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Kannst du mich mal kneifen?“ „Liest du mir nochmal die Anzeigetafel vor?“ „Ist das ein Traum?“ „Was passiert hier gerade?“ Solche und artverwandte Fragen waren im Borussia-Park Standard, während auf dem Rasen ein Spiel lief, bei dem schon vor dem Abpfiff kein Zweifel bestand, dass es Eingang in die Chronik der denkwürdigsten Partien von Borussia Mönchengladbach finden würde. 5:0 gegen Bayern München, das liest sich im Nachgang unglaublich. Wer das Spiel gesehen hat, weiß aber: Der Sieg war auch in der Höhe verdient, hätte sogar noch höher ausfallen können. Was das Ganze noch ein bisschen unwahrscheinlicher klingen lässt, sich aber durchaus folgerichtig aus der Ein- und Aufstellung beider Teams ergab.

Borussia hatte in dieser Saison immer dann große Probleme, wenn der Gegner sich zurückzog, kompakt und konzentriert und möglichst tief verteidigte. In diversen Spielen hatten die Gladbacher zwar den Löwenanteil am Ballbesitz und durchaus auch eine annehmbare Zweikampfquote, kamen aber im letzten Drittel des Spielfelds nicht weiter. Das ist der Makel, den Adi Hütter zwar bemerkt, aber noch nicht abgestellt hat. Das ist der Grund, dass die Spiele in Berlin (gleich zweimal) und Augsburg verloren gingen. Dazu kommt eine suboptimale Effizienz, wenn es mal vor das Tor geht – das Heimspiel gegen Stuttgart ist noch in guter Erinnerung. Was Hütter dagegen schon verändert hat, ist die Herangehensweise der Mannschaft. Der „Larifari“-Stil der bleiernen zweiten Rose-Saison ist weitgehend Geschichte, auch wenn sich im letzten Bundesligaspiel bei Hertha BSC der Trott zumindest zeitweise wieder einschlich und es im Kader ein-zwei Spieler gibt, die diese Haltung ganz offenbar nicht abschütteln können oder wollen.

Gegen Mannschaften, die hoch verteidigen, die mitspielen wollen, tut sich Borussia dagegen deutlich leichter. Das waren in der Bundesliga genau die Gegner, die man eigentlich als „stark“ eingeschätzt hatte. Bayern zum Auftakt, Dortmund, Wolfsburg. Hier kann das Team seine Stärken ausspielen. Unsere Offensivspieler sind größtenteils solche, die Platz brauchen. Lässt man Borussia die Chance, schnell nach vorne zu kombinieren, gibt es Chancen, gibt es Tore, ist Breel Embolo an guten Tagen eine echte Waffe.

Die Bayern taten Borussia den Gefallen sehr hoch bzw. gar nicht zu verteidigen. Die Löcher in der Bayern-Defensive waren groß und augenfällig, Borussia hatte keine Mühe sie zu finden. Die eigene Aggressivität bei der Balleroberung im Mittelfeld, gepaart mit Konzentrationsmängeln und technischen Fehlern beim Rekordpokalsieger brachte die guten Borussen immer wieder in die Lage, aussichts- und fünfmal auch erfolgreiche Angriffe zu starten. Zudem stand das Team hinten sicher. Ohne Chancen war Bayern nicht, Yann Sommer rettete dreimal ganz famos, aber auch die Treffsicherheit von Spielern wie Gnabry oder Sané ließ zu wünschen übrig. Robert Lewandowski war komplett unsichtbar, Thomas Müller fiel nur beim Meckern auf. Hinten gaben Upamecano und Hernandez ein Bild des Jammers ab. „Ätsch“ wird Jerome Boateng sich gedacht haben, so er die Partie seiner Ex-Kollegen in seinem französischen Wohnzimmer verfolgt hat. Ohne die grandiose Leistung von Borussia Mönchengladbach an diesem Abend schmälern zu wollen, muss man feststellen: Bayern München war einfach ganz entsetzlich schlecht.

Borussia dagegen machte alles richtig. Die Defensive war stabil, an den Dreiervebund Elvedi-Ginter-Beyer könnte man sich gewöhnen, auch wenn man sich jetzt wegen der Muskelverletzung des jungen Eigengewächses erst einmal wieder umgewöhnen muss. Joe Scally macht sein Ding so abgezockt wie eh und je, Ramy Bensebaini war nach dem schwachen Auftritt gegen Hertha wieder ganz er selbst – einer der besten auf seiner Position in Deutschland. Die Mittelfeldzentrale verdient besonderes Lob, waren Denis Zakaria und Manu Koné doch diejenigen, die sich einen Ball nach dem anderen schnappten, die Bayern schon im Mittelfeld schwindlig spielten und die vor ihnen postierten Spieler immer wieder gekonnt einsetzten. Koné zeigte dabei eine Ballbehandlung zum Zungeschnalzen, die Entschlossenheit, mit der er beim 1:0 den Weg zum Sieg ebnete, sollte für Borussias Angreifer exemplarisch sein. Am Ende überdrehte der junge Franzose im Angesicht des sicheren Sieges bisweilen ein wenig, aber die Bayern hatten keine Lust mehr, etwas dagegen zu tun.

Koné gebührt die Auszeichnung „Mann des Spiels“, wenngleich sie offiziell an Breel Embolo ging – Tore machen sexy. Aber natürlich machte auch Embolo ein Bombenspiel, war unermüdlich im Einsatz, scheiterte bei seiner ersten Großchance zwar noch am hervorragend reagierenden Manuel Neuer, tunnelte ihn zur Revanche aber beim 4:0 und machte ungewohnt abgezockt sein zweites Tor. Aber auch nach hinten machte Embolo mit, wenn es gefragt war und eroberte seinerseits einige Bälle im Mittelfeld. Der Schweizer bleibt ein Phänomen. Kaum ein Spieler zeigt bei Leistung und Effizienz so krasse Ausschläge nach oben und nach unten. Gegen Bayern war es eine Leistung nah am oberen Limit. So wie bei eigentlich allen seinen Mitspielern. Ohne die schlechte Leistung der Bayern starkreden zu wollen, muss man feststellen: Borussia Mönchengladbach war einfach sehr gut.

Und so gab es zur Halbzeit zwar noch einige leidgewohnte Anhänger in Schwarz-Weiß-Grün, die unkten, die Sache sei noch längst nicht durch (der Berichterstatter gehört selbstredend dazu), nach dem 4:0, Folge einer Slapstickeinlage der oben genannten Verteidiger gepaart mit enormem Willen des Breel Embolo, war klar: Das ist und bleibt ein besonderer Abend. Man hatte allenfalls noch Sorge, 50 Jahre nach dem 7:1 gegen Mailand könnte aus dem gegnerischen Fanblock erneut eine Dose aufs Spielfeld fliegen. Aber die Horrorvision, Kimmich könnte den Boninsegna machen, von einer Dose Biontech gefällt, und das Spiel später wegen unerwarteter Spätfolgen annulliert werden, erwies sich als unbegründet. Bayern ist raus, Borussia ist weiter, die Welt ist schön.