Sportlich geht es für Borussia im Grunde nicht mehr um viel. Trotzdem herrscht im Umfeld in diesen Tagen eine Unruhe, wie es sie seit den Tagen der gescheiterten Effenberg-Revolte nicht mehr gab. Gleich mehrfach machen Verein und Anhänger negative Schlagzeilen. Da sind die Fan-Proteste gegen die Mannschaft und einzelne Spieler. Da ist die offenkundige Spaltung der Anhängerschaft. Da ist die Vergewaltigung einer jungen Frau in einem Fan-Sonderzug. Da ist die Trainerdiskussion, die sich zu einer Debatte um die gesamte sportliche Führung auszuwachsen droht. Spätestens wenn mit Berti Vogts einer der Untoten aus den 70ern den Kopf aus der Gruft steckt, um „seinen“ Verein mal wieder öffentlich anzuschießen, dann weiß man in Mönchengladbach: Es ist ernst. Dass an diesem Freitag gegen Wolfsburg ein Bundesligaspiel ansteht, rückt dabei in den Hintergrund.

Die internen Verwerfungen in der Fanszene sollen hier nicht das zentrale Thema sein, vielmehr die Zone, wo sich die Stimmung im Umfeld und das Sportliche berühren. Immer wieder und immer häufiger sah sich Sportdirektor Max Eberl in den vergangenen Wochen bemüßigt, sich zu erklären, zu rechtfertigen. Viele Anhänger sind unglücklich mit der sportlichen Entwicklung. Vielfach ist in diesen Tagen zu lesen, es gehe dabei nicht um die reinen Ergebnisse, sondern um die Spielweise. Richtig ist vermutlich eher, dass es beides ist. Ein Spiel wie das gegen Hertha BSC war ein Extrembeispiel, weil Leistung und Ergebnis enorm auseinanderklafften. Dennoch kann man getrost davon ausgehen, dass das Gegrummel im Umfeld spürbar leiser wäre, wenn Borussia auf dieselbe Weise zehn Punkte mehr eingeheimst hätte.

Im Grunde ist das, was uns im Moment quält, immer noch ein Phantomschmerz. Weh tut die Lücke, die Lucien Favres Abgang gerissen hat. Der ist lange her, natürlich. Aber hat man sich als Borussia-Fan in den Jahrzehnten davor, im Grunde seit Hennes Weisweiler, wirklich Gedanken über die Spielweise gemacht? Sie gar als Teil des Selbstverständnisses begriffen? Mussten sich graumäusige Trainer wie Jürgen Gelsdorf, Hannes Bongartz oder Jos Luhukay jemals wegen „nicht erkennbarer Spielidee“ rechtfertigen? Nein, mussten sie nicht. Erst seit der Ära Favre macht man sich in Gladbach auch außerhalb von Fußball-Nerd-Kreisen über solche Dinge Gedanken – weil diese Ära so deutlich von einer Spielidee geprägt war, dass es auch der unbedarfte Zuschauer erkennen konnte. Dass man mit einem gut ausgebildeten und geschulten Kader plötzlich im Europapokal landete, obwohl dasselbe Personal kurz vorher noch dem Abstieg geweiht schien, das ließ auch Laien ins Schwärmen vom Tiki-Taka kommen oder – um es mit dem Architekten des damaligen Gladbacher Wunders zu sagen: „Tak, Tak, Tak und dann Puch“. Hinzu kommt, dass die mediale Dauerpräsenz des Fußballs inzwischen tatsächlich die vormals eher akademisch geführten Taktikdiskussionen an die Stammtische gebracht hat – auch wenn die heutzutage eher im virtuellen denn im Schankraum stehen.

Seit Favre weg ist, ist damit das weg, was man in den wunderbaren Jahren unter dem schrulligen Schweizer plötzlich als Teil der Borussen-DNA meinte begreifen zu können.Konnte Nachfolger André Schubert zumindest noch den Eindruck erwecken, auch er verfüge über eine einfach zu verstehende Spielidee (und sei sie auch nur mit „nach vorne“ umschreibbar), formuliert Dieter Hecking nichts dergleichen – und tut gut daran, denn die Mannschaft folgt tatsächlich keiner erkennbaren Fußballphilosophie. Sie spielt halt irgendwie, so gut es geht und zuletzt immer häufiger auch nicht so gut, wie es gehen sollte. Ist das nun ein Drama, geht Borussia ihrer Identität verlustig? Klar ist: Im Vergleich zur Ära Favre und auch zur ersten Hälfte des Schubert-Interregnums macht das, was wir in dieser Saison geboten bekommen, schlicht und ergreifend keinen Spaß. Dass die sportlich Verantwortlichen, also Max Eberl und Dieter Hecking, das nicht anders sehen, haben sie mehrfach eingestanden. Dass sie dafür nach Gründen suchen, ist ihr Job. Dass sie nach Lösungen suchen, ist anzunehmen. Dass das bei Hecking nicht sofort zur Selbstentleibung und bei Eberl nicht zum Rauswurf des Trainers und einem fünffachen Mea Culpa führt, ist das Normalste auf der Welt. Und auch wenn der Verweis auf die Verletztensituation nervt und vermutlich nur einen Teil des Problems benent, ist nicht von der Hand zu weisen, dass Dieter Hecking nur selten einen Kader mit 22 richtigen Profifußballern zusammen hatte und dass echte oder vermeintliche Leistungsträger einen Großteil der Saison gar nicht oder nur unter Schmerzen zur Verfügung standen. Gerade um eine Spielidee zu implementieren, sollte man das dafür nötige Personal zur Verfügung haben. Vorausgesetzt, man hat wirklich eine Idee, die man implementieren möchte. Dass das unter Dieter Hecking gelingen kann, ist nicht gesagt. Indizien dafür liefert seine bisherige Gladbacher Zeit kaum, seine Leistungen vor allem in Aachen und Nürnberg legen aber die Vermutung nahe, dass er auf diesem Gebiet mehr kann, als man ihm zur Zeit zuzutrauen geneigt ist. Max Eberl jedenfalls steht fest zu Hecking. Das machte er vor dem Spiel gegen den VfL Wolfsburg noch einmal deutlich. Wer mit einer Entlassung Heckings zum Saisonende rechnete, wird sich neue Gedanken machen müssen. Eberl jedenfalls plant ganz offensichtlich über die Sommerpause hinaus mit dem Trainer.

Das führt unweigerlich zur nächsten Personalie. Erste Stimmen werden laut, die eine große Mitschuld des Sportdirektors an der derzeitigen Situation – einem gesicherten Mittelfeldplatz mit der immer noch gegebenen theoretischen Chance auf eine Europapokalteilnahme – sehen. Seine Trainertreue und die nicht optimale Personalpolitik werden als Gründe genannt. Fehler in Sachen Kaderzusammenstellung hat Eberl tatsächlich selbst eingeräumt. Was mehr kann man erwarten? Aber das Eingeständnis sorgt, wenn man die Diskussionen in Medien und Umfeld betrachtet, weniger für Zufriedenheit als vielmehr für ein Anwachsen der Kritik. Es ist eine ungute Dynamik, die da entsteht. Was ist Max Eberl vorzuwerfen? Dass er nicht, um die wankelmütige Fanseele zu beschwichtigen, einen Trainer opfert? Dass er nicht für gute Presse seine Prinzipien über Bord wirft? Max Eberl scheint davon überzeugt zu sein, dass Borussia mit Dieter Hecking auch wieder besseren und/oder erfolgreicheren Fußball spielen wird. Was wissen wir, was Max Eberl nicht weiß, dass wir ihn dafür einen Narren schelten? Ob seine Trainertreue am Ende belohnt wird oder ob sie ihm auf die Füße fällt, weiß zur Zeit nur der liebe Gott. Wenn überhaupt. Aber sie als naive Stümperei zu bezeichnen, ist Zeichen eines Hochmuts, der Borussenfans nicht gut zu Gesicht steht. Man führe sich vor Augen, was man an Max Eberl hat. Nicht nur einen guten Sportdirektor mit einer unter dem Strich beeindruckenden Bilanz was seine Arbeit angeht. Auch – und ist es das nicht, was uns angeblich allen im modernen Fußball so fehlt – einen Mann, für den Borussia mehr ist, als einer von vielen möglichen Arbeitgebern. Als Nico Kovac jüngst von allerlei Nebengeräuschen begleitet seinen Wechsel von Eintracht Frankfurt zu Bayern München verkündete, da kommentierte der geschätzte Kollege Peter Ahrens bei Spiegel Online, dass das der normale Gang der Dinge sei. Sinngemäß hieß es, dass sich wohl niemand dem Ruf des Branchenprimus widersetzen würde – es sei denn, man hat ein Angebot vom Scheich, wie Thomas Tuchel. Max Eberl hat der Ruf ebenfalls ereilt – und er hat sich widersetzt. Er sieht seinen Platz in Mönchengladbach. Was will man als Borussenfan eigentlich mehr? Natürlich ist Max Eberl nicht über jede Kritik erhaben. Wenn er seinen Job irgendwann nicht mehr auf die Reihe bekommen sollte, ist auch er nicht sakrosankt. Aber von diesem Punkt sind wir im Moment so weit entfernt, wie der Hamburger SV von der Deutschen Meisterschaft.

Zurück zur sportlichen Lage am heutigen Tage. Die Saison hat niemanden zufrieden gestellt, man wird daraus lernen. Zunächst kann man nur hoffen, dass die Mannschaft das Zeug hat, die Spielzeit zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Das muss, das wird vermutlich auch nicht die Europapokalteilnahme bedeuten (wollen wir überhaupt sieben Runden Quali gegen Berg-Karabach und Tromsö spielen, um uns dann in der Euro-League aufzureiben?). es wäre ausreichend, wenn wir mehr Spiel als gegen Berlin und mehr Kampf als bei den Bayern geboten bekommen. Für attraktiveren Fußball könnte die Rückkehr von Ibrahima Traoré sprechen. Der Langzeitverletzte ist laut Dieter Hecking voll im Training und gegen Wolfsburg eine Option. Auch Tobias Strobl und Laszlo Benes sind wieder einsatzbereit. Entspannt ist die Personallage dennoch nicht. Herrmann, Johnson, Oxford und Bobadilla sind definitiv nicht dabei, hinter Christoph Kramer stand zuletzt zumindest ein kleines Fragezeichen.

Im Gegensatz zur Borussia steckt der VfL Wolfsburg wirklich knietief im Schlamassel. Der Werksclub ist punktgleich mit Freiburg und Mainz, nur das bessere Torverhältnis sorgt dafür, dass der Deutsche Meister von 2009 über dem Strich steht. Es geht also ums Ganze für die Mannschaft, die in dieser Saison schon den dritten Übungsleiter hat. Bruno Labbadia agiert dabei nicht erfolgreicher als seine Vorgänger. Seit seinem Amtsantritt hat Wolfsburg erst einmal gewonnen – das allerdings war ein Big Point, denn mit Freiburg schlug der VfL einen direkten Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt. Zuletzt gelang gegen Augsburg nur ein 0:0 im eigenen Stadion. Fürchten muss sich Dieter Hecking vor seinem ehemaligen Arbeitgeber eigentlich nicht, solange sein neues Team sich am Riemen reißt. Personell kann Labbadia im Gegensatz zu seinem Gladbacher Gegenüber fast aus dem Vollen schöpfen. Nur Admir Mehmedi fällt weiterhin verletzt aus.

Mögliche Aufstellung

Borussia: Sommer – Elvedi, Vestergaard, Ginter – Kramer, Zakaria – Hazard, Stindl, Wendt – Raffael, Drmic

Wolfsburg: Casteels – Verhaegh, Jaeckel, Knoche, William – Arnold, Camacho, Malli – Didavi, Brekalo, Origi

SEITENWAHL-Prognose

Christian Spoo: Borussia konzentriert sich gegen Wolfsburg auf das Wesentliche. Das reicht, um die Sorgen des Abstiegskandidaten zu vergrößern. Nach dem 3:1-Sieg wird es im Umfeld etwas ruhiger.

Uwe Pirl: Borussia setzt den Abwärtstrend fort. Planlos und ohne sichtbares Engagement taumeln Trainer und Mannschaft dem Saisonende entgegen. Das 1:2 gegen die Betriebssportgemeinschaft aus Wolfsburg verhilft meinem Wunschabsteiger zu einer etwas ruhigeren Woche.

Michael Heinen: Borussia rehablitiert sich für das blamable Auftreten in München und kommt gegen Wolfsburg zu einem 2:1-Sieg.

Thomas Häcki: Die Borussia beginnt beherzt und mit dem Willen zur Widergutmachung. Mit laufender Spielzeit verkrampft das Team aber zunehmend. Spätesstens nach dem 0:1 kippt dann die Stimmung vollends. Die Trainerdiskussion wird damit weiter angeheizt.

Claus-Dieter Mayer: Beim 0:0 schlafen selbst die Spieler auf dem Platz nach 70 Minuten ein, trotz dieser Erholung für die Mannschaft bemängelt Dieter Hecking später man habe sich nicht belohnt…wofÜr sagt er nicht.