huetterBorussia Mönchengladbach: Null. Borussia Dortmund: Sechs. Wer die Geschichte dieses Spiels erzählen und analysieren will (oder vielleicht besser: muss), kommt zunächst nicht um die Tatsache herum, dass die Dortmunder Führung zur Halbzeit in dieser Höhe sehr glücklich war. Denn während Dortmund in der ersten Halbzeit aus 4-5 Torschüssen zwei Tore machte, waren die Gladbacher Abschlussversuche gleicher Anzahl nicht vom Glück begünstigt. Besonders deutlich wird das beim Betrachten zweier fast identischer Situationen: Beim Stand von 0:0 schießt Koné aufs Tor, der Ball rutscht unter Kobel durch und fliegt, durch diesen abgelenkt, knapp neben das Tor. Beim Stand von 1:0 schießt Malen aufs Tor, der Ball rutscht unter Sommer durch, der ist auch dran, aber der Ball trudelt ins Tor. Auch in der zweiten Halbzeit gab es durchaus noch die Möglichkeit, dem Spiel eine andere Wendung zu geben, am deutlichsten natürlich bei Hofmanns Lattenschuss. Auch hier: Hofmann trifft die Latte, der Ball fliegt raus. Danach trifft Wolf die Unterkante der Latte, der Ball ist zum 3:0 drin.

Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man sich bei positiver Grundeinstellung noch dazu verleiten lassen, den Spielverlauf mit der alten Brehmeweisheit von der Scheiße am Fuß zu erklären. Aber auch zu diesem Zeitpunkt lagen die Defizite bereits offen, die am Ende zum zweiten 0:6-Debakel in dieser Saison führten:

Die Spieler in Schwarz-Gelb waren nahezu immer in Bewegung, die in Grünweiß erst dann, wenn sich das Spiel irgendwie auf sie zu bewegte. War der Ball woanders, verfielen viele Gladbacher in einen gemütlichen Zockeltrab, den sich noch nicht einmal Günter Netzer in den 70ern hätte leisten dürfen und wachten aus diesem Zustand erst wieder auf, wenn sie das nächste Mal überrannt wurden. Die gemessenen Laufleistungen belegen das deutlich und sind angesichts des Donnerstagspiels der Dortmunder ein Armutszeugnis für die Gladbacher Borussen.

Daraus resultierte, dass Dortmund im gesamten Spiel zu nahezu jedem Zeitpunkt Überzahl in Ballnähe hatte, sowohl defensiv als auch offensiv, während bei Borussia Mönchengladbach keinerlei funktionierende Grundordnung erkennbar war, weder defensiv noch offensiv. Es war nicht einmal der Versuch erkennbar, gegen den Ball Räume eng zu machen. Mehrfach im Spiel durfte beispielweise Dahoud nahezu unbehelligt von irgendwelchen Störmanövern mit dem Ball am Fuß buchstäblich von Box zu Box laufen. Noch nicht einmal ein taktisches Foul gehörte in solchen Situationen zum Repertoire der Gladbacher Defensive. Das Gladbacher Pressing wirkt unsortiert, erratisch und unsystematisch und löst bei ballsicheren Gegnern vermutlich Heiterkeit aus. Greift einer den Ballführenden an, rückt die Formation dahinter selten bis nie nach, was dazu führt, dass der Angreifer eher Lücken öffnet als den Gegenspieler unter Druck zu setzen und dann locker überspielt werden kann.

Gepaart mit einer frappierenden Differenz in der Reaktionsgeschwindigkeit auf sich verändernde Spielsituationen und der üblichen Galavorstellung von Reus gegen Gladbach führen diese Verhaltensweisen zu der erlebten Klatsche.

Am Sonntagabend dürfte deutlich geworden sein, dass die beobachtete Misere nichts damit zu tun hat, ob die Mannschaft mit Dreier- oder Viererkette agiert. Mit Dreierkette stand es 0:2, mit Viererkette 0:4. Man kann daraus vermutlich keine Präferenz für die Dreierkette ableiten (nach dem Motto „Mit Viererkette war alles noch viel schlimmer!“), wohl aber, dass die Probleme tiefer liegen als in der gewählten Grundformation.

Im Wesentlichen verbleiben zwei Erklärungsansätze, die beide gleich unschön sind, mit denen man sich aber im Verein beschäftigen sollte:

Entweder sind die charakterlichen und zwischenmenschlichen Probleme in der Mannschaft derart tiefgreifend, dass daraus eine Blockade und/oder das Fehlen jeglicher Einstellung zu Beruf und Verein resultiert und die Mannschaft – bewusst oder unbewusst – das Trainerteam hängen lässt. In dieser Lesart wäre der Trainer das Opfer über Jahre gewucherter ungesunder, ja schon selbstzerstörerischer  Strukturen im Verein. Wer die Entscheidungen der letzten anderthalb Jahre Revue passieren lässt, mag das nicht für gänzlich abwegig halten. In diesem Fall müssten die Verantwortungsträger im Verein dem Trainerteam den Rücken stärken, sich irgendwie ohne Abstieg in die Sommerpause retten und nach einem gründlichen Umbruch im Team mit Adi Hütter einen Neuanfang einleiten.

Oder aber das Trainerteam hat keinen Plan, wie diese Mannschaft auftreten soll bzw. es hat einen, aber dieser passt entweder überhaupt nicht zur Mannschaft oder das Trainerteam versteht nicht, diesen Plan der Mannschaft zu vermitteln und die dazu erforderlichen Handlungsmuster mit der Mannschaft einzustudieren. Angesichts dessen, dass Adi Hütter auf allen seinen vorherigen Stationen Erfolg hatte, mag man sich diese Erklärung nicht recht vorstellen, ausgeschlossen ist das aber nicht – ein von außen unerklärliches Scheitern erfolgreicher Trainer auf einer ihrer Stationen ist schließlich kein neues Phänomen in der Bundesliga. Ist das die Antwort auf die Frage nach der Erklärung, wird man nicht umhinkönnen, früher oder später die Trainerfrage zu stellen – auch wenn das teuer und schmerzlich wäre und auch wenn sich das niemand wünscht (nur um klarzustellen, dass das kein „Hütter-raus-Artikel!“ sein soll).