War das schon wieder die Wende der Wende? Gegen Mainz 05 zeigte Borussia eine Halbzeit lang eine vernünftige Leistung, verfiel aber nach der Pause in eine Spielweise, in der alle Probleme, die die Mannschaft in dieser Saison zu einem Abstiegskandidaten machen, aufs Augenfälligste zusammenkamen. Am Ende musste sich Borussia bei Yann Sommer und beim lieben Gott bedanken, dass sie wenigstens einen Punkt aus dieser Begegnung mitnehmen konnte. Festzuhalten bleibt: Abstiegskampf liegt dem Gebilde Borussia Mönchengladbach nicht. Der falsche Trainer für diese Situation trainiert die falsche Mannschaft für diese Situation. Der fehlen die Mittel, die Ernsthaftigkeit und die geistigen und körperlichen Voraussetzungen, um die Lage anzunehmen, wie sie nun mal ist. So ist der Absturz auf den Relegationsplatz weiterhin ein denkbares Szenario, auch wenn vieles dafür zusammenkommen müsste. Dass die Mannschaft die nötigen Punkte ohne Schützenhilfe von außen sammelt, darauf sollte man sich nicht verlassen. Wer so agiert, wie Borussia in der zweiten Halbzeit gegen Mainz, der kann auch an Fürth scheitern, der ist auch in einem möglicherweise hitzigen Derby gegen Köln überfordert.

Die ordentliche erste Hälfte wollen wir nicht unterschlagen. Borussia kontrollierte das Spiel gegen nickelige aber spielerisch limitiert wirkende Mainzer. Früh schon zeigten sich auch Schwächen in der Spielleitung. Schiedsrichter Daniel Schlager pfiff völlig ohne Linie. Mehrere verwarnungswürdige Fouls gegen Borussia blieben schon früh ungeahndet, offenbar vergaß der Schiedsrichter nach einer Vorteilsituation nach Trikothalten gegen Plea schlicht, die fällige Karte noch zu zücken. In der zweiten Halbzeit wurde das noch ein mitentscheidender Faktor.

Dass Borussia mit einer Führung in die Pause ging, war jedenfalls verdient. „Sie haben es begriffen“, war die fast einhellige Reaktion auf den gut gefüllten Tribünen. Das Spiel war nicht schön anzusehen, aber die Verhältnisse schienen klar. Waren sie aber nicht.

Mainz übernahm im zweiten Durchgang direkt die Initiative und erwischte Borussia damit völlig auf dem falschen Fuß. Bei den Gladbachern lief nichts mehr zusammen. Spielaufbau fand nicht mehr statt. Das Scharnier zwischen Verteidigung und Offensive fehlte vollkommen. Im Mittelfeld gewann Borussia, je länger das Spiel dauerte, immer weniger Zweikämpfe. In der letzten halben Stunde war es gefühlt keiner mehr. Schon früh versuchte man es mit langen Bällen, wobei oft nicht zu erkennen war, ob diese langen Bälle der Versuch waren, einen Angriff zu inszenieren oder nur panische Befreiungsschläge, weil die Mainzer Borussia hinten einschnürten. Spätestens jetzt zeigte sich, dass die beiden Sechser Koné und Neuhaus in ihrer Rolle überfordert waren. Ersterer lief sich immer wieder fest. Letzterer spielte gelegentlich Pässe, die allenfalls gut gemeint waren.

Der logische Wechsel wäre gewesen, das defensive Mittelfeld mit Christoph Kramer zu verstärken und Neuhaus dadurch zu erlösen, dass man ihn eine Position vorrückt. Stattdessen brachte Trainer Adi Hütter in der letzten halben Stunde den jungen Conor Noß für Lars Stindl. Einem jungen Spieler eine Chance zu geben, ist grundsätzlich eine lobenswerte Idee. In einem so wichtigen Spiel, das Spitz auf Knopf steht, in dem es offenkundige strukturelle Probleme gibt, tut man diesem Spieler allerdings eher keinen Gefallen. Zur Ehrenrettung des Deutsch-Iren sei gesagt, dass er nichts falsch machte und sogar eine der wenigen Halbchancen im zweiten Durchgang vorbereitete. Besser wurde das Spiel mit Noß, der Stindl positionsgetreu ersetzte, aber nicht. Wie auch?

Adi Hütter reagierte also im Grunde gar nicht, das aber konsequent bis zum Schluss. Folglich änderte sich auf dem Platz auch nur, dass Mainz immer stärker wurde. Um den Ausgleich hatte Borussia schon quasi gebettelt. Danach wurde es ein Nervenspiel. Und das beherrschte Mainz deutlich besser. In der Schlussviertelstunde brachten die Rheinhessen alles auf den Platz, das Borussia fehlte: Sie waren giftig, oft an der Grenze zur Legalität, sie waren lauffreudig, sie waren wach und sie gingen bis zum Schluss mit aller Kraft drauf. Borussia dagegen fehlte erneut früh genau diese Kraft. Schon gegen Hertha BSC wurden ab der 70. Minute immer wieder Spieler von Krämpfen geplagt und waren offensichtlich platt. Diesmal war es nicht anders. Die Kondition reicht offenbar nicht für ein normales Bundesligaspiel. Wäre es kein Heimspiel gewesen, man hätte glatt ein fliegendes Bier herbeigesehnt, um die Spieler zu erlösen. Dabei hatte sich die Mannschaft vorher nicht einmal auffällig aufgerieben. Die Laufleistung war unterdurchschnittlich. Auch hier muss sich der Trainer fragen, wie das sein kann. Ja, einige Spieler waren verletzt, andere hatten Corona, aber dass eine einfachbelastete Bundesligamannschaft nicht in der Lage zu sein scheint, 90 Minuten engagiert Fußball zu spielen, lässt sich nicht auf externe Faktoren allein zurückführen. Hier stimmt etwas nicht. Ist es die Leistungssteuerung im Training? Immerhin ergeben sich auch da immer wieder Muskelverletzungen, die Spieler länger außer Gefecht setzen. Oder ist der Spielansatz von Adi Hütter an und für sich so kraftraubend, dass dieser Kader damit nicht zurechtkommt? Man kann nur hoffen, dass sich das Trainerteam diesen Fragen nicht völlig verschließt. Die offenbar nötige Lernfähigkeit ist bisher leider nicht zu erkennen.

Der Kopf ist natürlich auch ein Faktor. Dass Borussia den Kampf annehmen kann, hat die Mannschaft in Bochum gezeigt. Gegen Mainz war das wiederum nicht der Fall. Die Aggressivität des Gegners brachte Borussia völlig aus dem Konzept, sofern eins vorhanden war. Wie erwähnt darf ein souveräner Schiedsrichter hier auch mal eingreifen. Das Kratzen und Beißen der Mainzer war beeindruckend, aber eben teilweise auch jenseits dessen, was auf dem Fußballplatz erlaubt sein sollte. Spätestens beim wiederholten Einsatz des Ellenbogens muss es auch mal eine Ansage geben. Die gab es bei Herrn Schlager nicht. Die Reaktion der womöglich benachteiligten Mannschaft darf dann aber auch nicht sein, den Kopf einzuziehen.

So konnte eine spielerisch und technisch höchstens durchschnittliche Mainzer Mannschaft eine deutlich höher veranlagte Truppe fast an die Wand drücken. Ohne den einmal mehr überragenden Yann Sommer und ohne die freundliche Unterstützung von Latte und Pfosten hätte Borussia dieses Spiel verdient verloren. Optimistisch nach vorne zu sehen, fällt nach dem Leistungsabfall in der zweiten Halbzeit schwer. Die Mannschaft wirkt überfordert, ohne innere und äußere Führung. Dabei sind die Voraussetzungen okay: Ein Sieg in Fürth und einer gegen Köln und wir können einen Haken an diese grauenvolle Saison machen, bevor die dicken Brocken Freiburg (a) und Leipzig kommen. Wahrscheinlicher ist nach Lage der Dinge, dass wir erst am letzten Spieltag ganz entspannt werden aufatmen können. Bis dahin schwebt das Worst-Case-Szenario „Relegation gegen Schalke“ über dem Borussia-Park.