Es war einmal eine ernsthafte Debatte. Es ging um den Stellenwert des Fußballs. Um Infektionsgefahr, aber auch um die Rolle des Profifußballgeschäfts in der Gesellschaft. Um Privilegien und Arbeitsplätze. Es war das Frühjahr 2020. Corona hatte begonnen, sich in den bundesdeutschen Alltag zunächst zu schleichen, um ihn dann mit Macht auf den Kopf zu stellen. Der Bundesliga-Spielbetrieb wurde eingestellt. Fußball ohne Zuschauer? Undenkbar. Fußball angesichts einer unbekannten hochansteckenden Krankheit? Im Leben nicht. Fußballspielen, während alle zuhause sitzen und hoffen, der Spuk möge irgendwie vorübergehen? No way. Das galt einige Wochen - danach übte sich das Business in einer ungewohnten Disziplin: Demut. Um den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu dürfen, ging man gesenkten Kopfes in die Debatte. Die vielen Menschen, deren Job vom Fußball abhängt, wurden ins Feld geführt. Die existenzielle Bedrohung, vor der die Vereine stünden. Die Ablenkung, die man dem pandemiebedingten Volk würde bescheren können. Und natürlich, natürlich habe man gelernt von Corona. Das Geschäft werde nach der Pandemie ein anderes sein, man habe es übertrieben, müsse solider wirtschaften, volksnäher agieren, auf den Boden kommen - nur bitte bitte lasst uns wieder spielen.

Zeitsprung in den Winter. Fußball ohne Zuschauer ist Alltag, an die anfangs merkwürdigen Geräusche, die uns aus den leeren Arenen durch die Soundbar ins Wohnzimmer hallen, haben wir uns gewöhnt. Dass immer mal wieder ein Spieler wegen Covid19 pausieren muss, führt nicht einmal mehr zu einem Achselzucken, dass der Spuk auf absehbare Zeit nicht vorbei geht, hat die überwiegende Zahl von uns verstanden und sich wohl oder übel irgendwie eingerichtet in der neuen Wirklichkeit. Und die Demut im Fußballbuisness? Gruß nach Katar, wo der FC Rummenigge vermutlich mittlerweile angekommen ist. Wir verfolgen das nicht weiter. Eine "Klub-WM" hätte Seitenwahl auch vor und nach Corona nicht interessiert. Man muss aber auch gar nicht so weit schauen. Führte der Bruch von Corona-Regeln im Frühjahr noch dazu, dass Spielerverträge aufgelöst wurden, taugt heute selbt eine haarsträubende Story mit leichten Mädchen, Dächern und Badewannen nur noch zwei Tage zum Aufreger. Kurzum: Das Business läuft wie gehabt, durch die Transferfenster wird bald wieder mit Euro und Pfund geworfen, als gäbe es kein Morgen. 

Und damit kommen wir zu Borussia und zur Champions-League. Die UEFA hat beschlossen, Corona fortan Corona sein zu lassen. Die Schau muss weitergehen. Eine Europameisterschaft in drölfzig Ländern war schon mit Zuschauern eine bescheidene Idee. Ohne ist sie vollends absurd - wird aber Stand heute trotzdem durchgezogen. Und während sich in Europa Virusmutationen mit unbekannter Konsequenz ausbreiten und Grenzen geschlossen werden, muss auch der Zirkus Champions League weitergehen, koste es, was es wolle.  

Die Website des Auswärtigen Amtes stellt die Situation in Ungarn, der sympathischen Quasidiktatur von nebenan, dar wie folgt: Vor nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Ungarn wird derzeit aufgrund hoher Infektionszahlen gewarnt. In allen Komitaten sowie in der Hauptstadt Budapest liegen die Inzidenzen derzeit bei mehr als 50 Fällen pro 100.000 Einwohner auf sieben Tage, weshalb Ungarn als Risikogebiet eingestuft wurde. Die Einreise ist für Deutsche grundsätzlich nicht möglich. Einreisen können grundsätzlich nur noch ungarische Staatsangehörige. Womit eigentlich alle Fragen geklärt sein sollten, wenn es darum geht, eine Reise ins Land von Gleichschaltung und Paprikahühnchen zu planen. Aus unerfindlichen Gründen finden sich in diesen Richtlinien aber auch Ausnahmen für Sportler. Und die nutzen europäische Fußballvereine nun beherzt, um die Regeln, die im eigenen Land zum Schutze der Bevölkerung erlassen worden sind, auszutanzen wie unlänst Wamangituka den guten Neuhaus.

Deutschland ist beim Einreiseverbot für Sportlker aus dem B1.1.7. verseuchten Großbritannien konsequent? Wie gut, dass es die Ungarn nicht so genau nehmen, mit dem Infektionsschutz. Dass man ausgerechnet dort jetzt herzlich Menschen aus aller Herren Länder einlädt, entbehrt nicht einer gewissen bitteren Komik. Also trägt neben RB Leipzig auch Borussia Mönchengladbach sein Heimspiel gegen ein englisches Team in Budapest aus - im Stadtteil rechts der Donau, Pest genannt. So fliegen also mehrere Trosse aus Risikogebieten in Risikogebiete um dort auf Trosse aus anderen Risikogebieten zu treffen - weil die UEFA es mit Corona nicht so hat. "Wir bleiben zuhause" gilt für alle, aber doch nicht für den Fußball. Das Problem ist dabei weniger Ungarn, auch wenn sich "Heimspiel" dort noch unschöner anfühlen mag, als in einem freundlicher geführten europäischen Land. Das Problem ist, dass das Business sich einmal mehr über alles hinwegsetzt, was Vernunft und Solidarität in diesen Zeiten gebieten.

Nun kann Borussia Mönchengladbach für die Vorgaben des europäischen Verbandes nichts. Würde man sich verweigern, was wäre die Konsequenz? Borussia ist ein Verein, an dem vor allem seine Unauffälligkeit auffällig ist. Den Stachel wider irgend etwas zu löcken, gehört nicht zur DNA des grundsoliden e.V. vom Niederrhein. Bevor Borussia gegen irgend etwas den Aufstand probt, wird das knarzkonservative Mönchengladbach von einem jungen schwulen Sozialdemokraten - oh wait.

Seriös gedacht sind es aber tatsächlich nur die Vereine, die diesen Wahnsinn kippen könnten. Statt durch halb Europa zu telefonieren, um notfalls noch einen Aschenplatz in einem Vorort von Minsk zu finden, auf dem man das Achtelfinale durchziehen kann, könnte man sich gemeinsam auf eine Verschiebung, auf ein Finalturnier im Sommer oder notfalls auch auf einen Abbruch des Wettbewerbes verständigen, hätte man daran ein ernsthaftes Interesse. Hätten Borussia und RBL bei der UEFA gemeinsam vorgesprochen, womöglich mit Unterstützung der deutschen Vertretrer, die das Glück haben, nicht so direkt von den Einreisebestimmungen getroffen zu sein, man hätte vielleicht etwas erreicht. Solche Versuche hat es offenkundig nicht gegeben. Man fügt sich und spielt "zuhause" in der Puskás-Arena. "Wir sind froh, dass wir überhaupt spielen können", teilt Borussia mit. Wirklich? Wir nicht.