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Nur noch gut zwei Wochen sind es bis zum Bundesliga-Start. Höchste Zeit also für den traditionellen Seitenwahl-Bundesliga-Check, in dem wir wie jedes Jahr schonungslos und knallhart die 18 Bundesligisten analysieren. Wir schreiben das, was das Kicker-Sonderheft noch nicht mal zu denken wagt und das alles auch noch so kurz und bündig, dass auch junge Leser mit kurzer Aufmerksamkeits-Spanne nicht überfordert werden. In diesem Jahr rollen wir das Feld von hinten auf, fangen mit den Aufsteigern an, gehen dann die Tabelle langsam hoch, bis wir im abschließenden Beitrag ganz oben bei der Borussia landen.

 

VFB Stuttgart

Wo kommen sie her?

Während der Rest der Nation mit einer Mischung aus Schadenfreude, Mitleid und Fremdscham das bizarre Saisonende des Hamburger Sportvereins in der zweiten Liga verfolgte, wird man beim „HSV des Südens“ in Stuttgart eher stille Erleichterung verspürt haben, dass der norddeutsche Leidensgenosse die Aufmerksamkeit auf sich zog und so von der zähen Holprigkeit der eigenen Aufstiegsbemühungen ablenkte. 58 Punkte hätten in den vergangenen 10 Jahren nur ein einziges Mal (im Vorjahr) zum direkten Aufstieg gereicht, 10 Niederlagen musste im gleichen Zeitraum kein einziger Aufsteiger hinnehmen. Alles Schuld von Trainer Tim Walter, unter dessen Führung man die Hinrunde vermurkste? Nein, Walter holte sogar 2 Punkte mehr in dieser Hinrunde als sein Nachfolger Mattarazo in der Rückrunde und war nur für die Hälfte der Niederlagen zuständig. Umso erstaunlicher, dass man in Stuttgart höchste Stücke auf den vorher nur Insider bekannten Italiener zu halten scheint. Zumindest Vorstandsvorsitzender Thomas Hitzlsperger lässt keine Gelegenheit aus, seinen neuen Cheftrainer in den höchsten Tönen zu loben.

 

Was passiert gerade?

Zwei der bekanntesten Namen aus dem Vorjahr fehlen im Kader des VFB. Während Mario Gomez seine turbulente Karriere beendete, wurde sein Ex-Nationalelf-Kollege Holger Badstuber in der Sommerpause in die zweite Mannschaft verbannt, aus rein „sportlichen Gründen“, versteht sich. Allzu große Sprünge können sich die Schwaben bei ihren Einkäufen wohl nicht leisten. Für die zentrale Defensive konnte man Konstantinos Mavropanos (zuletzt von Arsenal an Nürnberg verliehen) sowie Waldemar Anton von Hannover 96 holen. In den Fällen vom Schweizer Torhüter Kobel, rechtem Verteidiger Pascal Stenzel und dem japanischen Mittelfeldspieler Waturo Endo wurden bisherige Leihen in Transfers umgewandelt. Ansonsten kehren eine Reihe von ausgeliehen Spielern zurück, von denen der schnelle Erik Thommy (zuletzt Fortuna Düsseldorf) wohl die interessanteste Personalie ist. Schwerwiegende Abgänge gibt es bislang nicht zu vermelden, aber es gibt Gerüchte um einen Abgang von Torjäger Nicolas Gonzalez (14 Treffer in der Vorsaison). Sollte der Argentinier wirklich gehen, so hätten die Schwaben zumindest gemunkelte 20 Millionen Euro zur Verfügung, um doch noch einmal auf dem Transfermarkt tätig zu werden. Im Wesentlichen scheint man aber darauf zu bauen, dass der Stamm der Mannschaft, die sich eher zum Aufstieg quälte (darunter die Routiniers Castro und Didavi), gut genug für den Klassenerhalt ist.

 

Wo gehen sie hin?

Das abgelaufene Jahrzehnt war das erste seit den 70er Jahren, in dem der VFB keine deutsche Meisterschaft erringen konnte, aber in der näheren Zukunft kann das einzige Ziel der Stuttgarter nur sein, sich zunächst mal dauerhaft wieder in der Liga zu etablieren. Ein dritter Abstieg innerhalb von fünf Jahren könnte irreparabel sein und bedeuten, dass der Meister von 2007 sich bald in der Schublade einstmals großer Südteams mit dem FC Nürnberg, 1860 München und dem FC Kaiserslautern wiederfindet. Zwei Abstiege und Corona-Krise bedeuten, dass man nicht die finanziellen Mittel hat, um den Kader auf gutes Bundesliga-Niveau aufzurüsten, sondern dass Prinzip Hoffnung benutzt. Hoffen, dass der Aufstieg das Team zusammengeschweißt hat, hoffen, dass Bundesliga-Neuling Mattarazo sich nicht überfordert zeigt, hoffen, dass eines der Talente (Egloff Lilian, Cissé Momo) einen frühen Durchbruch schafft. Klappt das nicht, wird es nicht lange dauern bis die große Integrationsfigur Hitzlsperger im Kreuzfeuer steht. Für diesen Fall sollte man sicherstellen, dass die Facebook-Leitung nach Kalifornien steht, wo Schwabens bekanntester Bäckersohn sicher jederzeit bereitsteht, um Alexander Nouri als neuen Trainer zu installieren und anderen Schabernack zu treiben. Wie auch immer wäre alles andere als eine Saison Abstiegskampf eine Überraschung.

(Claus-Dieter Mayer)

 

Arminia Bielefeld

Wo kommen sie her?

Aus einer langen Zeit der Bundesliga-Abstinenz. 2009 war der Verein vom ebenso sympathischen wie erfolglosen Trainer Michael Frontzeck in die 2. Liga geführt worden – auch wenn der Abstieg nach einem verzweifelten Trainerwechsel vor dem letzten Spieltag erst durch den verbrannten Feuerwehrmann Jörg Berger perfekt gemacht wurde. Nach zwei weiteren Jahren stürzte Arminia zwischenzeitlich sogar zweimal in die 3. Liga ab und brauchte aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten einige Jahre, um sich zumindest in der 2. Bundesliga wieder etablieren zu können. 2018 klopften sie mit Platz 4 an die Pforten zur höchsten deutschen Liga, die in diesem Sommer endlich wieder geöffnet werden konnten.

Was passiert gerade?

Es ist ein Armutszeugnis für den Hamburger SV und auch für den VfB Stuttgart, in der vergangenen Saison um 14 bzw. 10 Punkte von den deutlich finanzschwächeren Arminen deklassiert worden zu sein. Gleichzeitig spricht dies aber für die gute Arbeit, die in Bielefeld seit einigen Jahren geleistet wird – in wirtschaftlicher wie sportlicher Hinsicht. Für letzteres zeigt sich insbesondere Trainer Uwe Neuhaus verantwortlich, der zuvor bereits Union Berlin über sieben Jahre hinweg höchst erfolgreich trainiert hatte. Mit Bielefeld wurde er souveräner Zweitliga-Meister, da er gleichzeitig auf den besten Angriff und die beste Abwehr der Liga zurückgreifen konnte. Im Oberhaus werden diese Karten aber ab nächster Woche komplett neu gemischt.

Wo gehen sie hin?

Aufgrund der finanziell stark eingeschränkten Möglichkeiten wird Bielefeld von vielen Experten in der Tradition ihres ostwestfälischen Nachbarn aus Paderborn gesehen, deren beiden Erstligaauftritte in den letzten Jahren jeweils trostlos im direkten Wiederabstieg mündeten. Doch Vorsicht: In den letzten Jahren haben erstaunlich viele vermeintlich kleine Aufsteiger zumindest im ersten Jahr positiv überrascht und die Klasse gehalten – ob Darmstadt, Ingolstadt, Düsseldorf oder Union Berlin. Weiteres Omen, das optimistisch stimmt: Anders als Paderborn im Vorjahr überzeugte Arminia nicht nur durch offensiven Hurra-Fußball, sondern auch durch defensive Disziplin. Lediglich 30 Gegentore kassierte Torhüter Stefan Ortega, der nicht nur deshalb einer der besten Torhüter in Liga 2 war.
Nachteil: Nennenswerte Bundesliga-Erfahrung weist nur Sven Schipplock auf, der zudem im Angriff im Schatten von Kapitän und Vereinslegende Fabian Klos steht. Dieser wurde mit 21 Toren Torschützenkönig und hatte so großen Anteil daran, dass er mit inzwischen 32 Jahren erstmals in der 1. Bundesliga wird antreten dürfen. Ob er dort an seine Torgefährlichkeit anknüpfen kann oder ob ihm das Terodde-Schicksal blüht, wird ein wichtiger Gradmesser für den Saisonerfolg der Arminen sein.
Weitere Unbekannte: Wie wird sich Corona auf die übliche Euphorie eines Bundesliga-Aufsteigers auswirken? Kann der Verein den Schwung auch ohne seine Fans auf der legendären Alm in die Saison mitnehmen? Falls ihnen dies gelingt, stehen die Chancen gut, dass der Verein eher Union Berlin als Paderborn nachfolgt und sich den Klassenerhalt zumindest in der ersten Bundesliga-Saison verdienen wird.

(Michael Heinen)