seitenwahl 20211016 AJ7X5370Samstagnachmittag auf dem Sofa in Schwetzingen. Es läuft die 15. Spielminute und Borussia Mönchengladbach führt 2:0 in Freiburg. In normalen Zeiten ein Grund zur Euphorie, gestern war mein Gedanke: „Na gut, dann gewinnt Freiburg halt nur 6:2“. So wäre es dann beinahe auch gekommen, nicht der Höhe nach, aber mit einem Freiburger Sieg.

Denn das Spiel lief im Grunde genommen nach einem aus den letzten Wochen bekannten Schema ab, das man so schon in den Spielen in Stuttgart, in Bochum, gegen Mainz, in Fürth und eben auch gestern erkennen konnte: Die Mannschaft beginnt recht ordentlich, spielt gut mit und ist teilweise sogar überlegen. Die Mannschaft geht sogar in Führung, gerne auch mit 2:0. Dann passiert immer dasselbe. Die Mannschaft geht nicht auf das 3:0, sondern stellt das Spiel ein und lässt sich von aggressiver werdenden Gegnern immer tiefer in die eigene Hälfte drängen, legt gravierende Probleme im Abwehrverhalten offen, gewinnt kaum mehr einen zweiten Ball und versucht mehr schlecht als recht einen Vorsprung zu verwalten. Fängt die Mannschaft ein Gegentor, bricht sie gerne richtig ein. Gegen Fürth ist das gutgegangen, weil dem Gegner schlicht die Qualität fehlte, um aus der Gladbacher Passivität auch nur ansatzweise Kapital zu schlagen. Gegen Bochum ist das dank eines Bekloppten auf der Tribüne gutgegangen, denn zum Zeitpunkt des Abbruchs war Bochum klar überlegen. Gegen Mainz dagegen musste man am Ende nach einem regelrechten Mainzer Sturmlauf mit dem einen Punkt mehr als glücklich sein und in Stuttgart ging diese Gladbacher „Taktik“ völlig in die Hose.

Als gestern also die Mannschaft ab ca. der 20. Minute begann, in das gewohnte Schema zu verfallen und das Ergebnis nur mehr zu verwalten, war – da Freiburg zweifelsohne eine andere Qualität repräsentiert als Fürth und Bochum – nur noch die Frage, ob das Ergebnis mehr Stuttgart oder Mainz ähneln würde.

Und so kam es dann auch. Zwar brauchte Freiburg einen aus meiner Sicht unberechtigten Elfmeter, zum Anschlusstreffer, legte dann aber recht schnell den Ausgleich durch einen schönen Schuß von Günther nach und ging in der 80. Minute in Führung, begünstigt durch das erneut naive Abwehrverhalten der Gladbacher im eigenen Strafraum nach einer Ecke. Zu keinem Zeitpunkt hatte man nach dem Ausgleich und der Freiburger Führung das Gefühl, dass von den Borussen noch etwas kommen könnte. Denn Freiburg machte das, was eine gute Mannschaft in so einer Situation macht – weiter nach vorne spielen. So war denn das 3:3 in der Nachspielzeit sehr überraschend und ein sehr glückliches Ende des Spiels, kein Euphorieauslöser.

Zu den „Talking Points“ des Spiels:

Ohne Gladbachbrille betrachtet ist der erste Elfmeter glücklich für Gladbach und sehr unglücklich für Freiburg, aber im Ergebnis ein berechtigter Elfmeter.

Ebenfalls ohne Gladbachbrille betrachtet war der zweite Elfmeter in meinen Augen unberechtigt. Es ist richtig, dass Lainer Höfler im Strafraum leicht touchiert hat. Es ist auch richtig, dass Höfler deshalb gefallen ist (wobei man daran zweifeln darf, dass er fallen musste). Nur war das eine der vielen Berührungen, die sich in dem Getümmel, das vor einer Ecke üblicherweise im Strafraum herrscht, schlicht und einfach nicht vermeiden lassen. Dieser Berührung – wie in verschiedenen Medien geschehen – das Etikett „Tritt“ aufzukleben, um den Elfer (nachträglich) zu rechtfertigen, ist eine grobe Übertreibung. In neun von zehn Fällen heißt es da im Nachhinein: „Ja, da ist eine Berührung, aber das reicht nicht für einen Elfer!“. Gestern war der zehnte Fall, das muss man so hinnehmen, darf aber zugleich die Frage stellen, ob in diesem Fall das Eingriffskriterium „Der ursprüngliche Schiedsrichterentscheid darf nur geändert werden, wenn die Videoaufnahmen eindeutig belegen, dass eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung vorliegt.“ nicht klar und deutlich überdehnt wurde.

Am Ende noch ein Wort zum Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans. Auch wenn ich die Wortwahl „Schande für Stadt und Verein“ für überzogen halte, fand ich es in Ordnung, der Mannschaft mit dem Plakat nahezubringen, wie die unterirdische Vorstellung im Derby auf der Tribüne ankam. Deutlich ambivalenter ist die Reaktion auf den späten Ausgleich, eine demonstrative Jubelverweigerung und wohl auch unschöne Worte Richtung Stindl, als dieser in die Kurve ging. Ja, auch mich hat dieser Ausgleich nicht in Euphorie versetzt. Allerdings ist gerade Lars Stindl eindeutig der falsche Adressat für Unmutsbekundungen, weil der Mannschaftskapitän einer der Spieler ist, die keinem mehr Loyalität und Engagement beweisen müssen. Insofern würde man sich von der Kurve ein wenig mehr Differenzierungsvermögen erwarten, je nachdem, wer da gerade vor der Kurve feiert.