Mit dem Ex-Dortmunder Julian Weigl hat Borussia Mönchengladbach einen interessanten, weil oftmals unterschätzten Spieler bis zum Saisonende ausgeliehen. Sollte er sich in dieser Zeit bewähren, besteht dem Vernehmen nach die Möglichkeit für den Verein, ihn zur neuen Saison fest zu verpflichten. Offiziell bestätigt wurde diese Kaufoption vom Verein allerdings nicht.

Etwaige Überlegungen, er könne damit als direkter Nachfolger von Kouadio Koné gelten, der durch seine starken Leistungen das Interesse einiger Topklubs erregt hat, sind aber unbegründet. Sportlich sollten sich die beiden vielmehr sehr gut ergänzen, da sie ihre Rolle auf der 6er-Position unterschiedlich interpretieren. Neben Weigl könnte sich Koné stärker als bisher auf seine offensiven Qualitäten fokussieren. Aber auch ein Florian Neuhaus könnte in dieser Konstellation als (etwas offensiverer) Nebenmann neben dem Ankersechser Weigl wieder als Alternative in Frage kommen.

Borussias Neuzugang dürfte in Borussias aktuellem System eher als direkte Konkurrenz zu Christoph Kramer verstanden werden. Außerdem sollte dieser Transfer dafür sorgen, dass Ko Itakura fortan weiter in der zuletzt von ihm so überragend ausgefüllten Rolle des Innenverteidigers verbleiben wird.

Prädestiniert für „Farkeball“

Der ab kommender Woche 27jährige Weigl ist wie kaum ein anderer Spieler auf ein für ihn brauchbares Spielsystem angewiesen, um sein Potenzial vollständig auszuschöpfen. Sein großer Förderer beim BVB war Thomas Tuchel, dessen Ballbesitzfußball Weigls Stärken bestmöglich entgegenkam. Dies dürfte der Grund dafür sein, warum sich Daniel Farke so sehr für eine Verpflichtung eingesetzt hat, da er ähnliche Absichten mit ihm verfolgen dürfte wie einst Tuchel.

Julian Weigl agiert am besten als so genannter Ankersechser zwischen den Innenverteidigern und dem/den 8er/n. Er leitet die Angriffe seiner Mannschaft lieber ein als Chancen direkt vorzubereiten. Deswegen kann er auf extrem wenige Torbeteiligungen verweisen, weshalb er in der Öffentlichkeit oft etwas unter dem Radar läuft und manchmal unauffällig wirkt. In Dortmund z. B. war er über 4 ½ Jahre lang fast dauerhaft Stammspieler, ohne dafür die ganz große Anerkennung zu erhalten.

Weigl ist sehr präsent auf dem Platz mit einer überragenden Übersicht und Spielintelligenz. Er kann das Spiel von der Mittelfeldzentrale lenken und kontrollieren. Dabei ist er in der Lage, sich mit kurzen, geschickten Dribblings aus schwierigen Situationen zu befreien, um sich in eine bessere Position für seine zahlreichen und meist präzisen Pässe zu bringen, mit denen er Angriffe einleitet oder das Spiel geschickt verlagert.

Große (internationale) Erfahrung

Dafür, dass er mit (noch) 26 immer noch im besten Fußballeralter ist, verfügt er bereits über sehr große Erfahrung. Für den BVB absolvierte er 171 Partien (4 Tore/3 Vorlagen), für Benfica Lissabon weitere 115 (5 Tore/5 Vorlagen) – davon insgesamt 63 international. Durch die Auslandserfahrung sowie die Geburt seiner Tochter 2020 ist Weigl nach eigenen Angaben „reifer und erwachsener“ geworden.

Sollte er dies bei Borussia unter Beweis stellen, könnte er ein Kandidat für die WM 2022 in Katar werden. Nicht ohne Grund hat ihn Hansi Flick im März dieses Jahres in den Kader der Nationalelf berufen, wo er beim 2:0 gegen Israel nach fünfjähriger Abstinenz sein 6. Länderspiel absolvierte. Sein Debüt hatte er bereits mit 20 Jahren gegeben. Die EM 2016 kurze Zeit später verfolgte er ohne Einsatz von der Bank aus.

Schwächen in der Dynamik

Bei aller Lobhudelei seien seine Schwächen nicht verschwiegen. Ihm fehlt es für das absolute Topniveau ein wenig an Dynamik, Geschwindigkeit und Spritzigkeit. Außerdem ist seine Zweikampfbilanz für einen Defensivspieler überschaubar, wenngleich er daran mit zunehmender Erfahrung zuletzt gearbeitet hat. Seit Beginn seiner Karriere war Weigl immer auf dem Sprung zu einem echten Weltklassespieler, den er aber final nie vollständig bewältigen konnte.

Karrierestart bei den Löwen

Ursprünglich stammt Borussias neuester Neuzugang aus der Jugend des TSV 1860 München, wo er u. a. mit Marius Wolf und Robert Glatzel zusammenspielte. Bereits mit 18 Jahren gab er am Valentinstag 2014 sein Zweitligadebüt und erarbeitete sich direkt einen Stammplatz bei den Löwen, deren Kader in dieser Saison mit Spielerlegenden wie Benjamin Lauth, Daniel Bierofka, Gabor Kiraly und Rob Friend bestückt war.

Weigl überzeugte seinen Trainer Ricardo Moniz derart, dass der ihn zum Beginn der Saison 2014/15 zum jüngsten Kapitän der Vereinsgeschichte machte. Eine Ehre, die allerdings nur wenige Wochen anhielt, bis er sich mit einigen Teamkollegen bei einer nächtlichen Sauftour negativ über den Verein äußerte und die Kapitänsbinde wieder abgenommen bekam.

Auch zu den Jugendnationalmannschaften des DFB wurde Weigl zu dieser Zeit regelmäßig eingeladen. Sein größter Erfolg war dabei das Erreichen des Viertelfinals bei der U20-WM 2015, das gegen Mali nach Elfmeterschießen verloren ging.  

Durchbruch in Dortmund

Das Talent des Mittelfeldstrategen blieb auch den Topklubs des Landes nicht verborgen, sodass er zur Saison 2015/16 zum BVB wechselte und mit 20 Jahren unter Tuchel auf der 6er-Position direkt gesetzt war. Sein 1. Bundesligaspiel absolvierte er im August 2015 beim 4:0 über Borussia Mönchengladbach. Trotz seiner regelmäßigen Einsätze dauerte es über zwei Jahre, bis er die erste Torbeteiligung in Liga 1 verzeichnen konnte – naturgemäß erneut bei einem Kantersieg (6:1) gegen Borussia im September 2017.

Den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erlebte Weigl kurz zuvor mit dem Pokalsieg 2017, wenngleich er beim Finale aussetzte. Im Mai 2017 hatte er sich die einzig größere Verletzung seiner bisherigen Karriere zugezogen, als er wegen eines Sprunggelenkbruchs 3 Monate pausieren musste und somit auch die Saisonvorbereitung auf die Saison 2017/18 verpasste. Abgesehen davon fehlte Weigl in seiner gesamten Karriere verletzungsbedingt bislang noch nie für mehr als eine Partie.

Von Favre nach Lissabon getrieben

Mit dem Abgang von Tuchel kurz nach dem Pokalsieg begann auch die Karriere von Weigl zu stagnieren. In der BVB-Chaos-Saison 2017/18 unter Bosz/Stöger erreichte kaum ein Dortmunder seine Bestform. 2018/19 passte Weigl nicht in das Spielsystem von Lucien Favre, weshalb er zum ersten Mal in seiner Karriere für längere Zeit auf der Bank Platz nehmen musste. Zur Rückrunde zwang die Personalnot den Trainer dann aber dazu, ihn in der Innenverteidigung wieder regelmäßig einzusetzen. Eine Rolle, die der immer noch erst 23jährige zufriedenstellend ausfüllte, die seinen Qualitäten aber nicht vollständig gerecht wurde. Folgerichtig trennten sich im Januar 2020 die Wege, weil Benfica Lissabon bereit war, ihn für 20 Millionen Euro abzulösen.

Trainer Bruno Lage, der ihn als seinen Wunschspieler auserkoren hatte, blieb unglücklicherweise nur ein halbes Jahr im Amt. Auch bei Benfica litt Weigl daher – wie zuvor beim BVB in der Nach-Tuchel-Zeit mit Bosz, Stöger und Favre – unter ständigen Trainerwechseln. Seit er zum 1. Januar 2020 für 20 Mio. Euro nach Lissabon gewechselt war, wurde er von vier Trainern unterwiesen – zuletzt von Roger Schmidt, der den für Weigl ebenso wenig wie für Borussia geeigneten Stil der Roten Bullen pflegt.

Rekordträger

Öffentliche Aufmerksamkeit bekam der Ex-Löwe durch einen Bundesligarekord, den er am letzten Spieltag der Saison 2015/16 aufstellte: Obwohl er schon nach 83 Minuten ausgewechselt wurde, kam er auf 214 Ballkontakte. Gegner war allerdings auch nur der 1. FC Köln.

Weiteres, eher unschönes Kuriosum: Bereits zweimal wurde der Neu-Borusse Opfer eines Angriffs auf den Mannschaftsbus. Im April 2017 saß er zusammen mit Matthias Ginter im Bus des BVB vor dem CL-Spiel gegen AS Monaco, der Ziel eines (zum Glück vereitelten) Sprengstoffanschlags wurde. Im Juni 2020 verletzte sich Weigl durch einige Glassplitter, die von Steinwürfen auf den Benfica-Bus verursacht wurden.

In Mönchengladbach wird sich die Karriere von Julian Weigl hoffentlich erfreulicher fortsetzen. Bisher hat er sich auf all seinen Stationen schnell einen Stammplatz erarbeitet, den er anschließend so gut wie nie wieder dauerhaft hergab. Es bestehen gute Aussichten darauf, dass ihm dies auch in Mönchengladbach gelingen wird.