Fangen wir mit dem Positiven an: Noch vor wenigen Wochen galten unerklärliche Leistungsschwankungen als größtes Problem der Borussia. Ordentlichen Heimspielen folgte regelmäßig ein unwürdiger Auftritt auf fremdem Platz. Dieser Missstand ist behoben: Die letzten drei Partien waren geprägt von einer bemerkenswerten Konstanz. Dem peinlichen 1:4 in Köln und dem blamablen 0:6 gegen den SC Freiburg folgte an diesem Wochenende ein trostloses 1:4 bei Red Bull Fuschl am See.

Wer nach der Vorwoche auf eine Trotz-Reaktion gehofft hatte, wurde von der ersten Sekunde an enttäuscht. Nach 10 Minuten war der einzige Unterschied zum Freiburg-Desaster, dass die Leipziger ihre Chancen nicht nutzten. Da sich dies bald darauf änderte, stand es bereits zur Halbzeit verdientermaßen 0:2. Nach dem ersten Gegentor war immerhin der Ansatz eines Aufbäumens bei den Gladbachern zu erkennen. Zwingende Torchancen ergaben sich daraus aber nicht, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis die spielerisch und mental reiferen Gastgeber die Führung ausbauten.

Auch das 1:2 kurz vor Spielende war nur ein kurzes Zucken einer vollständig verunsicherten Elf, die derzeit alles vermissen lässt, was eine Mannschaft auszeichnet. Kapitän Lars Stindl hatte nach dem Spiel seinen mit Abstand stärksten Auftritt der letzten Monate als er konstatierte, dass derzeit jeder nur für sich spielt, aber niemand für die Mannschaft. Manche Einzelaktion sieht – zumindest bis zum Strafraum – gefällig aus. Wenige Akteure, wie Zakaria, Sommer oder Bensebaini, versuchen verzweifelt Impulse zu setzen, um ihre Mitspieler irgendwie aus der Lethargie zu reißen. Dies bleibt aber erschreckend erfolglos und ein Zusammenspiel findet allerhöchstens zufällig statt. Borussia 2021 besteht aus 11 individuell nicht ganz untalentierten Akteuren, die auftreten, als hätten sie noch nie in einer Gruppe Fußball gespielt – geschweige denn in dieser.

Die aktuelle Mannschaft wirkt so leblos wie seit 2011 keine andere Borussia. Da stellt sich unweigerlich die Frage, wie sich dieser Zustand beenden lässt. Die Aussicht, in der aktuellen Form gegen kampfstarke Frankfurter und Sinsheimer sowie anschließend gegen Bayern und Bayer antreten zu müssen, lässt Böses erahnen. Der Vorsprung vor Arminia Bielefeld scheint mit acht Zählern ebenso komfortabel wie trügerisch. Mindestens aber der Relegationsplatz, der nach diesem Wochenende nur noch zwei Punkte entfernt ist, könnte in naher Zukunft bittere Realität werden. Spätestens wenn dies der Fall ist, wird niemand mehr vergessen haben, wo Borussia herkommt. Es würde sich ein Kreis schließen zu eben jener Saison 2011 und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Wendepunkt dieses Mal am langen Ende in die andere Richtung ausschlägt.

So unfassbar es mit Blick auf den individuell hochkarätigen Kader klingt: Borussia ist mittendrin im Abstiegskampf und sollte sich nicht dem Irrglauben hingeben, ihr Potential sei für diesen zu hoch. Dieser Ansicht ist der Verein schon zweimal in seiner Geschichte kläglich zum Opfer gefallen. Im Abstiegskampf zählt weniger Potential als Wille, weniger Auf- als Einstellung. Während Teams wie Augsburg, Stuttgart oder Bochum meist das Optimum aus ihren zweifelsohne bescheideneren Mitteln herausholen, stehen sich die Spieler aus Mönchengladbach selbst am meisten im Weg.

Die jungen Talente sind mit der ungewohnten Situation verständlicherweise überfordert und müssten eigentlich durch die erfahrenen Kollegen geschützt und mitgezogen werden. Die sind aber entweder völlig außer Form oder gedanklich schon damit beschäftigt, bei welchem internationalen Topklub sie demnächst die Bank wärmen dürfen. Wer tatsächlich glaubt, er könne sich nach mittlerweile mehr als einjähriger Nicht-Leistung bei einem durchschnittlichen Bundesligisten den Verein seiner Wahl aussuchen, der glaubt eben auch, dass sich Bundesliga-Spiele mit 50 % Einsatz gewinnen lassen.

Es wäre einfach, jeden einzelnen dieser verwöhnten Unterperformer an den Pranger zu stellen. Dies ist aber genauso wenig zielführend wie es eine Trainerdiskussion zu diesem Zeitpunkt ist. Nach den letzten Partien mit 2:14 Toren muss jetzt auch dem allerletzten klar geworden sein, dass es um nicht weniger geht als den Fortbestand des Vereins Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga. Wem das nichts bedeutet, weil er sich ohnehin nur auf der Durchreise sieht, der möge auf Max Eberl zugehen und ihn um einen Verkauf in diesem Winter bitten.

Nicht nur die auslaufenden Verträge von Zakaria und Ginter werden es nötig machen, dass sich zum neuen Jahr personell so einiges tut rund um den Borussia-Park. Die Mannschaft hätte schon im Sommer dringend eine Auffrischung benötigt, nachdem sie vom Ex-Trainer in dessen letzten 9 Monaten komplett vernachlässigt und verhunzt wurde. Wenngleich einige Möchtegern-Experten im Fernsehen dies nicht erkennen mögen: Die Wurzeln des aktuellen Unheils sind bereits in der Vorsaison zu finden, in der sich vieles von dem andeutete, was sich zuletzt in verstärkter Form Bahn brach. Die Unfähigkeit, Spiele nach oft ordentlichem Beginn vernünftig zu Ende zu spielen. Die Überheblichkeit, mit der wettbewerbsübergreifend insgesamt 33 Punkte nach Führung verzockt wurden. Die Arroganz, mit der die Mannschaft offensichtlich bis zum Schluss glaubte, wer gegen Madrid und Mailand besteht, könne auch mit halber Kraft noch einen Platz in Europa ergattern. All dies wurde in die neue Saison mit hinübergerettet.

Die Hoffnung lag darauf, der neue Trainer könne das vom Vorgänger hinterlassene Mentalitäts-Chaos wieder herrichten. Ohne Doppelbelastung waren dafür in nahezu jeder Woche sechs Tage lang Zeit. Und tatsächlich gab es anfänglich brauchbare Ansätze. Ein verunsichertes Team richtet man zunächst dadurch auf, dass die Defensive stabilisiert wird. Bis zum 12. Spieltag war dies der Fall und Borussia wies mit 14 die fünftwenigsten Gegentore auf. Mithin also genauso viele Treffer wie danach in nur drei Partien kassiert worden sind.

Adi Hütter wird in den nächsten Spielen einen Weg finden müssen, um dieses Defensivchaos erneut in den Griff zu bekommen. Max Eberl hat sich mit der Ablösezahlung von 7,5 Mio. Euro sehr weit aus dem Fenster gelehnt und signalisiert, dass er Hütter für den richtigen Borussen-Trainer hält. Von daher ist es legitim, ihm trotz der bislang miserabel verlaufenen Saison eine faire Chance zu geben, diese Krise zu meistern. Eberl hat Recht, dass sich eine Trainerdiskussion zum jetzigen Zeitpunkt (noch) verbietet. Fakt ist aber, dass auch der Trainer in den kommenden Wochen wird liefern müssen. Gelingt es ihm nicht, den Abwärtstrend aufzuhalten, könnte Borussia schon Ende Januar in eine Situation schlittern, in der ein Trainerwechsel unausweichlich wird, um die Verunsicherung in der Mannschaft zu lösen.

Bis dahin bleibt aber zu hoffen, dass jetzt wirklich jeder im Verein verstanden hat, was die Stunde geschlagen hat. Nachdem weder die Derbyniederlage noch die Freiburg-Blamage das bewirken konnte, liegt die nächste Hoffnung auf dem kommenden Mittwoch, auf dem Spiel gegen die Frankfurter Eintracht, die gegen ihren ehemaligen Trainer mit Sicherheit hochmotiviert sein wird. Man darf gespannt sein, welche Motivation dagegen Borussias Individualisten an den Tag legen werden und ob es ihnen endlich wieder gelingt, gemeinsam als Mannschaft aufzulaufen.