Der DFB ist korrupt, seine Schiedsrichter unfähig und der VAR nutzlos. Auf weniges können sich Fußballfans über alle Vereinsgrenzen hinweg so leicht einigen wie auf diese Grundsätze. Auch in Mönchengladbach wurde in dieser Hinrunde mehrfach Unmut geäußert, insbesondere in der vergangenen Woche nach der Partie in Bochum. Immerhin: Der sportlich trostlose Auswärtsauftritt der Borussia im Ruhrstadion bot so nicht nur Negatives. Interessierte Fußballfanatiker bekamen für ihr Geld eine gute Portion fantasievoller DFB-Regelkunde frei Haus geliefert. Seit letzter Woche kennt jeder Borussen-Fan die abstrusen Feinheiten zwischen „kontrolliertem“ und „absichtlichem" Spiel, die vom DFB in seiner unnachahmlich kreativen Regelauslegung seziert und pervertiert worden sind.

Aber was hat es uns geholfen, die aus unserer Sicht ungerechte Behandlung über Tage hinweg in einer Weise zu bejammern, die selbst Max Eberl zu weinerlich vorgekommen sein muss? Zielführender wäre es, die Diskussion konstruktiv und lösungsorientiert zu führen. Im aktuellen Sportstudio führte Borussia-Edelfan Dunya Hayali ein interessantes Gespräch mit Manuel Gräfe, das dieser anschließend auf seinem Twitter-Account noch ergänzte. Wir greifen dies im Folgenden auf und stellen 10 Forderungen an den DFB, das IFAB und uns Fußballfans zur Diskussion, wie wir aus solchen Situationen wie zuletzt im Ruhrstadion erfolgreich lernen könnten.

  1. Schafft klare, einfache und verständliche Regeln!
  2. Schafft den VAR-Eingriff bei Wahrnehmungsfehlern ab!
  3. Gebt der Challenge eine Chance!
  4. Akzeptiert die menschliche Fehlbarkeit des Schiedsrichterteams – auch vor dem Fernseher!
  5. Setzt dem VAR ein Zeitlimit für schnellere Entscheidungen!
  6. Akzeptiert die statistischen und logischen Fakten zum VAR!
  7. Professionalisiert die Schiedsrichter!
  8. Schafft Strukturen im DFB, die das Leistungsprinzip wahren und Korruption verhindern!
  9. Schafft endlich mehr Transparenz!
  10. Konzentriert Euch wieder mehr auf den Fußball!

 

Der aktuelle Streitfall

Im Februar des vergangenen Jahres gewann der BVB sein Pokal-Achtelfinale gegen den SC Paderborn durch einen umstrittenen Treffer des einstigen Trump-Wahlhelfers Erling Haaland. Fußball-Deutschland war empört, weil der Underdog in der Verlängerung ein entscheidendes Gegentor kassierte, das nach gefühlter Wahrnehmung der Zuschauer niemals hätte zählen dürfen. Beim Pass von Thomas Delaney stand der Dortmunder Stürmer nämlich zunächst eindeutig im Abseits. Erst durch die offensichtlich unabsichtliche Grätsche des Paderborners Ingelsson wurde – nach damaligem Regelstand – eine neue Spielsituation geschaffen, was die Abseitsstellung aufhob.

Diese Szene fachte die Diskussion um die Regelauslegung in Deutschland an. International befeuert wurde sie im Oktober des vergangenen Jahres, als Kylian Mbappe im Nations League Finale ein ähnlich bizarres Abseitstor schoss, das den Regeln entsprechend aber zählen musste.

Dies rief die FIFA-Regelhüter des International Football Association Board (IFAB) auf den Plan, die sich daher in diesem Sommer um eine Konkretisierung der Regel bemühten und Richtlinien zum so genannten „Deliberate Play“ festlegten. Der DFB mühte sich redlich, diese Richtlinien ins Deutsche zu übersetzen, wobei aber offensichtlich auf einen sprach- und fachkundigen Übersetzer verzichtet wurde. Solche Sparmaßnahmen sind für so einen finanzschwachen Verband vermutlich nötig, wenn immer wieder Millionenbeträge wie kurz vor der WM-Vergabe 2006 auf mysteriöse Weise verschwinden.

In der deutschen Übersetzung wird ein „kontrolliertes Spielen“ von den Regelhütern des DFB so interpretiert, dass eine Ballberührung des Abwehrspielers in Bedrängnis nicht mehr als deliberate play gilt und somit die Abseitsstellung nicht aufhebt. In einer Regelschulung vor Saisonbeginn wurde dies den Schiedsrichtern anhand von Fallbeispielen offensichtlich so erklärt, dass Abwehraktionen wie jene des Bochumers Lampropoulos davon abgedeckt sein sollen. Dies wurde am Tag nach der Partie durch den DFB-Projektleiter Jochen Drees offiziell bestätigt. Damit widerspricht der DFB allerdings der Grundintention des IFAB, das vornehmlich Regelungen für offensichtlich abgefälschte oder verunglückte Abwehrversuche (so genanntes „deflecting“) schaffen wollte und sollte. Auf der Website des IFAB wurden mehrere eindeutige Referenz-Szenen veröffentlicht, die den Schiedsrichtern des DFB offensichtlich nicht bekannt sind. Spätestens dort wird nämlich deutlich, dass die DFB-Auslegung zur Szene in Bochum nicht mit den Vorgaben des IFAB übereinstimmt.

In der emotionalisierten Fandebatte wurde aus dieser Szene wie so oft mal wieder eine grundsätzliche VAR-Debatte gestrickt, obwohl die Entscheidung so viel mit dem VAR zu tun hat wie der 1. FC Köln mit gutem Fußball. Lange gehegte Feindbilder müssen schließlich gepflegt werden. Schiedsrichter Schlager gab nach der Partie zu Protokoll, dass er den gezielten Abwehrversuch des Bochumers schon auf dem Spielfeld als „unkontrollierte Aktion“ wahrgenommen habe und sich lediglich nicht sicher war, ob Jonas Hofmann vorher beim Kopfball von Friedrich im Abseits stand. Letzteres ließ sich durch den VAR eindeutig und zweifelsfrei belegen. Ersteres war dagegen eine höchst strittige Interpretation, weshalb der VAR zurecht eine Prüfung der Szene per Field Review empfehlen musste. Leider blieb der Schiedsrichter auch nach Sichtung der TV-Bilder bei seiner fragwürdigen Einschätzung, zu der ihm im Nachgang der DFB ebenso wie u. a. Sky und kicker beipflichteten.

Aus meiner persönlichen Sicht ist es schwer verständlich, in der Abwehraktion des Bochumers keine kontrollierte und beabsichtigte Aktion zu erkennen. Die ursprüngliche Intention des IFAB wird durch solch eine Interpretation ad absurdum geführt. Ähnlich bewertet es z. B. der erfahrene Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe mit Verweis auf die Original-Ausführungen des IFAB. Der VAR wurde in dieser Szene zum Erfüllungsgehilfen einer höchst fragwürdigen Einschätzung des Verbandes, hat aber – so absurd dies für Fußballliebhaber klingt – im Sinne der vom DFB pervertierten Regel tatsächlich die „richtige“ Entscheidung getroffen.

Durch das öffentliche Statement sollte der DFB jetzt eigentlich an diese Art der Regelauslegung in vergleichbaren Spielszenen gebunden sein. Leider zeigte sich aber in den vergangenen Jahren allzu oft, dass solch hehre Worte schon kurz später nicht mehr viel wert waren und bei ähnlichen Situationen auf einmal ganz anders entschieden wurde. Man denke z. B. an die „doppelte Gelbe Karte“ für Alassane Pléas Beschwerden bei Schiedsrichter-Commitman Tobias Stieler. Dass ein Spieler für das faktisch gleiche Vergehen direkt hintereinander zwei Gelbe Karten erhält, ist meines Wissens seitdem nicht wieder vorgekommen. Es wurde also ein einmaliges Exempel statuiert und im Nachgang als „regelkonform“ gerechtfertigt, das später stillschweigend wieder aufgeweicht wurde. Solche Erlebnisse erschüttern das Vertrauen in die Handlungen und Aussagen der DFB-Vertreter, die daher von den Fußballfans nur noch sehr bedingt ernst genommen werden können.

Soweit der aktuelle Fall, der aber nur die Spitze eines Eisbergs ist, der sich in den letzten Jahren an den Stammtischen dieser Fußballwelt aufgestaut hat. Die Unzufriedenheit mit dem DFB und dem Schiedsrichterwesen ist zunehmend hoch. Da wird es Zeit, den Jammerstatus zu verlassen und von allen Beteiligten Verbesserungen für die Zukunft einzufordern.

 

Forderung 1: Schafft klare, einfache und verständliche Regeln!

Der Fußball hat sich insbesondere deshalb zum beliebtesten Sport der Welt entwickelt, weil er für jeden Menschen leicht verstanden und nahezu überall ausgeübt werden kann. Zu einem erfolgreichen Fußballspiel braucht es im Grunde nicht mehr als einen tretbaren Gegenstand. Er wird daher auf den Straßen von Rio de Janeiro genauso leidenschaftlich gekickt wie in den Hinterhöfen von Mönchengladbach-Eicken. Von seinem Grundprinzip der Einfachheit hat sich der Profifußball aber schon weit vor Einführung des VAR zunehmend entfernt. Die Handregel z. B. ist schon seit Jahrzehnten ein unverständliches Ärgernis – man frage nach bei Edgar Steinborn oder Alvaro Dominguez.

Im vermeintlichen Bemühen, es allen Unzufriedenen recht zu machen, hecheln IFAB und DFB jeder hitzig geführten Debatte hinterher und versuchen, die Regeln durch immer neue Ausnahmetatbestände oder vermeintliche Klarstellungen „gerechter“ zu machen. So geschah es diesen Sommer z. B. in Reaktion auf den strittigen Siegtreffer im Nations Cup, was auf IFAB-Ebene immerhin noch gelang.

Nach Christoph Kramers Handspiel vor einem Tor gegen den BVB wurde 2018 in ähnlicher Weise eine öffentliche Diskussion gestartet. Bald darauf wurde jedes Tor verboten, dem ein Handspiel vorausging. Als dies wiederum Tore verhinderte, die von der Fanbasis als gefühlt regelkonform wahrgenommen wurden, gab es die nächste Anpassung, sodass inzwischen nur noch Tore aberkannt werden, die direkt mit der Hand erzielt werden. Wer soll da noch ernsthaft den Überblick behalten?

Allein in Deutschland gibt es zig Millionen Menschen, die sich für ausgewiesene Fußballexperten halten und genau zu wissen glauben, wann ein Tor zu gelten haben sollte und wann nicht. Im Zweifel immer dann, wenn es dem eigenen Verein nutzt. Aber Spaß beiseite: Zum Fußball hat fast jeder Bundesbürger eine klare Meinung und dank der (Un-)Sozialen Medien wird diese von sehr vielen lautstark in die Welt hinausposaunt. So weit so basisdemokratisch.

Problematisch wird das ganze erst, wenn diese Millionen Menschen keine Ahnung mehr haben (können), wie bestimmte Regeln lauten, geschweige denn wie sie im aktuellen Monat gerade mal von den Regelhütern ausgelegt werden. Vorrangig zu nennen ist hier die Handregel, und – wie wir nicht erst seit letzter Woche wissen – das (passive) Abseits.

Gerade diese beiden Regeln sind in den vergangenen Jahren ähnlich häufig überarbeitet worden wie das deutsche Steuerrecht und sie bilden in etwa 80-90 % der größten Ärgernisse bei Schiedsrichter-Entscheidungen ab. Wenn selbst Fachjournalisten regelmäßig keine Ahnung haben, ob denn jetzt die T-Shirt-Linie noch gilt oder ob Schutzhand jetzt doch wieder erlaubt worden ist, dann läuft etwas gewaltig schief.

Anstatt sich immer wieder zu regeltechnischen Verschlimmbesserungen hinreißen zu lassen, durch die im Zeitablauf kein Beobachter mehr durchblickt, täten IFAB und DFB gut daran, sich wieder mehr auf die Einfachheit des Spiels zurückzubesinnen. Keep it simple and stupid, heißt ein goldener Leitsatz der Öffentlichkeitsarbeit, der auch für den Fußball und seine Regeln gelten sollte. Diese müssen so klar, einfach und verständlich wie nur irgend möglich ausgestaltet sein und anschließend offensiv und deutlich kommuniziert sowie langfristig beibehalten werden.

Konkret an den DFB und das IFAB gerichtet: Findet Regeln, die dem bestmöglich entsprechen und hört danach auf mit der permanenten Flickschusterei als Reaktion auf jede öffentliche Diskussion! Es wird niemals irgendeine Regel zum Handspiel oder zum passiven Abseits geben können, die jede denkbare Spielsituation zu 100 % gerecht abdecken kann. Wir müssen uns damit abfinden, dass es immer zu gefühlten Ungerechtigkeiten kommen wird. Schmerzen tun diese aber besonders dann, wenn sie nicht nachvollzogen werden können und allem widersprechen, was zuvor jahrzehntelang zu gelten schien.

Verabschiedet stattdessen Regeln, die für jeden leicht zu verstehen und die zudem einfach zu bestimmen oder zu messen sind. Ganz konkret könnte es bei der Handregel z. B. wie folgt aussehen - angelehnt an einen Vorschlag, den Collinas Erben bereits vor einigen Jahren ähnlich in die Debatte einbrachten. Dies ist nur ein exemplarischer und mit Sicherheit verbesserungsbedürftiger Vorschlag, der von Experten konkreter durchdacht und angepasst werden müsste:

  1. Handspiel wird grundsätzlich nicht mehr geahndet, wenn bei der letzten Ballberührung eines Gegners oder Mitspielers weniger als 5 Meter zwischen dem Ball und der Hand des Verteidigers liegen.
  2. Bei allen anderen Handspielen im Strafraum (ab 5 Meter Abstand) folgt grundsätzlich ein indirekter Freistoß an der Stelle des Handspiels.
  3. Einzige Ausnahme von obigen Punkten: Es gibt immer Elfmeter und ggf. eine Rote Karte für den Verteidiger, wenn
    1. ein Tor oder eine klare Torchance verhindert wird oder
    2. die Regel durch ein ganz offensichtlich bewusstes und absichtliches Handspiel umgangen werden soll.

Ein 5-Meter-Abstand ließe sich bei strittigen Aktionen durch den VAR einwandfrei und schnell nachmessen – falls gewollt ggf. mit Toleranzgrenze. Ein guter Feldschiedsrichter sollte zudem ein gesundes Augenmaß bzgl. Abständen mitbringen, die er z. B. bei Freistößen mit seinem Spray markieren muss. Die Einschätzung, wann eine klare Torchance verhindert wurde, könnte zwar immer noch zu Diskussionen führen, funktioniert aber in ähnlicher Weise bei Notbremsen bereits relativ gut. Die „ganz offensichtliche bewusste Absicht“ sollte sehr eng gefasst werden und nicht von schwammigen Auslegungstatbeständen wie „natürliche Handbewegung“ geprägt sein. Vielmehr ginge es nur darum zu verhindern, dass die Regel ausgehebelt werden kann, indem z. B. ein Verteidiger seinem Mitspieler den Ball aus 3 Metern zuspielt und dieser ihn dann mit der Hand aus dem Strafraum werfen kann.

Dies ist aber nur ein Beispiel für eine potenziell klare und relativ leicht bestimmbare Handhabung, die beim komplizierten Tatbestand „Handspiel“ zweifelsohne nicht leicht herzustellen ist. Hier müsste eine Kommission aus erfahrenen Ex-Profis und Ex-Schiedsrichtern in Feinarbeit alle denkbaren Spielsituationen auswerten und die Regel entsprechend konkretisieren. Anschließend sollten zahlreiche Referenzszenen aus der Vergangenheit in ein entsprechendes Schema eingeordnet werden, anhand derer die Schiedsrichter bis zum Exzess geschult werden – ähnlich wie es die IFAB beim „deliberate play“ vorgelebt hat.

Verbunden werden müsste diese – oder eine ähnliche – Regel mit einer Transparenzoffensive, die dafür sorgt, dass sämtliche Medien ausführlich und mehrfach über die Neuerung berichten und sie einleuchtend erklären. Es wird mit Sicherheit auch bei obigem Beispiel Szenen geben, bei denen Fans betroffener Klubs beklagen, ein Schuss aus 4 Metern sei offensichtlich absichtlich abgewehrt worden und hätte daher geahndet werden müssen. Wenn die Regel aber klar und eindeutig festgelegt und verbindlich kommuniziert wird, dann sollte jeder Fußballfan damit ein Stück weit besser leben können.

Im Falle des „deliberate play“ würde es im Übrigen vermutlich schon ausreichen, die direkten Formulierungen des IFAB korrekt ins Deutsche zu übersetzen und sich beim DFB die Referenzszenen doch einmal anzuschauen und sie seinen Schiedsrichtern korrekt zu vermitteln.

 

Forderung 2: Schafft den VAR-Eingriff bei Wahrnehmungsfehlern ab!

Keep it simple and stupid sollte selbstverständlich auch und ganz besonders für den VAR gelten. Der Einsatzkatalog, wann der VAR eingreifen darf – bei Torerzielung, Elfmetern, Roten Karten, Verwechslung eines Spielers – ist ein Positivbeispiel für eine solche einfache und verständliche Umsetzung.

Trotzdem krankt der VAR u. a. daran, dass niemand versteht, wann er warum zum Einsatz kommt. Von „Willkür“ ist dann schnell die Rede, weil jeder Fan den subjektiven Eindruck hat, sein Verein werde systematisch benachteiligt. Tatsächlich hält sich hartnäckig der Mythos, der VAR dürfe ausschließlich bei „klaren Fehlern“ des Feldschiris zum Einsatz kommen. So wurde es vor über fünf Jahren bei Einführung zunächst kommuniziert und versprochen.

Später stellte sich heraus, dass die Regelhüter daneben noch einen weiteren Einsatzbereich für den VAR vorgesehen haben, den so genannten „serious missed incident“. Wenn der Feldschiedsrichter eine Situation nicht oder falsch wahrgenommen hat, dann soll er auch bei ggf. uneindeutigen Situationen eine Chance zum „field review“ bekommen und sich die Szene am Spielfeldrand selbst im TV ansehen. Ein "klarer, offensichtlicher Fehler" muss in diesem Fall nicht unbedingt gegeben sein, denn der Schiedsrichter soll die auf dem Feld nicht oder falsch wahrgenommene Szene mit Hilfe der TV-Bilder völlig neu bewerten.

Aufgrund der fehlenden Transparenz stellt sich für den Zuschauer – im Stadion noch viel mehr als vor dem Fernseher – jedes Mal aufs Neue die Frage, warum der Eingriff denn im vorliegenden Fall erfolgt sein mag. Hat der VAR einen klaren Fehler gesehen oder lag es doch an der fehlerhaften Wahrnehmung des Schiedsrichters auf dem Feld. Und welche Wahrnehmung hatte dieser? Welche hatte der VAR? Wie wurde dies zwischen den beiden kommuniziert.

All dies ist dem Außenstehenden nicht zu vermitteln – schon gar nicht, wenn er so emotional involviert ist wie ein Fußballfan. Subjektive Wahrnehmungen können auf dieser hoch emotionalen Ebene nur schwer nachvollzogen werden, weil sie bei jedem Menschen subjektiv anders erfolgen.

Der VAR täte gut daran, zu seinem ursprünglichen Versprechen zurückzukehren, ausschließlich bei klaren Fehlentscheidungen auf dem Feld eingreifen zu dürfen. Auch hier würde es noch zu Diskussionen kommen, da die Frage, was klar oder eindeutig ist, ebenfalls subjektiv unterschiedlich beantwortet werden kann. Dies ist aber deutlich seltener der Fall und für den Fan besser nachzuvollziehen als die zahlreichen Situationen, die sich durch die zusätzliche Wahrnehmungs-Komponente ergeben.

 

Forderung 3: Gebt der Challenge eine Chance!

Eine der beliebtesten Forderungen rund um den VAR ist die der Challenges. Idee: Jede Mannschaft erhält pro Partie bis zu zwei oder drei Möglichkeiten, bei strittigen Aktionen eine Challenge zu beantragen, sodass sich der Schiedsrichter die Szene am TV ansehen kann. Dies würde dazu beitragen, dass zumindest der Einsatz des VAR nicht mehr dem Schiedsrichter-Team angelastet werden könnte. Die meisten Diskussionen würde es allerdings nur verlagern, denn noch immer wäre es einzig der Schiedsrichter, der die Szene subjektiv – manche werden schreien „willkürlich“ – bewertet und eine Entscheidung trifft. Auch diese wird nicht immer im Sinne jedes Fans ausfallen (können).

Einen Nachteil bietet die Challenge zudem, da sie taktisch eingesetzt werden kann – indem der Trainer z. B. eine relativ belanglose Szene für eine willkommene Auszeit nutzt, um eine Druckphase des Gegners zu unterbrechen. Es müssten daher in jedem Fall klare Vorgaben gesetzt werden, dass die Challenge nur bei bestimmten, eng gesteckten Spielsituationen zum Einsatz kommen darf.

Insgesamt bin ich kein bedingungsloser Freund dieses Vorschlags, hielte aber einen Test in einer (kleineren) Liga für sinnvoll, um die praktische Umsetzbarkeit zu prüfen. Es wäre ggf. die Chance für einen Neuanfang des VAR, bei dem aus den Fehlern der erstmaligen Einführung vor fünf Jahren gelernt werden könnte.

 

Forderung 4: Akzeptiert die menschliche Fehlbarkeit des Schiedsrichterteams – auch vor dem Fernseher!

Es wäre viel gewonnen in der Diskussion, wenn wir uns alle damit abfinden könnten, dass der VAR nicht mehr und nicht weniger als ein Assistent des Schiedsrichters ist, der diesen mit Hilfe zumeist besserer Informationen unterstützt, der aber – gerade bei Grauzonenentscheidungen – auch menschliche Fehler machen kann. Es mag zwar der gefühlten Wahrnehmung entsprechen, mit Fehlern ohne VAR-Einwirkung emotional „besser“ leben zu können. Rational macht dies aber keinen Unterschied, wie der Fehler entsteht. Im Ergebnis ist ein Fehler ein Fehler.

Die allermeiste Kritik am VAR wird ohnehin dann laut, wenn es auch ohne VAR-Unterstützung durch den Feldschiedsrichter zu derselben Entscheidung gekommen wäre. Schon der im Sprachgebrauch etablierte und auch von Funktionären inflationär gebrauchte Begriff „Videobeweis“ suggeriert eine Verbindlichkeit der VAR-Entscheidungen, die dieser niemals liefern kann. Wenn sich drei Personen eine komplizierte Spielsituation vor dem Fernseher anschauen, dann kann es am Ende gut und gerne vier verschiedene Meinungen zu dieser Szene geben. Dies ist im Kölner Keller ebenso möglich wie bei uns zuhause im Wohnzimmer.

 

Forderung 5: Setzt dem VAR ein Zeitlimit für schnellere Entscheidungen!

Wenn wir uns darauf einigen könnten, dass menschliche Fehler zum Schiedsrichterwesen dazugehören und „nur“ die Wahrscheinlichkeit für ihr Eintreten reduziert wird, könnten wir lieber darüber reden, wie sich der VAR fanfreundlicher umsetzen ließe. Was tatsächlich nervt sind nämlich die oft viel zu langen Pausen, die durch den VAR verursacht werden. Dies ist wiederum nicht unwesentlich den endlosen Diskussionen im Falle einer (vermeintlich) fehlerhaften Entscheidung geschuldet. Wenn Du als Schiedsrichter weißt, dass Du bei jeder subjektiv strittigen Aktion anschließend von den Fans der betroffenen Vereine für Tage durchs soziale Medien-Dorf getrieben wirst, dann wirst Du Dir so viel Zeit nehmen wie nötig, um Deine Entscheidung so gut wie möglich abzusichern.

Besser für das Spiel wäre es, wenn der VAR innerhalb eines eng abgestimmten Zeitrahmens (z. B. innerhalb von einer Minute) auf Basis der in diesem Zeitraum vorliegenden Bilder urteilen würde. Alles, was er in dieser Zeit nicht eindeutig entscheiden kann, ist offensichtlich nicht eindeutig genug und sollte daher nicht verändert werden. Dies könnte aber nur funktionieren, wenn anschließend akzeptiert würde, dass einige Entscheidungen nicht verändert werden, die aus Sicht mancher emotionaler Fans „eindeutig als falsch“ hätten erkannt werden müssen. Es kann und muss allein im Ermessen des Schiedsrichter-Teams liegen, was als „eindeutiger Fehler“ gilt bzw. in der vorliegenden Zeit erkennbar war. Darüber darf sich hinterher aufgeregt werden, wenn man anderer Meinung ist. Es hilft aber nicht, wenn gleich jede subjektiv strittige Entscheidung direkt zu einer Generalabrechnung mit dem ganzen Verband oder dem VAR-System hochstilisiert wird.

Wer den Schiedsrichtern per se mit der Einstellung entgegentritt, dass sie ohnehin alle nur korrupt sind und den eigenen Verein aus Prinzip benachteiligen möchten, der wird sich darauf natürlich nicht einlassen können. Der sollte sich dann aber auch nie wieder über Tobias Levels und seine verrückten Verschwörungstheorien lustig machen.

 

Forderung 6: Akzeptiert die statistischen und logischen Fakten zum VAR!

Widmen wir uns einmal dem unterschätzten Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung, das in vielen Fragen des Alltags eine wesentliche Entscheidungshilfe bietet. So z. B. bei den folgenden hoch emotionalen Diskussionsthemen dieser Tage:

  1. Wer gegen das Corona-Virus geimpft ist, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht an Corona erkranken als ein Ungeimpfter. Trotzdem kann er das Virus weiterhin bekommen und sogar daran sterben. Er erleidet aber mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einen schweren Verlauf.
  2. Wer eine Maske trägt, der schützt sich und seine Mitmenschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit vor einer Virusinfektion. Trotzdem kann es weiterhin zu einer Übertragung kommen.
  3. Wer regelmäßig mit 130 km/h über die Autobahn fährt, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit unfallfrei bleiben, als wenn er 240 km/h fährt. Er kann aber trotzdem noch immer einen Unfall verursachen oder gar sterben. Letzteres wird allerdings mit relativ höherer Wahrscheinlichkeit nicht passieren.
  4. Wer als Schiedsrichter auf Basis besserer Informationen, wie z. B. den Fernsehbildern gegenüber den Live-Bildern seiner Augen auf dem Feld, entscheidet, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit richtige(re) Entscheidungen treffen. Fehler wird er weiterhin machen, nur eben seltener.

Dies alles ergibt sich logisch aus den Grundprinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Es veranschaulicht u. a., dass Impfungen oder Masken im Durchschnitt sinnvolle Maßnahmen gegen das Corona-Virus sind – selbst wenn sie in Einzelfällen nicht oder sogar negativ wirken mögen. Eine Vermittlung dieses Denkprinzips zur rationalen Entscheidungsfindung wäre schon zu Schulzeiten viel stärker von Nöten. Leider gibt es nämlich sehr viele Menschen, die mit diesen axiomatischen Grundprinzipien nichts anfangen können und sich stattdessen lieber auf ihre „gefühlte Wirklichkeit“ verlassen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt durchaus Argumente gegen das Tempolimit oder den VAR. Wer gerne schnell Auto fährt und mehr Wert legt auf einen entsprechenden Zeitgewinn als auf Sicherheit im Straßenverkehr, der darf dies in einer Demokratie gerne vertreten. Es ist aber Unsinn zu bestreiten, dass ein Tempolimit das Unfallrisiko und den CO2-Ausstoss senken würde.

Genauso gibt es gute Argumente gegen den VAR. Wer z. B. den Spielfluss ohne Unterbrechungen und einen direkten, ungetrübten Torjubel höher schätzt als die mögliche Reduzierung von Fehlern, der kann guten Gewissens eine Abschaffung des VAR für sinnvoll erachten. Es ist aber Unsinn zu negieren, dass eine VAR-Unterstützung die Zahl der Fehlentscheidungen senkt.

Unabhängig von zahlreichen Studien und Messungen, die diese Punkte unzweifelhaft nachweisen, folgen die oben aufgeführten Beispiele schon allein den Gesetzen der Logik und bedürfen daher keiner weiteren Diskussion. Warum haben sehr viele Fußballfans trotzdem den Eindruck als würde der VAR häufiger daneben liegen als helfen und letztlich sogar eher die Zahl der Fehlentscheidungen erhöhen?

Das Problem besteht u. a. in der menschlichen Eigenheit, Empörung deutlich stärker zu äußern als Freude. In der Wahrnehmung der emotionalisierten Fußballfans werden daher regelmäßig nur die (vermeintlichen) Negativbeispiele des VAR hitzig diskutiert – oft verbunden mit einem stumpfen „Schafft ihn ab!1!!1!“. Als zuletzt gegen Union Berlin zwei Gegentore durch den VAR zurecht aberkannt wurden, war dies in Borussias Fangemeinde dagegen kein Thema und wurde stillschweigend zur Kenntnis genommen. Wer erinnert sich noch daran, dass Borussia in München bereits früh mit 0:1 hinten lag, ehe der VAR einschritt und den Treffer wegen klarer Abseitsstellung zurücknahm?

Zuletzt gegen Stuttgart hatte der Verein Glück, dass Rami Bensebaini nicht früh vom Platz gestellt wurde, wie es die erbosten Gästefans vehement einforderten. Vehement sind aber immer nur die Fans der Vereine, die von einer VAR-Entscheidung negativ betroffen sind.

Insgesamt hat der VAR in dieser Saison bereits rund 50 klare Fehlentscheidungen in der 1. Bundesliga revidiert. Wie eine Welt ohne VAR aussehen würde, bekam Borussia zuletzt im DFB-Pokal zu spüren, wo ihr ein glasklarer Elfmeter verweigert wurde, der mit VAR zu 95% gepfiffen worden wäre. Es ist alles andere als absurd zu vermuten, dass Borussia mit einem VAR sehr wahrscheinlich im Pokal hätte überwintern dürfen. 

Es ist gut und wichtig, dass Fußballfans emotional auf die Geschehnisse auf dem Rasen reagieren. Genau das macht den Fußball aus und trennt Vereine wie Borussia von Konstrukten wie in Fuschl am See oder Sinsheim. Zur Emotionalität gehört es dazu, dass man sich über Schiedsrichter-Aktionen gegen den eigenen Verein ärgert – ganz besonders dann, wenn dies dem eigenen Rechtsempfinden so sehr zuwider läuft wie in Bochum. Nichts und niemand sollte dem Fußballsport jemals diese Emotionalität nehmen. Sie darf aber nicht Maßstab sein für die Beurteilung eines Instruments, das rational betrachtet ohne jeden Zweifel – selbst in der mangelhaften Umsetzung des DFB – relativ erfolgreich funktioniert.

Emotional hat der VAR selbst bei perfekter Umsetzung niemals eine Chance. Hätte der Schiedsrichter am vergangenen Dienstag auf Tor entschieden, wäre das Gejammer auf Seiten der Bochumer Fans groß gewesen, die hier zwingend einen VAR-Eingriff verlangt hätten – unterstützt durch den DFB und die Medienmacht von Sky, kicker und Co.

So ist es letztlich bei allen Grauzonenentscheidungen, die durch die Fanbrille immer noch am leichtesten zu beurteilen sind. Auch bei ihnen gilt der Grundsatz der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Auf Basis besserer Informationen, d. h. mit TV-Unterstützung werden im Durchschnitt unzweifelhaft bessere Entscheidungen gefällt. Diese müssen aber nicht unbedingt „besser“ im Sinne der betroffenen Fans ausfallen, sondern allein auf Grundlage der Beurteilung des im Zweifel trotz allem etwas regelkundigeren Schiedsrichters. Wie erfolgreich dies am langen Ende umgesetzt wird, hängt selbstverständlich stark an den Vorgaben der Regelhüter und an der Qualität des Schiedsrichters, die bei den Vertretern des DFB sehr stark schwankt. Ein Sven Jablonsky z. B. fällt nicht ohne Grund weit seltener negativ auf als ein Sascha Stegemann.

 

Forderung 7: Professionalisiert die Schiedsrichter!

Ja, Schiedsrichter verdienen im Profibereich schon jetzt sehr viel Geld und werden umfangreich geschult. Es ist trotzdem schwer nachzuvollziehen, warum sie offiziell noch immer nicht als Profis gelten, sondern teilweise nebenberuflich anderen Berufen nachgehen (dürfen/müssen). Es geht im Fußball um so viel Geld, dass man von den Schiedsrichtern verlangen kann, sich gezielt und vollständig auf diesen Job zu konzentrieren. Verknüpft werden sollte dieses Upgrade mit regelmäßigen gemeinsamen Videoschulungen, bei denen alle Profischiedsrichter – gerne 3-4 Stunden jeden Wochentag – bis zum Umfallen ausgewählte Spielszenen zu bestimmten Streitthemen anschauen und sich auf eine möglichst einheitliche Linie einschwören. Es ist z. B. unfassbar, von Manuel Gräfe zu hören, dass nicht einmal nach einem Bundesliga-Spieltag eine gemeinsame Auswertung und Analyse der jeweils strittigen Szenen erfolgt. Wie sollen die Schiedsrichter dann effektiv aus ihren Fehlern lernen?

Solange Menschen Entscheidungen treffen, wird es niemals eine zu 100 % einheitliche Linie geben können, denn die subjektive Wahrnehmung sorgt ganz automatisch dafür, dass zwei Menschen dieselbe Situation ggf. unterschiedlich bewerten. Dies gilt auf dem Feld wie – in geringerem Maße – selbst vor dem Fernseher. Was man aber durch entsprechende Wiederholungen und Schulungen erreichen kann, ist den Grad der Einheitlichkeit deutlich zu erhöhen. Dies sollte durch eine Professionalisierung verbessert werden können.

Davon abgesehen sollte aber die Erwartungshaltung gedämpft werden, dass professionelle Schiedsrichter automatisch sofort besser pfeifen werden. Hier bedarf es eines längerfristigen Prozesses, da in den vergangenen Jahrzehnten beim DFB vieles in die falsche Richtung gelaufen ist.

 

Forderung 8: Schafft Strukturen im DFB, die das Leistungsprinzip wahren und Korruption verhindern!

Beim DFB haben sich verheerende Strukturen gebildet, die ganz offensichtlich wenig mit einem Leistungsprinzip und viel mehr mit Günstlingswirtschaft zu tun haben. Eng verknüpft ist dies bei den Schiedsrichtern mit dem Namen Hellmut Krug, der bis 2017 als Schiedsrichter-Manager und Projektleiter für den VAR wesentlichen Einfluss auf das Schiedsrichterwesen im DFB genommen hat.

Mit Lutz-Michael Fröhlich, Dr. Jochen Drees und Peter Sippel sind die Zuständigkeiten seit einigen Jahren neu verteilt. Auch an der DFB-Spitze steht mit Bernd Neuendorf seit März dieses Jahres ein neuer Präsident, der sich – anders als einige seiner Vorgänger – immerhin noch nicht mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sieht. Für einen DFB-Präsidenten ist er bislang fast schon unverschämt unverdächtig.

Doch der DFB könnte selbst die reinkarnierte Mutter Theresa oder das gesamte Nonnenkloster von Bad Salzuflen an seine Spitze befördern und würde trotzdem immer unter Generalverdacht stehen, für Geld notfalls alles zu tun. Diesen Ruf haben sie sich über Jahrzehnte hart erarbeitet. Und wenn man ehrlich ist, so sind derartig korruptionsfreundliche Strukturen bei Verbänden ab einer gewissen Größe eher die Regel als die Ausnahme. Wenn es um die Verteilung von Macht und Geld geht, ist Filz und Vetternwirtschaft leider nahezu unvermeidlich. Da passiert beim DFB nichts Anderes als z. B. bei UEFA, FIFA oder IOC.

Deshalb braucht es großen Optimismus, um daran zu glauben, die Strukturen im DFB würden sich jemals nachhaltig bessern können – schon gar nicht in den Augen der Fans, für die der „Scheiß DFB“ ganz weit oben auf der Hassliste steht, irgendwo zwischen Red Bull und der Mutter von Dietmar Hopp.

Dennoch sollte jeder der neu Verantwortlichen beim DFB hart darum kämpfen, das Image so weit wie irgend möglich zu bessern – auch wenn es ein langer Weg ist, der letztlich niemals zu 100 % wird beendet werden können. Die FIFA hat hier ein gutes Vorbild geliefert, indem sie den für Integrität stehenden Ex-Schiedsrichter Pierluigi Collina an die Spitze des Schiedsrichter-Wesens gesetzt haben. Entsprechend positiv waren die Bewertungen dessen Wirkens bei der vergangenen Weltmeisterschaft.

Nicht hilfreich ist es dagegen z. B., wenn der DFB mit Felix Zwayer einen der Protagonisten aus dem Hoyzer-Skandal weiterhin auf höchster Ebene pfeifen lässt. Dessen Beteiligung hätte damals entweder lückenlos und einwandfrei aufgeklärt werden müssen oder man hätte ihn mindestens aus dem Profibereich entfernen müssen. Dass beides bis heute nicht geschehen ist, ist nur eine der zahlreichen Anekdoten, die dem DFB jede Glaubwürdigkeit nehmen. Die Rosenkriege mit den renommierten Ex-Schiedsrichtern Manuel Gräfe und Babak Rafati sind weitere Indizien dafür, dass im Schiedsrichterwesen des DFB einiges im Argen liegt. Solche erfahrenen Leute müssten vielmehr konstruktiv in die bestehenden Strukturen eingebaut werden, um mit größtmöglicher Kompetenz und Integrität für mehr Vertrauen in der Fanbasis zu werben.

 

Forderung 9: Schafft endlich mehr Transparenz!

Vertrauen kann zudem nur zurückgewonnen werden mit einer gnadenlosen-Transparenzstrategie. Der DFB benötigt dringend ein umfangreiches Internetportal, wo alle Fakten und Daten zu seinen Schiedsrichtern und deren Entscheidungen abgebildet werden.

Dort sollten sehr zeitnah nach den Spielen aller Profiligen von einer eindeutigen DFB-Regelinstanz zu ALLEN strittigen Szenen klar Stellung bezogen werden. In besonders diskutierten Fällen gerne auch mit einem erklärenden Video. Jeder Fan sollte transparent nachvollziehen können, warum das Schiedsrichter-Team wie agiert hat und wie dies vom DFB offiziell bewertet wird.

Zudem sollten auf diesem DFB-Schiedsrichter-Portal die Leistungsbewertungen der Schiedsrichter nach jeder Partie offengelegt werden – verbunden mit einer kurzen Begründung des Schiedsrichter-Beobachters. So könnte jeder zum Saisonende transparent nachvollziehen, warum welche Schiedsrichter in den Ligen auf- und absteigen und wie das Leistungsprinzip greift. Da dies nicht geschieht, stellt sich dem aufmerksamen Zuschauer die Frage, warum einige Schiedsrichter seit Jahren in der 1. Liga pfeifen dürfen, obwohl sie immer wieder im Mittelpunkt höchst strittiger Entscheidungen stehen und bei neutralen Fachmagazinen regelmäßig als schlechteste Vertreter ihrer Zunft bewertet werden.

Auch beim VAR ist eine Transparenzstrategie mehr als überfällig. Es ist unerträglich, dass gerade die Fans im Stadion über Minuten hinweg im Dunkeln darüber gelassen werden, welche Szene der Schiedsrichter womöglich gerade auf welche Weise zu prüfen gedenkt. Im Idealfall sollte die strittige Szene auf der Leinwand zu sehen sein und ggf. der Funkverkehr des Schiedsrichter-Teams veröffentlicht werden.

 

Forderung 10: Konzentriert Euch wieder mehr auf den Fußball!

Alles in allem gibt es viel zu verbessern beim DFB, bei der Umsetzung des VAR und bei einzelnen Regeln, die in den letzten Jahrzehnten – zum Teil schon weit vor Einführung des VAR – regelmäßig verschlimmbessert wurden. Hier bedarf es u. a. eines rigorosen Umdenkens im DFB, der sich strukturell-personell verändern muss und einen weiten Weg zu gehen hat, um sich das über Jahrzehnte hinweg verlorene Vertrauen der Fußballfans zumindest zum Teil zurückzuverdienen.

Aber auch wir Fans sollten uns in dieser Debatte hinterfragen, inwieweit wir es uns mit unserer extremen Fokussierung auf (vermeintlich) falsche Schiedsrichter-Entscheidungen nicht zu leicht machen und nicht selten von viel größeren Fehlern unserer eigenen Mannschaft ablenken. Die Suche nach einem externen Sündenbock ist stets bequem und verlockend, führt aber in der langen Frist selten zu fruchtbaren Ergebnissen.

Nur selten sind Fehler so klar und eindeutig wie z. B. beim unterlassenen Elfmeterpfiff in der Partie Frankfurt – Dortmund. Solch menschliches Versagen wird es immer geben, solange Menschen urteilen. Bei den allermeisten Streitfragen gibt es dagegen zumeist unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Entscheidung richtig oder besser gewesen wäre. Es ist kein Problem, dass wir emotionalen Fans durch unsere Fanbrille von unserer Sichtweise hundertprozentig überzeugt sind. Wir sollten aber lernen anzuerkennen, dass es auch andere Meinungen geben kann und dass es letztlich einzig im Ermessen des Schiedsrichters liegt, welche subjektive Auffassung er von einer Szene hat. Im Zweifel sind selbst die qualitativ optimierungsbedürftigen Schiedsrichter des DFB regelkundiger als wir Fans und kennen die Vorgaben ihres Verbands, die nun einmal Grundlage für ihre Spielleitung sind.

Die Wut vieler fokussiert sich primär auf das Instrument VAR, der in den meisten Fällen – wie in Bochum – gar nichts dafür kann oder zumindest nichts wirklich verschlechtert. Das ist zwar nicht wirklich rational, im hyper-emotionalisierten Fußballsport aber verständlich. Ein Beispiel für die irrationale Paradoxität der Diskussion: VAR-Gegner wenden u. a. ein, dass sie lieber in einer Welt ohne Technik, aber dafür mit (deutlich) mehr Fehlentscheidungen leben möchten. Ihre gesamte Diskussion dreht sich jedoch letztlich einzig um allein um (vermeintliche) Fehlentscheidungen. Wenn ihnen diese in Wahrheit gar nicht so wichtig sind, warum dann überhaupt die ganze Aufregung? Lieber sollten sie versuchen, sich diese (angebliche) Gelassenheit auch bei Entscheidungen mit Hilfe des VAR anzutrainieren.

Gefühlte Wahrheiten sind in einem so emotionalen Sport zwar unbedingt zu beachten, sollten aber in der Endbeurteilung nicht stärker gewichtet werden als die rationalen Fakten. Diese sprechen selbst in dieser Hinrunde, die wahrlich nicht optimal für die Schiedsrichter-Zunft des DFB verlaufen ist, eindeutig und unzweifelhaft für die Vorteilhaftigkeit des VAR, was die Reduzierung von Fehlentscheidungen angeht. Von daher darf und wird es kein Zurück mehr geben in die Fußball-Steinzeit.

Wie unsere Betrachtung gezeigt haben sollte, liegen die Probleme weit tiefgründiger - insbesondere in den Strukturen des DFB und der Qualität einzelner Schiedsrichter, die nicht nach Leistung aufgestellt und zudem unzureichend vorbereitet werden. Es ist an der Zeit, die Diskussion endlich konstruktiv und zielgerichtet auf eine Verbesserung dieser Aspekte auszurichten, wozu dieser Artikel hoffentlich seinen Beitrag geleistet haben wird.