Copyright: Ulrich Hufnagel/Hufnagel PR

 

Es war die letzte Chance. Die Karte, auf die Marco Rose augenscheinlich alles gesetzt hatte. Die Bundesliga mehr oder weniger abgeschenkt, in der Champions League chancenlos, sollte es der DFB-Pokal-Sieg 2021 sein, mit dem sich die Probstheidaer Ich-AG nebst Entourage von der Zwischenstation am Niederrhein zu verabschieden gedachte. Wir alle haben gesehen: Es hat nicht funktioniert. Borussia ist ausgeschieden, nicht einmal unverdient, und die Saison ist am 02. März mehr oder weniger vorbei. Vor uns liegen zähe Wochen. Nicht wenige Anhänger der Borussia haben am Abend spontan reagiert: "Das war das letzte Spiel bis August, das ich mir angesehen habe". Nun sagt man im Angesicht einer bitteren Niederlage so manches, und bei vielen wird es spätestens am Wochenende doch wieder im Zeigefinger jucken, bis er oder sie dann doch die den Fernseher einschaltet. Bei anderen aber wird das nicht passieren, und man darf ohne Übertreibung feststellen: In den vergangenen Wochen ist zwischen Borussia und ihren Fans einiges kaputtgegangen. 

 

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Zum Spiel gegen Dortmund: Marco Rose hat die bestmögliche Aufstellung gewählt, das Team ließ sich nicht hängen und hatte in der ersten Halbzeit mehr von der Partie, ohne freilich zu glänzen. Einige Abschlüsse gab es, die aussichtsreichsten vergab Thuram in der Anfangsphase bzw. in der Schlussphase, als er knapp aber eindeutig im Abseits war, bevor er den Ball an Hitz vorbei ins Tor schob. Nach der Pause stellte Edin Terzic ein bisschen um, seine Dortmunder verteidigten nicht mehr so tief und wurden aktiver, ohne wirklich aufzudrehen. Das reichte aber, um Borussia in Schach zu halten. Die Gladbacher kamen kaum noch hinter die BvB-Abwehr, generierten bis auf einen schönen Distanzschuss des guten Bensebaini keine Gefahr mehr. Dortmund war gefährlicher, ohne wirklich zu drücken. Florian Neuhaus krönte einen Abend zum Vergessen mit dem tödlichen Pass - nach einer eigenen Ecke in die Beine des Gegners. Den folgenden Konter vollendete Sancho zum Tor des Tages. Borussia bäumte sich danach nicht wirklich auf, zumindest gelang es auch in der Folge nicht, für etwas zu sorgen, das annähernd als gefährlich bezeichnet werden könnte. Marco Rose wechselte für viele unverständlich die beiden Spieler aus, denen man es abnehmen möchte, dass sie gerne mit Borussia Mönchengladbach den Pokal gewonnen hätten. Der indisponierte Neuhaus dagegen blieb auf dem Platz. Erst in der Nachspielzeit gab es noch einmal kurz den Versuch, die Brechstange rauszuholen - Verzweiflungsschüsse von Zakaria und Lainer verfehlten ihr Ziel und dann war es vorbei.

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Nach dem Spiel sprach Maroc Rose pflichtschuldig von einem großen Kampf, den seine Mannschaft geleistet habe. Sein Lakai René Maric schmuste mit seinem früheren und künftigen Schützling Erling Braut Haaland, erkannte aber immerhin nach kurzer Zeit selbst, dass dieser Anflug "Echter Liebe" ein paar Monate zu früh kam und mithin ein wenig instinktlos anmutete. Aber die Bilder waren in der Welt und sie werden ungefähr so zur Beliebtheit der Rose-Posse bei den Fans von Borussia beitragen, wie die Freudsche Fehlleistung des Übungsleiters darselbst, der schon beim Verkünden seines Wechsels seinen alten und seinen künftigen Arbeitgeber munter durcheinanderbrachte. War es ein großer Fight? Gemessen am Wert des Spieles, der mutmaßlich letzten Chance, eine überwiegend verkorkste Saison und das diskussionswürdige Rose-Intermezzo noch zu einem versöhnlichen Ende zu bringen, und wohl auch der letzten Chance, dem kommenden Trainer ein international spielendes Team präsentieren zu können, war es das nicht. Es war ein über weite Strecken zähes Spiel, in dem Borussia zwar bei der Sache war, aber in dem sich die Ideenlosigkeit der vergangenen Wochen fortsetzte. "Großer Fight" und die zur Schau gestellte Harmlosigkeit gerade in der Offensive - das passt nicht zusammen. Man hat sich bemüht. Immerhin. Für die Größe des Spiels allerdings war es zu wenig.

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Und jetzt? Die Stimmung im Umfeld ist eindeutig. Das schick rasierte Gesicht des einstigen Hoffnungsträgers an der Seitenlinie will fast niemand mehr sehen. Das Gefühl, einem Blender, einem Hochstapler auf den Leim gegangen zu sein, es breitet sich mit jedem verlorenen Spiel weiter aus. Auf das Auftreten Roses - irgendwo zwischen dünnhäutig und arrogant - reagieren die Fans zunehmend allergisch. Gleichzeitig ist Sportdirektor Max Eberl im Stahlhelm-Modus. Auch nach dem Pokal-Aus dauerte es nicht lange bis zum erwarteten Treuebekenntnis zum Trainerteam. Die Stimmung im Umfeld ficht Eberl nicht an, dass er unter denen, die in normalen Zeiten das Stadion bevölkern und ohne die Borussia vor Corona nichts zu sein schien, überwiegend  "Dumpfbacken" vermutet, hat er verschiedentlich deutlich gemacht. Warum sollte sich inzwischen etwas daran geändert haben? Andererseits: Was ist die Alternative? Ein Trainerwechsel zur jetzigen Zeit hätte vor allem symbolischen Wert. Die Frage, der sich Eberl und die Riege der Verantwortungsträger stellen müssen, ist: Wer sind "wir", also Borussia, wer sind "die"? Im Moment sieht es so aus, als würde die Frage nach dem "wir" an der Hennes-Weisweiler-Allee mit "Max, Marco, Maric" beantwortet. Das Umfeld ist, pandemieseidank, weit weg, tobt sich in diesem Internet aus, das man businessintern (häufig durchaus mit einigem Recht) als irrelevante Blase im Zustand der Dauererregung wahr- und deswegen wenig ernst nimmt.

Rein sportlich, da ist Eberl vermutlich richtig beraten, würde es wenig nutzen, Rose und Konsorten freizustellen. Es drängt sich keine Zwischenlösung auf, schon gar keine, die einen kurzfristigen Turnaround verspricht, der das Erreichen der Euro League (von mehr zu sprechen, verbietet sich ohnehin) noch realistisch erscheinen lässt. Es ist vermutlich vernünftig, die Saison jetzt mit Rose austrudeln zu lassen. In Abstiegsgefahr wird Borussia schon deswegen nicht mehr geraten, weil sich die Teams im Tabellenkeller die Punkte auch gegenseitig wegnehmen und keins von ihnen den Eindruck macht, jetzt eine Siegesserie hinlegen zu können. So hat Marco Rose noch ein wenig die Gelegenheit, sein Image weiter zu ramponieren, die wechselwilligen Spieler können ihren Marktwert noch ein wenig drücken und das Umfeld kann wahlweise hin- oder weggucken. So mancher wird sich abwenden, und nicht jeder wird leicht dazu zu bewegen sein, sich in absehbarer Zeit wieder hinzuwenden. Es ist, wir wiederholen uns, in den vergangenen Wochen vieles kaputtgegangen zwischen dem Verein Borussia Mönchengladbach und seinen Fans. Das hat viele Ursachen, darauf wird in den kommenden Wochen noch einzugehen sein. Dass das sportlich-emotionale Hoch, dass vor fast genau zehn Jahren mit dem Start der Ära Favre begann, ebenfalls vorbei ist, es scheint nicht ausgeschlossen. Für heute gilt erst einmal: Die Saison 2020/21 ist gegessen.