Lieber Herr Eberl,

ich erinnere mich noch gut an den 7. November 2019, als es mich förmlich aus dem Sessel katapultierte. Marcus Thuram hatte gerade in der Nachspielzeit das 2:1 gegen den AS Rom erzielt und das Stadion bebte. Zu lange schlägt mein Herz für unseren Verein, als dass mich ein simpler Last-Minute-Treffer derart in Begeisterung versetzen könnte. Aber diesmal war es anders. Diese Borussia gewann an jenem Abend nicht, weil sie glücklicher oder gar besser war, sondern weil sie den Sieg schlicht und ergreifend mehr wollte. Ein 1:1 hätte weiterhin alle Optionen offen gehalten, doch das schien der Mannschaft nicht genug. Diese Gier, dieser Hunger, das alles war ansteckend und an diesem Abend dürfte auch der letzte Fan verstanden haben, was Sie meinten, als sie mit der Verpflichtung von Marco Rose „etwas Neues“ versuchen wollten. Chapeau für diesen Schritt. Leider ist mittlerweile – und das schon seit längerer Zeit – von diesem Hunger nichts mehr zu spüren.

Es heißt, die Mannschaft spiele weiterhin ordentlich, es fehlen nur die Ergebnisse. Nun, ziehen wir doch mal ein Zwischenfazit für diese Saison. In der Champions League hat die Mannschaft erstmals die Gruppenphase gemeistert. Glücklich, aber auch verdient, denn abgesehen von dem eher mutlosen Auftritt in Madrid konnte man in allen anderen Spielen dem Gegner die Stirn bieten, teilweise mit brillantem Fußball. Und selbst, wenn diese Reise nun gegen die vermutlich derzeit beste Vereinsmannschaft der Welt ein Ende finden wird, gibt es niemanden, der dies als einen Misserfolg sehen würde. Im Pokal sieht es hingegen schon etwas nüchterner aus. Nein, ein Ausscheiden im Viertelfinale ist wahrlich kein Weltuntergang. Allerdings genügte zum Erreichen auch eine souveräne Halbzeit in Stuttgart. Und ja, das Team mag ordentlich gegen die ungeliebte Namenscousine aus dem Ruhrgebiet gespielt haben. Aber ordentlich reicht halt nicht, wenn man etwas Blechernes in der Hand halten möchte. Von Gier und Hunger war in diesem Spiel nichts zu spüren, weshalb das Ausscheiden vielleicht unglücklich, aber sicherlich nicht unverdient war.

Damit kommen wir zum eigentlichen Brot-und-Butter-Geschäft – der Bundesliga. Abgesehen von den wirklich starken Leistungen gegen Bayern und die bereits erwähnte Namenscousine bleibt nichts, was die Attribute Hunger, Gier und Wille auch nur ansatzweise verdient hätte. Niederlagen gegen Köln oder Mainz mögen sich unglücklich anfühlen, doch sind sie objektiv betrachtet das logische Ergebnis eines Spiels, in dem der Gegner schlicht mehr wollte. Unvermeidbar sind sie hingegen nicht, wenn man den gleichen Willen entgegensetzt. Davon ist aber über die gesamte Saison nur wenig zu spüren. Mit Ausnahme des Heimspiels gegen den kommenden Gegner Augsburg fällt überhaupt kein Spiel ein, dessen Ausgang man als unverdient bezeichnen möchte. Und seien wir ehrlich, dem stehen auch glückliche Ausgänge, wie dem in Frankfurt gegenüber. Die aktuelle Situation ist somit keine Verkettung von widrigen Umständen oder gar Pech sondern schlichtweg das Ergebnis der in dieser Saison gezeigten Leistungen. In der Tabelle mag man weit hinter den Mindestzielen oder dem eigentlichen Potential stehen, aber eben auch – seien wir bitte fair - genau dort, wo einen die eigenen Leistungen hingeführt haben. Die Tabelle lügt nicht.

Und damit sind wir bereits beim Trainer. Eines vorab: Es ist vollkommen legitim, dass ein Angestellter von einer Vertragsklausel Gebrauch macht und seinen Arbeitsvertrag fristgemäß beendet. Dass er nun ausgerechnet zu dem Verein wechselt, dessen Nennung ich hier bewusst vermeide, mag Emotionen hervorrufen. Und dass bei diesen ein akzeptables Maß überschritten wurde, darüber kann es keine zwei Meinungen geben. Kein Mensch hat es verdient, aufgrund eines Arbeitsplatzwechsel als Sau oder schlimmeres tituliert zu werden. Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack. Es sei die Aufgabe, die ihn reizt, gibt Marco Rose als Grund für seinen Wechsel an. Doch sind das nicht die gleichen Worte, mit denen er bereits den Wechsel nach Mönchengladbach begründet hat. Natürlich steht es ihm frei, zu attraktiveren Gefilden zu wechseln. Doch wäre es nicht schön, erst einmal vorher seine Aufgabe zu erfüllen? Die mag in seiner ersten Saison auch gelungen sein, doch mittlerweile steht die Mannschaft schlechter da, als vorher. Hierzu ein Vergleich. Wäre Lucien Favre, der sich nach zwei Jahren ebenfalls in einer kritischeren Situation befand, vorzeitig gewechselt, die Enttäuschung wäre groß gewesen, hätte aber niemals diese Wut entfacht. Der Mann hatte nicht nur geliefert (Klassenerhalt), er hatte sein Soll sogar übererfüllt (Rückkehr nach Europa). Für Marco Rose trifft dies nicht zu. Er stellt seine eigenen Ziele über die seines Arbeitgebers und verdeckt dies ungenügend. Der Verweis auf neue Aufgaben ist somit schlichte Heuchelei und das regt die Leute auf – letztlich gerechtfertigterweise.

Nicht wenige forderten nach dieser Bekanntgabe die sofortige Trennung vom Trainer und verkennen dabei, dass dies zunächst eine beträchtliche Gefahr für den Verein beinhaltet. Die Borussia ist dafür bekannt, unter Ihrer Führung langfristig zu denken und das ist auch gut so. Anders wäre die Erfolgsgeschichte der vergangenen Dekade auch nicht erklärbar. Ein neuer Trainer, der zu den Zielen der Borussia passt, ist aber nicht auf Abruf verfügbar, weswegen zeit erforderlich ist, einen entsprechenden Kandidaten zu finden und zu binden. Die zwischenzeitliche Installation eines Interims birgt dazu die Gefahr einer Loss-Loss-Situation. Funktioniert der Interim nicht, muss sich der Verein dem Vorwurf aussetzen, aus emotionalen Gründen unprofessionell gehandelt zu haben. Funktioniert der Interim hingegen (zu) gut, wird einem neuen Trainer ein gewaltiger Rucksack mitgegeben. Stellen sich Erfolgsergebnisse nicht sofort ein, wird schnell der Vorwurf laut, man hätte es doch ruhig mit dem Interim weiter versuchen sollen, es habe doch in der Vergangenheit auch gut geklappt – das Beispiel André Schubert lässt hier grüßen. Ein ruhiger und langfristiger Aufbau wird unter diesen Umständen schwer. Insofern war es die richtige Entscheidung, erst einmal an Marco Rose festzuhalten und auf seine Qualitäten, sofern man davon überzeugt war, zu setzen. Doch mittlerweile hat sich auch diese Situation wieder verändert.

Der Ruck, den man sich erhofft hat, ist ausgeblieben. Schlimmer noch, seit der Bekanntgabe trudelt das Team sieglos den unteren Tabellenregionen entgegen. Nein, die Mannschaft bricht nicht auseinander, dafür ist die Qualität dann doch zu hoch. Doch ein wirkliches Aufbäumen ist auch nicht mehr erkennbar. Warum dies so, ist, darüber wurde viel spekuliert und sicherlich auch von Menschen, die eine Kabine noch nie von innen gesehen haben, oder ihre Brötchen mit der Verbreitung von Halbwahrheiten verdienen. Fest steht aber eines: Vom Powerfußball der letzten Saison fehlt ebenso jegliche Spur, wie von einem Spielsystem, dass den Gegner überraschend unter Druck setzt. Stattdessen versucht man sich mit dem Verwaltungsfußball über die Runden zu retten, der bereits die Endphase der Hecking-Ära geprägt hatte – nur leider diesmal noch erfolgloser. Hier schließt sich der Kreis. Das „Neue“ ist verblüht, mittlerweile befindet man sich in einer Situation wieder, die frappierend an die vor 2 Jahren erinnert und von der man doch eigentlich weg wollte – nur das der Verantwortliche an der Seitenlinie diesmal einen Bart trägt. Von der Ära Rose wird nur ein starker Start, gefolgt von einem langsamen Dahinsiechen in Erinnerung bleiben.

Doch noch ist das Erreichen des Minimalziels, die Qualifikation für Europa, in Reichweite. Nur in der jetzigen Konstellation fällt es zunehmend schwerer, daran zu glauben, dass die Mannschaft die Gier aufbringt, den Bock doch noch umzuwerfen. Nochmal, es ist nicht der Arbeitgeberwechsel des Trainers der diese Zweifel aufkommen lässt sondern schlichtweg die fehlende Performance, die sich nun seit dem ersten Spieltag hinzieht. Zu oft blieb das Team auf dem Platz eine Antwort schuldig. Zuletzt 8 Torschüsse gegen Leverkusen oder gar nur 5 gegen Leipzig sprechen Bände. Das Experiment Rose ist gescheitert. Es ist auch nicht mehr die Frage, ob man ihn von seinen Aufgaben entbindet, sondern nur noch wann. Doch mit jedem weiteren Spiel wird das Erreichen des Minimalziels unwahrscheinlicher und die Verantwortlichen bei der Borussia werden sich dann dem Vorwurf aussetzen müssen, sehenden Auges nicht gehandelt zu haben. Dieses Gefühl ist es, warum sich viele momentan von der Borussia abwenden, nicht Liebesentzug, denn der Droge Fußball entkommt man nicht so einfach. Es ist auch nicht gegen den Verein gewendet sondern schlichtweg die Enttäuschung, dass man in etwas Hoffnung legt, dass diese doch schon so oft enttäuschte, nicht erst in dieser Rückrunde. Um weiteren Schaden abzuwenden, muss also umgehend gehandelt werden. Nicht weil es andere fordern, nicht weil eine Gesetzmäßigkeit des Geschäftes es verlangt, sondern schlicht und ergreifend, um weiteren Schaden von dem Verein fernzuhalten. Wäre eine Entbindung von Marco Rose eine Erfolgsgarantie? Sicherlich nicht. Aber einen garantierten Erfolg gibt es im Profifußball auch nicht. Doch man würde sich nicht mehr dem Vorwurf aussetzen, nicht alles versucht zu haben, um die Mindestziele zu erreichen. Denn dies würde dann die Menschen treffen, denen es – wie uns Fans – wirklich um die Borussia geht. Und das soll und darf auch nicht sein!