschritt in vergangene Zeiten, in denen man unter Dieter Hecking in Düsseldorf nach 16 Minuten 3:0 zurücklag, mit Marco Rose 0:4 gegen Wolfsberg verlor oder gar unter Adi Hütter 6 Tore in einer Halbzeit gegen Freiburg hinnehmen musste. Mitzuerleben, dass solch ein Einbruch immer noch möglich ist und die Gladbacher Abwehr weiter ein fragiles Gebilde ist, tut weh und man kann nur hoffen, dass die Resilienz zumindest spielübergreifend vorhanden ist und die Mannschaft gegen Köln ein ganz anderes Gesicht zeigt.

Personell gibt es bei der Borussia abseits der Langzeitverletzten Neuhaus, Itakura und Wolff gut aus: Alassane Plea scheint wieder fit zu sein und auch sein Trainer Daniel Farke hat seine COVID-Erkrankung überstanden und stand am Freitag schon wieder auf dem Trainingsplatz. Vermutlich wird Plea zunächst mal auf der Gladbacher Ersatzbank Platz nehmen, aber längerfristig wird es interessant werden, wie Farke seine Startelf offensiv ausrichten wird. Marcus Thuram scheint als Sturmspitze im Moment gesetzt, aber dahinter tummeln sich mit Hofmann, Stindl und Plea eine Reihe von Alternativen. Anders ausgedrückt: Christof Kramers Tage als offensiver Mittelfeldspieler könnten trotz seines großen Auftritts gegen Leipzig gezählt sein und mit dem fast schon etabliertem Sechser-Duo Kone/Weigl kann es gut sein, dass der Weltmeister in der näheren Zukunft nicht automatisch mehr in der Startelf steht. Defensiv gibt es Diskussionen um eine Rückkehr von Stefan Lainer auf die Rechtsverteidiger-Position, was eine robustere Variante zum spielerisch stärkeren, aber noch zu inkonstanten Joe Scally wäre.

Wie ernst man auf Kölner Seite das Derby nimmt, zeigte die Aufstellung des FC am Donnerstagabend in der Conference League gegen Partizan Belgrad. Gleich 7 Spieler rotierte Steffen Baumgart aus der Startelf und nahm damit die 0:1-Niederlage ziemlich bewusst in Kauf. Man kann davon ausgehen, dass Spieler wie Skhiri, Hector oder Ljubicic in Mönchengladbach aber wieder in der Startelf stehen. Vom reinen Marktwert haben laut  dieser Quelle nur die beiden Aufsteiger und der VFL Bochum noch einen schwächeren Kader als der FC (die Borussia rangiert in dieser Tabelle auf Platz 7), aber angesichts der Resultate der Vorsaison und des Tabellenstandes ist es – und das war selten in den vergangenen Jahren – ein Derby auf Augenhöhe.

0:1 nach 5 Minuten, 0:3 nach 34 Minuten, nein, das sind nicht die Zahlen vom Debakel in Bremen, sondern der Verlauf unseres letzten Heimspiels gegen den FC Köln, bei dem die Baumgart-Truppe der Borussia sehr früh den Schneid abkaufte, ähnlich wie es Werder in der Vorwoche tat. Es sollte damit klar sein, worauf es für die Gladbacher ankommt: von der ersten Sekunde wach sein, defensiv diszipliniert spielen und robust dagegenhalten. Dass Borussia in der Offensive für jeden Gegner gefährlich sein kann, zeigt die Tatsache, dass laut Understat.com  nur der FC Bayern und RB Leipzig mehr xGoals bislang erzielt haben als die Fohlen. Gladbachs Chancen werden also kommen, hoffen wir nur, dass es bis dahin nicht schon wieder 3:0 für den Gegner steht.

 

Seitenwahl-Tipps:

Michael Heinen: Nach 3 Derbyniederlagen in Folge wird es mal wieder Zeit für einen Sieg. Borussia schlägt den effzeh mit 2:1.

Christian Spoo: Nach drei Derbyniederlagen in Folge wäre es mal wieder Zeit für einen Sieg. Am Ende gibt’s aber nur einen Punkt und weiterhin keine klare Antwort auf die Frage, wo Borussia steht. 1:1.

Volkhard Patten: An den letzten Derbysieg mit voller Hütte können sich nur noch die älteren unter uns erinnern. Wird Zeit für eine Auffrischung. Borussia siegt mit 3:1 und zeigt, das Bremen nur ein Ausrutscher war.

Michael Oehm: Vor lauter Angst, Fehler zu machen, bekommt keine der beiden Mannschaften ein Tor zustande.

Thomas Häcki: Nach dem Spiel ist klar, dass Farke Derby kann. Die Borussia gewinnt ein emotionales Spiel mit 2:1

Claus-Dieter Mayer: Der frühe 0:2 Rückstand lässt schlimmstes befürchten, aber die Borussia dreht das Spiel noch vor der Pause und fährt am Ende einen historischen 6:2-Sieg ein.