Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten. Das wusste Thomas von Aquin schon im 13. Jahrhundert. Die Veränderung, die sich Borussia in den vergangenen zwei Monaten erarbeitet hat, ist allerdings fast nur noch mit verzweifelten Gebeten zu ertragen. Am 20. November 2021 hatte die Fohlenelf gerade das siebte Heimspiel der Saison ungeschlagen überstanden und bewegte sich auf die europäischen Plätze zu. Es folgten Derbyniederlage, historische Pleite gegen Freiburg, peinliches Pokalaus in Hannover sowie insgesamt vier Heimniederlagen am Stück.

Die letzte gegen Union Berlin am vergangenen Samstag war allerdings im Gegensatz zu ihren Vorgängern unverdient angesichts einer insgesamt relativ ordentlichen Leistung. Fans und Verantwortlichen stellt sich daher die Frage: Sollte über die erneut verlorenen Punkte gejammert oder die Leistungssteigerung als positives Signal gewertet werden, dass der Ernst der Lage endlich verstanden worden ist?

Konstanz ist gefragt

Sporadisches Aufbäumen wird im Abstiegskampf nicht ausreichen. Die Mannschaft muss ab sofort in jeder Partie die Einstellung und das Engagement vom vergangenen Samstag einbringen und für die Veränderung nachhaltig arbeiten. Dann wird sie früher oder später auch wieder Spiele gewinnen und die nötigen Punkte für den Klassenerhalt erhalten. Desolate Auftritte wie gegen Freiburg oder Hannover zerstören Psyche und Selbstvertrauen, was in den Folgepartien regelmäßig nachwirkt. Setzen sie sich in der Rückrunde weiter fort, ist der Abstieg mehr als nur eine realistische Option.

Kompaktheit in der Defensive ist Grundvoraussetzung für den Erfolg

Auch wenn es erneut zwei Gegentore gab, ging das Experiment von Hütter auf, die Defensive durch eine Fünferkette zu stärken und damit von seinem bevorzugten Spielsystem abzuweichen. Die Berliner kamen zu kaum nennenswerten Torchancen – im Grunde nur zu der einen, die Max Kruse eiskalt zum 2:1-Siegtreffer nutzte. Gerade wenn man unten steht, führt aber i. d. R. jeder individuelle Fehler zu einem Gegentor. Dieses Mal waren es Zakaria und Herrmann, die ihren Beitrag leisteten.

Die Offensive hängt zu sehr an Jonas Hofmann

Individuelle Fehler in der Defensive werden sich nicht komplett verhindern lassen. Von daher wird es immer nötig sein, auch offensiv für Torgefahr zu sorgen. In den ersten 20 Minuten bot Borussia dasselbe blutleere und einfallslose Bild wie in den vergangenen Wochen. Dann wurde es aber stetig besser, was zuvorderst an Jonas Hofmann lag. Der Ex-Mainzer war an fast allen gefährlichen Aktionen beteiligt und unterstrich seinen derzeit unverzichtbaren Wert für die Mannschaft. Diese Abhängigkeit von einem Spieler, der zudem gelegentlich verletzt ausfällt, ist allerdings besorgniserregend. Da fast alle anderen Offensivspieler weit von ihrer Topform entfernt sind und zudem Lars Stindl in den kommenden Wochen ausfällt, wäre ein zusätzlicher Offensivimpuls in Form eines gestandenen Transfers wünschenswert. Dieser wird aber finanziell nur möglich sein, wenn zuvor Geld aus Verkäufen generiert wird.

Corona verändert die Spielregeln

Die immer offensichtlicheren Probleme im Kader schreien nach einer kurzfristigen Lösung in Form von ein bis zwei Neuzugängen. Nicht nur durch die Krankheit von Max Eberl (Gute Besserung von dieser Stelle) wird sich dies aber schwierig gestalten, denn der Transfermarkt spielt in Zeiten von Corona nach anderen Regeln als zuvor. Borussia hat sich – insbesondere durch das strenge Finanzregiment von Geschäftsführer Schippers – die Regel auferlegt, nur das ausgeben zu dürfen, was zuvor eingenommen worden ist. In normalen Zeiten ist der Verein damit sehr gut gefahren und Schippers ist ein Garant für die solide Wirtschaftslage der Borussia.

Wenn aber mit jedem Heimspiel mehrere Millionen Euro an Zuschauereinnahmen wegbrechen und zusätzlich die tatsächlichen Marktwerte einzelner Spieler auf dem veränderten Transfermarkt nicht mehr annähernd zu erzielen sind, führt dies unweigerlich zu Problemen. Borussias bisherige Maxime ist dann auf Dauer nur noch mit erheblichem Qualitätsverlust durchzuhalten, da etwaige Verkaufserlöse zunächst einmal zum Stopfen coronabedingt entstandener Finanzlücken verwendet werden müssen.

Mit Corona haben allerdings alle Vereine zu kämpfen und nur wenige verfügen über den Luxus eines erfolgsunabhängigen Sponsors oder Gönners, der bei Bedarf notwendige Gelder zuschießen kann. Borussia wird sich überlegen müssen, ob nicht kurzfristig ein gewisser Grad an Verschuldung mit einem überschaubaren kalkulierten Risiko in dieser besonderen Situation eingegangen werden sollte, um die Mannschaft weiterhin wettbewerbsfähig zu halten.

Darüber hinaus wird sich spätestens auf der Jahreshauptversammlung die Frage stellen, ob Borussia ihr Paradigma aufrechthalten kann und sollte, weiterhin 100% aller Vereinsanteile in eigener Hand halten zu müssen. Die Seitenwahl-Redaktion hat sich hier in internen Diskussionen ähnlich gespalten gezeigt wie es auch die Fanszene sein wird. Grundsätzlich will niemand Verhältnisse wie in Hoffenheim oder Uerdingen – unabhängig davon wie erfolgreich dies umgesetzt wird. Es wäre unerträglich, wenn der Verein von einem einzelnen Milliardär oder einer Firma fremdbestimmt würde, die ihn nur als Spielzeug oder Marketingcoup betrachten. Bei aller Sentimentalität und Fußball-Romantik wird aber hinterfragt werden müssen, ob nicht der Verkauf eines Minderheitenanteils – mit entsprechenden Zusagen des Käufers zur Zurückhaltung in sportlichen Angelegenheiten – ausgelotet werden sollte. Auch die Vergabe der Rechte am Stadionnamen darf in diesen Zeiten kein Tabuthema mehr sein. Pro Jahr sind hier immerhin rund 3-4 Mio. Euro zu erwirtschaften.

Will man in diesen Punkten seiner bisherigen Verweigerungs-Linie treu bleiben und zusätzlich weiter solide wirtschaften, dann wird sich das über kurz oder lang im sportlichen Bereich niederschlagen und ein jeder muss sich bewusst machen, dass dann ein erneuter Abstieg vermutlich nur eine Frage der Zeit sein wird. Vereine wie Freiburg oder Mainz zeigen zwar, dass sich auch mit bescheidenen Mitteln einiges erreichen lässt. Sie sind aber eher die Ausnahme als die Regel.

Spätestens zur neuen Saison bekommt Borussia ein neues Gesicht

Die Partie vom Samstag zeigte einmal mehr: Es war der vielleicht größte Fehler von Max Eberl als BMG-Sportdirektor, seinen Namensvetter 2019 oder 2020 nicht zurück an den Niederrhein geholt zu haben. Ein Typ wie Max Kruse würde der Mannschaft derzeit sehr guttun – auf wie neben dem Platz. Da er aber leider nicht mehr verfügbar ist, muss Borussia andere Kandidaten auftun, um dem Kader spätestens im Sommer ein neues Gesicht zu verleihen.

Neben den feststehenden Abgängen von Ginter und Zakaria ist auch bei Thuram, Plea, Bensebaini, Hofmann und Neuhaus eine Veränderung wahrscheinlich. Letztere werden zumindest noch Transfererlöse bringen, die hoffentlich zu größten Teilen in neue Transfers werden fließen können.

Mit den Transfers von Kone, Netz und Scally hat Eberl im vergangenen Jahr wieder einmal gezeigt, dass gute Spieler nicht unbedingt viel Geld kosten müssen. Er wird in diesem Sommer mit seinem Team besonders kreative Lösungen finden müssen, um den Kader wettbewerbsfähig zu halten. Fraglich allerdings ob es gelingt, einen von der Papierform ähnlich hochwertigen Kader aufzustellen, wie Borussia ihn in den letzten zwei Jahren vorweisen konnte.

Die Erfahrungen des letzten Jahres mit diesem Kader zeigen: Es ist wichtiger, dass die Mannschaft homogen zusammengestellt ist und sich mit der Aufgabe identifiziert, in Mönchengladbach bei einem ambitionierten Bundesligisten das Bestmögliche herauszuholen. In dieser Rückrunde wird das ausschließlich nur noch der – hoffentlich frühzeitige – Klassenerhalt sein.

Max Eberl wird weiter gebraucht

Es wäre nicht völlig unlogisch, einen Neuanfang auf den wichtigsten Positionen mit neuem Personal anzugehen. Dies würde aber erhebliche Risiken bergen, denn selbst wenn es derzeit so scheint: Nicht alles ist schlecht in Mönchengladbach. Der Verein verfügt über gewachsene und eingespielte Strukturen, die ihn von so vielen anderen (Traditions-)Vereinen positiv abheben. Zugegeben: Manches kann sich mit der Zeit abnutzen und es kann sich bei manchen Vereinsangehörigen eine gewisse Bequemlichkeit oder ein Selbstverständnis einstellen, die nicht gut sind für den Verein. In dieser Hinsicht muss sich ein jeder hinterfragen, ob er wirklich alles für den bestmöglichen Erfolg seines Arbeitgebers tut und es muss Kontrollinstanzen geben, die dies selbst bei verdienten Mitarbeitern regelmäßig auf den Prüfstand setzen. Auch dass es nach so vielen Jahren zwischen den Vereinsoberen gelegentlich einmal knirscht, ist normal und sollte von den Beteiligten möglichst nicht überbewertet werden. Max Eberl sollte trotz alledem immer noch zu schätzen wissen, was er an seinen langjährigen Weggefährten im Verein hat. Und gleichfalls sollte der Verein zu schätzen wissen, was er an Max Eberl hat.

Denn bei aller berechtigter Kritik am Manager, der selbstverständlich ebenfalls einen erheblichen Anteil an der aktuellen Situation aufweist: Insgesamt ist nicht mit Gold aufzuwiegen, was dieser Mann in den letzten 13 Jahren für diesen Verein geleistet hat und was er auch in Zukunft immer noch zu leisten imstande sein kann.

Vergleiche mit Werder Bremen zum Ende der 00er-Jahre dürfen zwar angestellt werden: Damals hatte der langjährige Erfolgsmanager Klaus Allofs seinen Transferriecher ganz offensichtlich verloren und damit die gute Ausgangslage des Vereins binnen weniger Jahre verspielt. Dem steht aber entgegen, dass Eberl selbst in dieser Krisenzeit weiterhin überwiegend gute Transfers tätigt. Beeinträchtigt wurde sein Wirken ganz offensichtlich durch den verrückten Corona-Markt, der z. B. einen Verkauf von Zakaria vor der Saison zu einem angemessenen Preis unmöglich gemacht hat. Oder aber z. B. durch die unglückselige Verletzung von Markus Thuram gegen Leverkusen, die dem Verein wichtige und fest eingeplante Transfererlöse kostete.

Wer trotzdem die Fehler des Managers – z. B. im Vorjahr bei Ginter nicht früher und stärker auf eine Klärung der Zukunft gepocht zu haben – schwerer gewichten möchte, sollte bedenken, welche Lösungen zuletzt bei anderen (Traditions-)Vereinen auf dem Managerposten gefunden worden sind. Werder Bremen z. B. versuchte sich nach Allofs mit Thomas Eichin und Frank Baumann – beides mit sehr unterdurchschnittlichem Erfolg. Nicht nur mit Blick auf diese und viele andere Beispiele sollte alles daran gesetzt werden, dass Max Eberl dem Verein noch lange erhalten bleibt. Überlegt werden sollte vielmehr, ob ihm eine unterstützende Hand an die Seite gestellt wird, wie es vor einiger Zeit schon einmal angedacht worden war. Damals wurde z. B. mit Rouven Schröder Kontakt aufgenommen, der inzwischen bei Schalke 04 sehr solide Arbeit abliefert.

Die Schonfrist für Adi Hütter ist vorbei

Etwas differenzierter als beim Manager ist das Bild beim Trainer zu sehen, der sich zumindest in Mönchengladbach noch keinen Kredit erspielen konnte. Die Vereinsführung steht vor der schwierigen Frage, bis zu welchem Punkt sie an Hütter festhalten kann und sollte. Dieser hatte lange Zeit eine Schonfrist, um die schlecht zusammengestellte und von seinem Vorgänger verhunzte Mannschaft wieder in Gang zu bringen. Dies war mit Sicherheit keine leichte Aufgabe, da es einigen Akteuren ganz offensichtlich schwer fällt, sich mit dem Projekt Borussia Mönchengladbach weiterhin zu identifizieren. Aber auch in solch undankbaren Zeiten ist es Aufgabe eines guten Trainers, das Beste aus der Situation und aus dem Kader herauszuholen. Das ist Hütter bislang nicht gelungen. Darüber konnte selbst der Auswärtssieg in München zu Rückrundenbeginn nicht hinwegtäuschen, der sich spätestens mit dem peinlichen Pokalaus in Hannover als Muster ohne Wert entpuppte.

Es wäre sehr zu wünschen, wenn der Weg mit ihm über diese Saison hinaus weitergehen und er ein Teil des Neuaufbaus sein könnte. Anders als z. B. einst Andre Schubert hat Adi Hütter bislang auf all seinen Stationen erfolgreich gearbeitet. Dies ist keine Garantie, dass es unbedingt auch in Mönchengladbach irgendwann gelingen wird – manchmal passt es einfach nicht zwischen Trainer und Mannschaft. Es erhöht aber nach den Gesetzen der Logik die Wahrscheinlichkeit, dass ihm der Turnaround doch noch gelingen kann. Dazu muss sich aber das erfüllen, was weiter oben angemahnt worden ist. Sollte die Mannschaft in den kommenden Partien einen erneuten Rückfall erleiden und gegen Bielefeld und Augsburg jeweils nicht gewinnen, dann wird sich eine Situation einstellen, in der ein Trainerwechsel als Impuls unausweichlich werden wird. Es wäre Hütter und dem Verein allerdings zu wünschen, dass sich dieses Szenario vermeiden lässt.

Nicht jammern, sondern anpacken

Trainer und Spieler setzten nach der Niederlage gegen Union zumindest verbal die richtigen Signale, indem sie nicht ob des Unglücks lamentierten, sondern kämpferisch nach vorne blickten. Es wäre höchst kontraproduktiv, wenn stattdessen z. B. über den neuerlichen VAR-Eingriff lamentiert würde, der von vielen Fans als unberechtigt und unverständlich angesehen wurde. Da spielt es für die gequälte Fanseele keine Rolle, dass die Medien nahezu ausnahmslos von einer korrekten Entscheidung sprechen. Nichts vereint die Fans über alle Lager und Vereinsgrenzen hinweg so sehr wie die subjektive Wahrnehmung, von den bösen und unfähigen Schiedsrichtern systematisch und absichtlich benachteiligt zu werden. Selbst die Fans des BVB und der Bayern können sich diesem Gefühl nicht entziehen und es mutet etwas unwahrscheinlich an, dass alle 18 Vereine gleichermaßen Opfer systematischer Willkürentscheidungen zu ihren Ungunsten werden.

Ja, der DFB verfügt über skandalöse Strukturen und teilweise inkompetentes, korruptes Personal, die in einem solch bedeutenden Verband eigentlich nicht vorherrschen dürfen. Ja, die (deutschen) Schiedsrichter treffen auch aus neutraler Sicht viel zu oft unerklärliche Entscheidungen. Ja, das galt an diesem Samstag auch in manchen Szenen für Dr. Felix Brych und es ist kein Ruhmesblatt für den DFB, dass dieser als einer der besten seiner Zunft angesehen wird. Dies alles darf und muss konstruktiv kritisiert werden. Es hilft Borussia aber nicht weiter, wenn daraus Verschwörungstheorien abgeleitet werden, die der Mannschaft letztlich nur ein weiteres Alibi liefern würden. Die Hoffnung vieler Fans, man müsse nur mal auf den Tisch hauen, um zukünftig besser von den Schiedsrichtern behandelt zu werden, ist da zu optimistisch. Ernsthafte Beachtung findet so etwas leider nur, wenn es von medienmächtigen Vereinen durchgeführt wird, die selbst mit absurden Anschuldigen über mehrere Tage die Schlagzeilen beherrschen können. Sofern sich Eberl und Hütter über Schiedsrichterleistungen beschweren, so ist dies den meisten Medien maximal eine Story wert, ehe die Aufmerksamkeit nach wenigen Stunden verpufft.

Borussia tut gut daran, sich solche Nebenkriegsschauplätze zu verkneifen, sondern die Fehleranalyse im Verein zu betreiben. Hierzu bieten sich jetzt zwei Wochen Zeit, denen erhebliche Bedeutung für den weiteren Saisonverlauf zukommen wird. Mannschaft, Trainer, Sportdirektor, Scouting und Vereinsführung haben es in dieser Zeit in der Hand, positive Weichen für die Zukunft zu stellen und sich personell wie taktisch neu zu justieren. Wer den Ernst der Lage, in der sich der Verein befindet, noch immer nicht erkannt hat, und nicht bereit ist, sich mit Haut und Haaren dem Abstiegskampf zu verschreiben, der sollte Borussia lieber heute als morgen verlassen. Noch ist es nicht zu spät für eine Trendwende. Für diese Veränderung wird aber jeder im Verein hart arbeiten müssen. Erfolgt dies nicht, könnte Borussia schon bald in eine Negativspirale Richtung Abstieg geraten, aus der es selbst mit Gebeten keinen wundersamen Ausweg mehr geben wird.