Auch wenn die Medien gern das Duell München-Dortmund zum Barca-Real-ebenbürtigem deutschem „Classico“ erheben, sind die Dortmunder historisch gesehen doch eher nur ein Lebensabschnittspartner der Bayern (in dieser Saison hielt die „Ewigkeit“ dieser Rivalität gerade mal für 7 Spieltage an). Zu den „Verflossenen“ der Bajuwaren zählen neben Werder Bremen oder dem HSV auch die Borussia aus Mönchengladbach. Und da dieses Duell  der erste groβe Dauerkampf um die Meisterschale in der Bundesliga-Geschichte war, ist dieses Spiel  zumindest für ältere Borussen-Fans auch bis heute der einzig wahre Bundesliga-Klassiker. Der Nostalgiefaktor der Begegnung wird noch dadurch erhöht, dass mit Jupp Heynckes ein Trainer auf der Bayern-Bank sitzt, der sowohl in Mönchengladbach als auch in München Legendenstatus hat. Dem Mönchengladbacher Publikum wird das leicht bizarr erscheinen, hat man denselben Trainern vor gut 4 Jahren doch noch tränenreich (und torreich) in den vermeintlichen Ruhestand verabschiedet.

Dabei sollte dieses Spiel eigentlich gar nicht der illustren Vergangenheit bedürfen, um etwas Besonderes zu sein, denn immerhin treffen dort am Samstagabend der Vierte und der Erste der Liga aufeinander. Während die Münchner Tabellenführung kaum verwundert, kratzt man sich  rund um den Borussiapark doch zuweilen am Kopf und fragt sich, wie man angesichts der extrem wechselhaften Leistungen in dieser Saison eigentlich auf diesen vierten Platz gekommen ist. Schien die Borussia in ersten Spielen noch die Fussball-Soap „Gute Halbzeiten – Schlechte Halbzeiten“ auf dem Platz aufzuführen (vor allem in Augsburg), so wurde später ein „Gute Spiele-Schlechte Spiele“ (Hoffenheim, Mainz) daraus und zuletzt in Berlin gar ein „Gute 20 Minuten – Schlechte 20 Minuten“. Mit 21 Gegentoren hat man zudem die drittschlechteste Abwehr der Liga; nur die beiden Tabellenletzten aus Freiburg und Köln mussten mehr Treffer zulassen. Es gibt also guten Grund, die gute momentane Platzierung nicht überzubewerten. Auf der anderen Seite sind 21 Punkte nach 12 Spielen eine gute Ausbeute (der beste Start seit 2013) und die Mannschaft hat immer wieder in dieser Saison angedeutet, welche individuelle Klasse in ihr steckt.

Personell sind wohl keine dramatischen Änderungen bei der Borussia zu erwarten. Auch wenn das angesichts der hohen Anzahl von Gegentoren paradox klingt, scheint die Viererkette hinten zur Zeit gesetzt zu sein. Ein Tony Jantschke, der gegen die Bayern oft sehr gute Spiele machte, könnte zwar eine Alternative sein, um die Defensive zu stärken, aber bei seinen bisherigen Einsätzen nach seiner langen Verletzungspause konnte er noch nicht so überzeugen. Die Sechserpositionen sind zur Zeit in fester Hand von Zakaria und Kramer, offensiv kann man mit den Torschützen von Berlin Stindl, Hazard und Raffael rechnen. Vor allem die beiden Tore des letzgenannten machen Hoffnung, dass der Brasilianer endlich in die Form kommt, die man von ihm in den Vorjahren gewohnt war. Gerade gegen die Bayern, die unter Heynckes wieder zum dominanten Ballbesitz-Fussball der vergangenen Jahre zurückgekehrt sind, wäre es enorm wichtig einen Raffael zu erleben, der auch mal in Bedrängnis den Ball behaupten kann und dem Rest der Mannschaft Verschnaufpausen in der zu erwartenden Abwehrschlacht ermöglicht. Die einzige Position, bei der man eventuell eine Änderung gegenüber dem Hertha-Spiel erwarten könnte, ist die von Johnson, der in den letzten Spielen doch relativ blass blieb. Allerdings ist er im Vergleich zu den Alternativen (Grifo, Herrmann) der defensiv stärkere Spieler, so dass es durchaus möglich ist, dass Dieter Hecking erneut mit der Start-Elf der Vorwoche beginnt.

Bei den Bayern ist das traditionell riesige Angebot von Klassespielern zur Zeit durch zahlreiche Verletzungen leicht eingeschränkt. Gegen Anderlecht verletzten sich noch Robben und Thiago und gesellen sich auf Liste der fehlenden Prominenten  zu Neuer, Ribery, Müller (der zumindest wieder mit trainiert)  etc. Schaut man sich den verbleibenden Kader an, so ist die daduch entstehende „Schwächung“ zumindest im Vergleich zur Borussia eher gering. Ohne Zweifel sind die Bayern der  Favorit am Samstagabend, zumal sie unter dem Trainer-Oldie Heynckes bislang jedes Pflichtspiel gewonnen haben (zumindest wenn man mal von der Pedanterie absieht, einen Pokalsieg im Elfmeterschiessen als Unentschieden zu werten). Allerdings täuscht diese Bilanz etwas darüber hinweg, dass der Rekordmeister noch weit von der absoluten Dominanz der Jahre 2012-2016 entfernt ist. Gerade die Auswärtsspiele waren zuletzt meist eng. In der Championsleague gab es bei Celtic und Anderlecht gegen international gesehen eher schwächere Gegner jeweils ein glückliches 2:1, im Pokal in Leizpig wurde man durch das Elfmeterschiessen gerettet und selbst beim ewigen Abstiegskandidaten HSV gab es nur ein mühseliges 1:0, nicht zuletzt begünstigt durch die Tatsache, dass die Hamburg über weite Strecken nur zu zehnt waren.

Sollte es der Borussia gelingen defensiv diszipliniert aufzutreten, hat sie daher die Möglichkeit auch gegen die Bayern zu punkten. Der RSC Anderlecht hat am gestrigen Abend bewiesen, dass die Münchener defensiv durchaus anfällig sind und gegen einen Gegner, der sich im Borussiapark mit Sicherheit nicht hinten reinstellen wird, sollten die Gladbacher Angreifer gelegentlich Räume haben und zu Chancen kommen. Zu einem Heim-Triumph wie 2012 oder 2015 (jeweils 3:1) bedarf es aber einer homogenen Mannschaftsleistung ohne Wackler und auch etwas Glück. Ob das der in dieser Saison so wechselhaft auftretenden Borussia gelingen kann, ist fraglich.

 

Mögliche Aufstellungen:

Borussia: Sommer- Elvedi, Vestergaard, Ginter, Wendt – Zakaria, Kramer – Hazard, Johnson – Raffael, Stindl

Bayern: Ulreich - Kimmich, Süle, Hummels, Alaba - Javi Martinez - Tolisso, Rudy, Vidal, James – Lewandowski 

 

Seitenwahl-Prognose:

Claus-Dieter Mayer:  Mit dem 1:1 gegen die Bayern bleibt Borussia auch im fünften Pflichtspiel in Folge ungeschlagen und ärgert sich am Ende gar ein bisschen, dass Hazards Führungstor nicht ganz zum Sieg reichte.

Christian Spoo: Heimschwache Gladbacher treffen auf breitbrüstige Bayern. Wer auf eine Überraschung hofft, muss anderswo Fußball gucken. Der Rekordmeister gewinnt mit 3:0.

Uwe Pirl: Den Bayern die Lederhosen auszuziehen bleibt ein schöner Traum. Manuel Neuer steht nicht im Tor, also gibt es auch keine Fortsetzung seines Gladbach-Traumas. Bayern nutzt die Defensivschwäche der Borussia aus, macht aber nicht mehr als nötig: 0:2

Michael Heinen: Borussia schlägt sich wacker, muss sich den Bayern am Ende aber unglücklich mit 1:2 geschlagen geben.

Thomas Häcki: Gegen Bayern sehen wir eine Borussia die uns wieder einmal überrascht. Das 1:1 ist mehr als verdient.