union berlin neu

Vielleicht sollte man die sonst übliche Winterpause in der Bundesliga gänzlich abschaffen, denn warum sollten die Spieler der Borussia irgendwo in sonnigen Gefilden der Türkei oder Spaniens langweilige Trainingseinheiten abhalten, wenn sie doch genauso gut bei Eis und Schnee in der Liga einen Punkt nach dem anderen einheimsen und dabei noch furios die Erzfeinde aus München und Dortmund abfiedeln könnten? Statistiker wissen natürlich, dass man aus einer Stichprobe vom Umfang 1 eigentlich keine Schlüsse ziehen kann oder sollte, aber zumindest dieser spezielle Januar ist für die Borussia bislang – zumindest ergebnis-technisch – fast optimal verlaufen. 13 Punkte konnte man bislang in den fünf Partien seit Jahresbeginn einfahren, fast doppelt so viel wie in den sieben Spielen im November und Dezember. Endlich hat man wieder Anschluss an die Champions-League-Plätze, um die sich dieses Jahr einige Mannschaften mehr als in den Vorjahren zu streiten scheinen. Dass der VfL Wolfsburg und die Frankfurter Eintracht bei gutem Saisonverlauf so hoch in der Tabelle stehen könnten, ist jetzt nicht komplett unerwartet, dass aber der 1.FC Union Berlin nur einen Punkt hinter Borussia Dortmund munter um europäische Plätze mitspielt, ist schon eine kleine Sensation und so wird die Begegnung an der Alten Försterei am Samstag fast zu sowas wie einem Spitzenspiel.

Schon vor einem Jahr wurden die Unioner als DIE Überraschungsmannschaft der Liga gefeiert, als man, ohne jemals ernsthaft in Abstiegsgefahr geraten zu sein, einen formidablen elften Platz einfahren konnte. Die Gründe für den Erfolg lagen auf der Hand: die Euphorie des Aufsteigers, die fantastische Atmosphäre im heimischen Stadion, das simple, aber so schwer auszuhebelnde Spielsystem mit langen Bällen auf Andersson. Nun steckt man im eigentlich so schwierigen zweiten Jahr nach dem Aufstieg, die fanatischen Zuschauer müssen draußen bleiben und Sebastian Andersson kickt inzwischen für den 1.FC Köln (bzw. tut das im Moment wegen Verletzung gerade nicht) und trotzdem ist der 1.FC Union wiederum DIE Überraschungsmannschaft und das im Moment sogar ohne den verletzten Stareinkauf Max Kruse. Urs Fischer hat es geschafft, dem Team eine flexiblere und spielfreudigere Ausrichtung zu verpassen: erfolgreich, wie 33 Tore in 18 Spielen (im Vorjahr gab es nach 34 Spielen nur 41 Treffer!) beweisen. Auch wenn neben Kruse auch der beleidigende, aber nicht rassistische Hübner fehlen wird, erwartet die Borussia ein unangenehmer Gegner. Nach der Auftaktniederliga gegen Augsburg ist der Small-City-Club aus Köpenick in acht Spielen daheim ungeschlagen und schon im Hinspiel hatten die Gladbacher beim 1:1 große Mühe mit den Unionern.

Nichtsdestotrotz reist der VfL als Favorit nach Berlin. Bis auf Lazaro stehen Marco Rose alle potentiellen Stammspieler zur Verfügung. Vor allem Marcus Thuram deutete schon gegen Dortmund an, dass mit ihm wieder ein wichtiges Element in die Gladbacher Offensive zurückkehrt. Gut vorstellbar, dass der Franzose am Samstag den Vorrang vor seinem Landsmann Plea erhält, der in den letzten Wochen immer wieder muskuläre Probleme hatte und ein ganzes Stück von seiner Bestform a la Donezk entfernt war. Auch Denis Zakaria findet nach der langen Verletzungspause immer mehr zur alten Form, obwohl er damit klarkommen muss, dass der Trainer ihn sehr viel auf dem Platz herumschiebt: Mal spielt der Schweizer auf der rechten Außenseite, mal als zentraler Verteidiger in einer Dreier-Kette mal auf der Sechs. Sicher ein Grund, warum Zakaria noch nicht komplett wieder im Rhythmus ist, aber auch eine Anerkennung seiner Polyvalenz. Nach acht Tagen Pause seit dem Dortmundspiel hat Marco Rose keinen zwingenden Grund, stark zu rotieren, außer er gibt dem Pokalspiel in Stuttgart am Mittwoch klare Priorität. Angesichts der großen Chance, sich jetzt endlich tabellarisch in der Spitzengruppe festzusetzen, sollte man aber nicht mit Herrmann, Wolf und Wendt in der Startelf rechnen.

Während es sportlich momentan gut für die Borussia läuft, gibt es medial immer wieder kleine Störfeuer. Die anhaltenden Gerüchte über einen Wechsel von Marco Rose zum Conference-League-Aspiranten aus Dortmund sind nicht hilfreich und nerven vor allem die Anhänger des Vereins gewaltig. Aber so sehr der Wunsch, Rose möge sich da doch endlich mal klar äußern, verständlich ist, so muss man Menschen auch zugestehen, wichtige Entscheidungen für die eigene Zukunft (und für die der involvierten Vereine) in Ruhe und nach Abwägen aller Fürs und Widers zu treffen. Das Ausweichen Roses auf entsprechende Fragen deutet ja eben auch an, dass halt noch keine endgültige Entscheidung für die falsche Borussia gefallen ist. Dass ein Verbleib von Rose für Gladbach sehr wünschenswert wäre, muss man noch seiner bisherigen Arbeit hier nicht betonen, aber auch bei einem Abgang des Trainers sollte man beim VfL nicht in Depression verfallen. Kann man sich den Nichtabstieg 2011 und die folgende Renaissance der Borussia eigentlich nur mit Lucien Favre vorstellen, so ist der Verein dieser Tage weitaus unabhängiger von einer einzelnen Person auf der Trainerbank. Man darf davon ausgehen, dass man auch auf alle Eventualitäten vorbereitet ist und ein Plan B schon in der Schublade Max Eberls schlummert.

Das andere unerwünschte mediale Thema rund um den Verein bleiben die nicht Corona-konformen nächtlichen Eskapaden Breel Embolos nach dem Stuttgart-Spiel. Während man in Gladbach hoffte, dass die Angelegenheit mit einer (auch für jemandem mit Embolos Gehalt) empfindlichen Geldstrafe von 200.000 Euro aus der Welt zu schaffen, meinte dieser Tage der alternde Ex-Fussballreporter Marcel Reif, dass es vielleicht doch besser sei, wenn die Mannschaftskameraden ihren Schweizer Kollegen in der Kabine mal richtig vermöbelten. Ob der einstige Star-Kommentator nun den Verstand verloren hat oder womöglich schon immer glaubte, dass man Konflikte am besten gewalttätig aus der Welt schafft, bleibt unklar. Auch wir hier bei Seitenwahl waren anfangs etwas irritiert darüber, wie der Verein sich in dieser Affäre uneingeschränkt hinter den Spieler Embolo und seine recht hanebüchene Geschichte um das nächtliche Basketball-Gucken im Dunklen mit zwei imaginären Freunden gestellt hat. Angesichts der bizarren Einlassung von Reif und der Hetzkampagne der Bild-Zeitung in der Vorwoche jedoch erscheint diese Strategie in einem anderen Licht. Letztendlich hat Embolo rein rechtlich gesehen nur eine Ordnungswidrigkeit mit anschließender Verbreitung „alternativer Fakten“ zu verantworten; beides wurde sicher intern nicht nur mit der Geldstrafe, sondern auch ein paar klaren Worten geahndet. Darüber hinaus hat der Verein aber auch die Verantwortung, einen Spieler vor einer Hexenjagd zu schützen und insofern war die Zurückhaltung in dieser Angelegenheit durchaus sinnvoll.

In der Vorwoche hat die Mannschaft hervorragend gezeigt, wie sie sich trotz solcher Nebenschauplätze sehr gut auf ein Fußballspiel konzentrieren kann und man kann nur hoffen, dass ihr das auch am Samstag gelingt. Die besten Leistungen in dieser Saison zeigte die Borussia in den „großen Spielen“, entweder in der Champions League oder auch daheim gegen Leizpig, Bayern und den BVB. „But can they do it on cold rainy night in Stoke?“, fragt man an dieser Stelle gern in England und auch wenn es ein Nachmittagsspiel ist und die Städte Stoke und Berlin nicht allzu viel gemeinsam haben, so ist es jetzt an der Borussia mal das zu tun, was in Freiburg, Frankfurt oder Stuttgart misslang: einen unangenehmen Gegner auswärts zu besiegen.

 

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Es bleibt dabei: Borussia gewinnt nur gegen die ganz oben oder ganz unten. In Berlin gibt es am Ende ein leistungsgerechtes 1:1.

Christian Spoo: Mit dem Rückenwind aus dem Dortmund-Spiel schafft Borussia den ersten Sieg in der Alten Försterei. Der fällt knapp aus, aber auch das 1:0 bringt drei Punkte im Kampf um die Champions-League-Qualifikation.

Mike Lukanz: Borussia hat einen Lauf, den auch Union nicht stoppen wird. Das 3:0 klingt genau so deutlich, wie es wird.

Uwe Pirl: Die Ergebnisse der letzten Wochen legen nahe, dass der Hänger überwunden ist. Trotzdem wird es sehr schwer. Union ist unangenehm zu spielen. Der 3:2 Sieg klingt am Ende deutlicher, als es auf dem Platz aussah.