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Das hatte die Bundesliga so auch noch nicht erlebt: Die ersten 6 Team der Vorsaison gingen alle mit einem neuen Trainer in die neue Spielzeit, dazu mit der Borussia aus Gladbach auch noch der Achte. Nur Tabellensiebter Union Berlin und Urs Fischer blieben zusammen; so ist das halt, wenn man glaubt unbedingt anders sein zu müssen! Längst nicht alle dieser Trainerwechsel waren dabei vom Verein gewollt, sondern zum Teil Resultat eines Domino-Effekts. Dortmund klaut der Borussia den Trainer, die wiederum bedient sich bei der Frankfurter Eintracht, der dann nichts Anderes übrigbleibt, als in Wolfsburg zuzugreifen. Im letzteren Fall war es dem abgebenden Verein wohl nicht so unrecht, denn Sportdirektor Joerg Schmadtke mag die Spezies Trainer anscheinend aus Prinzip nicht und ist eigentlich immer gern bereit den momentanen Übungsleiter wieder gehen zu sehen, egal wie erfolgreich dieser ist.  Wie auch immer, die Wolfsburger holten dann Mark van Bommel aus den Niederlanden. Die zweite Kette war etwas kürzer: Bayern holt Nagelmann aus Leipzig, welches dann einfach bei der Salzburger Filiale Ersatz findet. Gänzlich ohne weiteren Einfluss auf andere Vereine blieb hingegen die Verpflichtung Gerardo Seoanes in Leverkusen.

Nachdem nun ein Drittel der Saison vorbei ist, stellt sich die interessante Frage, was all diese Neubesetzungen denn nun gebracht oder verändert haben. Klar ist dabei, dass sich nicht jedes Team sich tabellarisch verbessert haben kann, denn für jeden Platz den eine Top 6 Mannschaft nach oben klettert, muss zwangsweise einen andere einen Rang abrutschen. Das ist zwar unglaublich banale Mathematik, die im Übrigen auch dann noch gelten würde, wenn jeder Club den Super-Trainer Klon aus Pep Guardiola und Juergen Klopp verpflichtet hätte, wird aber von den Beteiligten gern ignoriert. Also gehen wir es mal schnell (von oben nach unten in der Vorjahrestabelle) durch

Bayern/Nagelsmann: In der Vorbereitung hat man etwas geschwächelt, aber die Hoffnung, die Bayern könnten noch eine Nummer zu groß für Deutschlands Trainer-Wunderkind sein, erfüllte sich nicht. 40 Tore in 11 Bundesligaspielen, 17 in 4 Champions-League-Spielen, vor allem die Offensive der Münchener läuft bereits auf Hochtouren. Nur im Pokal lief es zuletzt nicht ganz so gut (wir berichteten bereits darüber). Insgesamt aber wird es wohl eher eine Saison der Marke Flick/Guardiola denn ein Kovac/Ancelotti-Gerumpel. Letztendlich wird Nagelsmann natürlich an den KO-Runden in der Champions-League im Frühjahr gemessen werden, aber bis dahin kann man ihm wohl einen ordentlichen Einstand attestieren.

Leipzig/Marsch: Nach dem Nagelsmann den Sachsen einen variableren Spielstil verpasst hatte, geht es unter dem amerikanischen Trainer wieder zurück zur alten „You can call me Ralf“ RB-Pressing-Schule. Resultat: der schlechteste Saisonstart in den bisherigen 5 Bundesligajahren und das Ausscheiden aus der Champions-League (in einer allerdings auch harten Gruppe). Gut, dass sich eigentlich niemand dafür interessiert, was bei den Rasenballern abgeht, denn bei anderen Vereinen mit ähnlichen Ansprüchen wäre vermutlich die Trainerdiskussion schon längst eröffnet. Der starke Auftritt gegen Dortmund und nur ein Punkt Rückstand auf Platz 4 tragen ebenfalls dazu bei, dass Jesse Marsch weiterhin ungestört arbeiten kann. Unser Fazit: Ein Qualitätsverlust auf der Trainerbank, aber mit dem Kader bleibt RB auch so Anwärter auf einen CL-Platz.

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BVB/Rose: „Inzwischen sagen die Dortmunder schon selbst, dass sie zu lässig spielen“. Normalerweise zitieren wir die Sport-Bild eher ungern, aber Jochen Koenens Kommentar zum BVB in dieser Woche hatte dann doch etwas zu viel Schmunzelfaktor, um ihn gänzlich zu ignorieren. Lässigkeit und 0:4 Pleiten in Europa, so kannte man Marco Rose auch in Gladbach. Die Süddeutsche Zeitung schreibt vom „Schattenmann“ Terzic, die Bild munkelt von einer Schonfrist bis zum Jahresende. Trotz Platz 2 in der Liga, läuft das alles nicht so rund für die Probstheidaer Ich-AG. Das Ganze sagt vielleicht weniger über die Qualitäten von Marco Rose und seinem Trainerteam als, als über die verquere Erwartungshaltung rund um den Borsigplatz, aber bislang schmeckt das Ganze nach einem deftigen „We told you so!“

Wolfsburg/van Bommel: Ähhmm, ja… Mit Jörg Schmadtke und den Trainern ist das so ein bisschen wie mit Lothar Matthäus und den Frauen: Der Sex mag zeitweilig geil sein, aber man weiß, es wird nicht gut enden! Diese Beobachtung würde wohl für jede Trainer-Verpflichtung Schmadtkes gelten, aber bei der Bekanntgabe Mark van Bommels als neuer Wolfsburg-Coach gingen schon früh manche Augenbrauen hoch. Außer einer großen Spielerkarierre und anderthalb Jahren Erfahrung als Trainer des PSV Eindhoven hatte van Bommel wenig zu bieten. Nach einem peinlichen Wechselfehler im Pokal war der Liga-Start dann aber sehr erfolgreich. Allerdings hatte der VFL das Glück in den ersten 4 Spielen gleich gegen beide Aufsteiger spielen zu dürfen und Bommel profitierte auch von einer noch unter seinem Vorgänger eingespielten Mannschaft. 8 sieglose Pflichtspiele später hatte es sich dann ausgebommelt. Traurig nur, dass Michael Frontzeck nur einen Tag lang Chef sein durfte und wir ihn somit nicht zumindest einmal in der Champions-League als Trainer erlebten.

Frankfurt/Glasner: Ein Österreicher ersetzt den anderen. Bei allen Turbulenzen rund um die Eintracht in diesem Frühjahr schien die Verpflichtung von Oliver Glasner die absolut beste Nachricht für die Hessen zu sein. In Wolfsburg hatte er sein Team mit Ruhe und Akribie stetig verbessert und letztendlich verdient in die Champions-League geführt. Der perfekte Trainer also um die Eintracht in der Bel-Etage der Liga zu etablieren? Nur 2 Siege aus den ersten 11 Spielen sprechen eher nicht dafür, zumal beide ziemlich glücklich waren, was bei einem Auswärtssieg in München noch verzeihbar, bei einem unverdient erduselten 2:1 in Fürth aber eher peinlich ist. Glasner hadert mit einem Team, dessen Fußball bisher darauf ausgerichtet war, einen Stoß-Stürmer mit Flanken zu füttern. Andere taktische Ausrichtungen scheinen der Mannschaft noch schwer zu fallen, aber die bisherige Taktik scheitert nach dem Abgang von André Silva am Fehlen des geeigneten Stürmers ebenfalls. Immerhin redet der gebürtige Salzburger die Lage nicht schön, sondern gibt sich durchaus selbstkritisch („zu wenig, auch von mir“). Sollte sich die Eintracht in der Liga aber nicht bald konsolidieren, wird ihm weder das noch Erfolg in der Europa-League viel nutzen.

Leverkusen/Seoane: Der Schweizer Trainer galt lange Zeit auch als heißer Kandidat für die Borussia und hatte einen sehr guten Start. Nach 7 Spieltagen lag man punktgleich mit den Bayern und einem Torschnitt von fast 3 auf Platz 2. Aber genau wie im Vorjahr war die Herrlichkeit nach einer Heimniederlage gegen die Bayern urplötzlich vorbei. Seit 4 Spielen gab es keinen Sieg mehr in der Liga und im Pokal dazu noch eine Heimniederlage gegen KSC. Man hat solch ein Pfui nach wochenlangem Hui bei Bayer in der Vergangenheit schon so oft gesehen, dass man zum einen überhaupt nicht mehr darüber überrascht ist und zum anderen allmählich glaubt, dass dies nicht nur am jeweiligen Trainer liegen kann. Die Anfangseuphorie um den Schweizer Trainer ist auf jeden Fall längst verflogen.

Damit bleibt noch einer in unserer Liste übrig: Borussias neuer Cheftrainer Adi Hütter. Ca. 15 Minuten lang konnte auch dieser von einer Anfangseuphorie träumen, als die Borussia im ersten Bundesligaspiel gegen Bayern loslegte wie die Feuerwehr. Solch aggressives Pressing hatte Marco Rose vielleicht dereinst mal versprochen, aber vor allem in der zweiten Saison unter ihm hatte man kaum noch etwas davon gesehen. Die Bayern zeigten sich beeindruckt, kamen kaum zur Entfaltung und lagen bald 1:0 zurück. Leider konnte die Borussia das alles nicht durchhalten (im Gegenteil zu jüngsten Pokalspiel) und hatte auch noch Pech mit 2 Elfmetern, die ihr verweigert wurden. Die folgenden Spiele brachten dann die völlige Ernüchterung: 3 Niederlagen in Leverkusen, bei Union und vor allem in Augsburg, ließen die Alarmglocken dermaßen schrillen, dass selbst betagte Ex-Seitenwahl-Redakteure (naja, zumindest einer) sich gemüßigt sahen noch einmal zur Feder zu greifen wie Joachim Schwerin der am 22.9. befand, dass der „Zenit überschritten“ sei in Gladbach. Es war vielleicht ein voreiliger Nachruf, denn im nächsten Spiel stand Adi Hütter zum ersten Mal der Franzose Manu Koné für die Startelf zur Verfügung, der zusammen mit Denis Zakaria im defensiven Mittelfeld die Angriffsversuche der Dortmunder mit aggressivem frühen Stören im Keim erstickte und andeutete wie der echte Hütter-Fußball aussehen könnte. Es läuft längst nicht alles perfekt bei der Borussia seitdem, aber mit 11 Punkten aus 6 Spielen sowie dem grandiosen 5:0 über die Bayern, scheint man auf dem richtigen Weg zu sein. Als erster Trainer hat Hütter die 3er/5er-Kette als eine erfolgversprechende Variante in Gladbach etabliert (ganz anders als Rose in Dortmund, der sich dafür von Marco Reus wie ein Schuljunge tadeln lassen muss). Noch dazu hat er mit Koné, Scally, Netz und auch Beyer eine Reihe junger Spieler in der Stammelf etabliert, wie man es im Borussia-Park länger nicht mehr gesehen hat. Allzu großer Optimismus kommt wegen zahlreicher Verletzungen in Gladbach im Moment noch nicht auf, aber die bisherige Arbeit des Trainers bewertet man eher positiv.

Die hier gelisteten Einzelurteile über den Einstand dieser Trainer sind hoffentlich informativ und auch amüsant, aber es ist vor allem die Gesamtheit dieser Zwischenzeugnisse und ihre Gemeinsamkeiten, die ich interessant finde. Sieben Trainer, die alle (bei van Bommel vielleicht nicht so ganz) schon ihre Expertise erfolgreich bewiesen haben. Sieben Vereine, die alle das Potenzial und den Anspruch haben, „oben“ (was auch immer das in jedem Fall bedeutet) dabei zu sein. Sieben Trainer, bei denen es außer bei Nagelsmann aber bei weitem noch nicht so richtig rund bzw. gar nicht mehr läuft.  Man ist andere Märchen-Stories gewohnt: Jürgen Klopp, der ein abgewracktes Borussia Dortmund zum zweifachen Meister und CL-Finalisten machte. Lucien Favre, der Gladbach in einem Wunder vorm Abstieg bewahrte und darauf wieder zu einem nationalen Spitzenteam machte. Julian Nagelsmann, dem ähnliches in Hoffenheim gelang.

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Braucht es denn nicht nur einen Trainer, der erkennt, was schiefläuft, die Weichen stellt und – Halleluja! – es geht wieder aufwärts? Wie kann ein Glasner, der bei Wolfsburg so erfolgreich wirkte es in Frankfurt (in der Vorsaison nur 1 Punkt hinter Wolfsburg gelandet) so schwer finden. Warum kann Marco Rose, obwohl er doch so prima nach Dortmund zu passen schien den BVB nicht wach küssen?  Die Antwort ist gar nicht so schwer: Es gehören halt immer zwei Komponenten dazu; der Trainer ist die eine, der Verein, den er übernimmt die andere. Und wenn mit Seoane jetzt auch der zigste Leverkusen-Trainer einen seltsamen phlegmatisch und unambitionierten Club nicht von der Stelle bewegt und wenn Marco Rose wie schon Thomas Tuchel oder Lucien Favre in Dortmund zwar Punkte holt, aber die schon krankhafte Sehnsucht der Schwarzgelben nach dem „neuen Klopp“ nicht wirklich befriedigen kann, dann spricht vieles dafür, dass es oft weniger am Trainer als am Verein liegt.

Die Extrembeispiele, die einem hier einfallen, sind natürlich der HSV oder Schalke 04. Sicher haben die auch manche Fehler bei ihrer Trainerwahl gemacht, aber schon der pure Zufall sollte dafür sorgen, dass bei 1-3 Trainern pro Jahr irgendwann auch mal einer dabei gewesen sein wird, der eigentlich ziemlich talentiert ist. Aber was kann der machen, wenn er mit einer Vereinskultur der Willkür und des Chaos konfrontiert wird, eine Mannschaft übernehmen muss, die das Resultat jahrelanger Fehlplanung ist. Es gilt natürlich auch im Positiven: bei den Bayern braucht man keinen scharfmachenden Motivator, die „Mia san Mia“-Philosophie verkörpert nicht nur eine gewisse Arroganz, sondern auch implizit auch die höchsten Ansprüche an sich selbst. Ein Bayern-Trainer wird selten Probleme mit dem mangelnden Ehrgeiz seiner Spieler haben.

Die Fälle wo ein Trainer also schnell einen Riesenunterschied machen kann, sind daher beschränkt auf die Situationen, wo außer der taktischen Ausrichtung und Aufstellung alle anderen Parameter im Verein stimmen. Genau das trifft auf den Fall von Lucien Favre 2011 zu. Den kann man vergleichen mit einem Restaurant in guter Lage, wo der Manager sehr gute Zutaten in die Küche liefern lässt aber der bisherige Koch leider nur ein 2-wöchiges Praktikum bei Burger-King vorweisen kann. In den Händen eines Sterne-Chefs a la Favre kann sich das Ganze aber in kurzer Zeit in einen Gourmet-Palast verändern.

Aber kommen wir zur Borussia 2021 zurück. Im Bundesliga-Vergleich kam Adi Hütter in diesem Sommer sicher zu einem intakten Verein (vermutlich auch einer seiner Gründe sich für den VFL zu entscheiden), aber perfekt waren die Voraussetzungen nicht. Die nötige Auffrischung des Kaders hatte sich durch die COVID bedingte Trägheit des Transfermarktes nicht ergeben, noch dazu gab es von Beginn an Verletzungsausfälle einiger Schlüsselspieler. Es gibt also durchaus Gründe, warum die Borussia nicht gleich durchstartete in diesem Herbst. Auch in der Vorsaison dauerte es eine Weile bis Hütter Frankfurt so richtig zum Laufen brachte: Nach dem 11. Spieltag hatte die Eintracht sogar noch einen Punkt weniger als die Borussia jetzt und stand auf Platz 9, bevor man dann eine fabelhafte Serie hinlegte und zum Schluss die CL nur um einen Punkt verpasste. Aber selbst wenn die Saison nicht so erfolgreich laufen sollte wie erhofft, ist (siehe oben) der Trainer nur eine Komponente über die man nachdenken muss. Joachim Schwerin macht in seinem Artikel im September die Kaderstruktur als Schwachpunkt aus (Keywords: Wohlfühloase, Schwiegersöhne,...). Ich bin (noch) nicht so völlig überzeugt, dass dies wirklich das große Problem der Borussia ist, aber wir werden sehen. Noch sind mehr als 2/3 der Saison zu spielen und gewisse positive Entwicklungen gab es ja bereits. Hoffentlich kann die Borussia dann beim nächsten Trainerbeben außenstehend amüsiert zuschauen.