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Es geht ums Geld. Da ist Borussias Sportdirektor Max Eberl erfreulich ehrlich. „Am langen Ende“ möchte man im eberlüblichen Duktus noch hinterherschieben. Der sportliche Wert dessen, was uns ab diesem Wochenende und dann (wahrscheinlich) bis zum 30. Juni erwartet, ist überschaubar. Das bestreitet man bei Borussia gar nicht erst. Und auch über die von einigen Fußballfunktionären immer wieder betonte angebliche Wichtigkeit des Ganzen für die Anhänger macht sich Max Eberl offenbar keine großen Illusionen. Das zeigt sein kurzer Auftritt in der Talkshow von Markus Lanz in dieser Woche. Den Widerspruch zwischen dem erfreulich offenen „wir sind Teil der Unterhaltungsbranche“ und „wollen unser Produkt zeigen“ und der doch inzwischen recht offenkundigen Indifferenz großer Teile der Kundschaft vermag freilich auch Max Eberl nicht aufzulösen. Das Problem, mit dem Einzelhandel und Gastronomie zu kämpfen haben, wird vermutlich auch den Fußball beschäftigen. Fußball vor leeren Rängen hat einen ähnlichen Sexappeal wie Biertrinken mit Mundschutz an vereinzelt stehenden Tischen. Es geht, aber es ist weit weg vom „real deal“. Dazu kommt: Der Konsum von Bundesligafußball, im Fernsehen und erst recht im Stadion, ist in normalen Zeiten ein Akt des Eskapismus. Die Alltagssorgen vergessen, stattdessen einem einfachen Spiel mit klarer Gut-Böse bzw. Wir-Die-Aufteilung folgen und sich den Emotionen hingeben. Dieses Muster funktioniert beim Corona-Fußball nicht: Eskapismus ist unmöglich, wenn die Umstände einen 90 Minuten lang pausenlos an die für die meisten vermutlich derzeit größte Alltagssorge erinnern.

In einem hat Eberl zweifellos Recht. Bei seinem Auftritt im ZDF bemerkte der Sportdirektor, viele Argumente pro und contra Fortsetzung der Saison seien rein emotional. Das gilt für die Debatte um die Corona-Maßnahmen im Allgemeinen und für die über den Fußball in Corona-Zeiten im Besonderen. Die Argumentation vieler Menschen ist sichtlich davon beeinflusst, wie die eigene Sorge vor einer Infektion ausgeprägt ist. Und auch die Haltung zum „modernen Fußball“ spielt eine Rolle. Wer ohnehin Ressentiments gegen das Milliardengeschäft, zu dem sich der Profifußball entwickelt hat, hegt,  sieht sich durch den Raum, den die Bundesliga in der aktuellen Situation für sich beansprucht, bestätigt. Und diese Haltung ist inzwischen sicher keine von notorischen Antikapitalisten oder Elf-Freunde-Nostalgikern mehr. Wirklich ohne wenn und aber geil findet den „modernen Fußball“ vermutlich doch nur eine Minderheit derjenigen, die sich nichtsdestoweniger zumindest bis zum Ausbruch der Pandemie viel damit beschäftigt haben. Seien die Bedenken gegen den Neustart unter den aktuellen Bedingungen nun aber gesundheitlicher, politischer oder emotionaler Art - man sollte nur nicht meinen, wegen der eigenen Befindlichkeit sei Fußball unter Corona-Bedingungen tatsächlich und zweifelsfrei falsch, zu riskant oder gar unverantwortlich.

Die Schutzmaßnahmen sind so, dass bei konsequenter Einhaltung tatsächlich kaum Einfallstore für das Virus da sind. Die gerne aufgestellte Behauptung, es werde „sowieso“ irgendwann Corona-Fälle innerhalb der Bundesliga-Teams geben und damit falle das Konstrukt zusammen wie ein Kartenhaus, sind angesichts dessen wohl eher Schwarzmalerei. Natürlich ist es nie ausgeschlossen, dass es doch zu einer Infektion kommt – schließlich sind die Wege des Virus nicht auserforscht – wahrscheinlich ist es aber, wenn der Betrieb inklusive Kasernierung einmal läuft – eher nicht. Gut möglich, dass die Saison tatsächlich irgendwie zu Ende geführt wird. Ob man das „regulär“ findet, ist eine Frage des persönlichen Standpunktes. Ob eine unter den aktuellen Bedingungen zustande kommende Abschlusstabelle aussagekräftiger ist als die Tabelle, wie sie war, als der Spielbetrieb gestoppt wurde – Glaubenssache. Ob das Weiterführen oder das Abbrechen der Saison die größere Wettbewerbsverzerrung darstellt bzw. darstellen würde, darüber werden wir möglicherweise noch lange diskutieren.

Eine sportliche Einschätzung dessen, was da am Samstag um 18 Uhr 30 in Frankfurt aufgeführt wird, ist vorab kaum möglich. Die Situation ist nicht einmal vergleichbar mit der zum Start einer jeden Saison. Da gibt es Anhaltspunkte wie das Abschneiden in den Testspielen. Wer das Training beobachtet, kann Rückschlüsse darauf ziehen, welchen Spielern die Trainer das Vertrauen schenken und so weiter. Diesmal ist da: Nichts. Die Form, die die beiden Teams Anfang März hatte, als sie ihre letzten Partien absolvierten, taugt kaum als Indiz dafür, wo die Mannschaften jetzt stehen. Wie sind die Spieler bisher durch die Krise gekommen? Wie sind sie körperlich, wie sind sie mental drauf? Antworten auf diese Fragen wird es erst auf dem Platz geben. Ein paar Anhaltspunkte hat Marco Rose in der Pressekonferenz zum Spiel gegeben: Neben Denis Zakaria fällt auch Fabian Johnson verletzt aus. Christoph Kramer und Lars Stindl sind später ins Training eingestiegen und womöglich weiter von den 100 Prozent Fitness entfernt, als ihre Mannschaftskollegen und Breel Embolo winkt dank guter Verfassung ein Platz in der Startelf.

Auch Eintracht Frankfurt ist nicht ganz verschont von Verletzungssorgen. Neben den noch rekonvaleszenten Russ und Pacienca wackelt auch Sebastian Rode, den Knieprobleme plagen sollen. Der ebenfalls angeschlagene Erik Durm wäre vermutlich ohnehin nur Ersatz. Wie Borussia kann die Eintracht Dreier- und Viererkette spielen. Wie Borussia wird voraussichtlich am Samstag die gewohnte zweite dieser Varianten zum Tragen kommen.

Mögliche Aufstellungen

Frankfurt: Trapp – Toure, Abraham, Hinteregger, N’Dicka - Hasebe – Chandler, Ilsanker, Kostic – Gacinovic - Dost

Borussia: Sommer – Lainer, Elvedi, Ginter, Bensebaini – Strobl, Neuhaus, Hofmann, Embolo– Thruram, Plea

SEITENWAHL-Prognose

Christian Spoo: Ich habe wenig Lust auf dieses Spiel und zu dieser Lustlosigkeit würde ein in 0:0 passen. Da wir hier aber über Borussia sprechen und ich einen Ruf zu verlieren habe, tippe ich 1:0 für Frankfurt.

Thomas Häcki: Fußball ohne Zuschauer ist wie Musik hören ohne Ton. Insofern fällt es mir schwer diesem Trauerspektakel etwas abzugewinnen. Ein 0:0 wäre stilgerecht und mit dem Punkt könnte man auch leben.

Mike Lukanz: In der Not frisst der Teufel Fliegen, hat die Oma immer gesagt. Nun ja. Diese ganze Veranstaltung bleibt grotesk und ich bin nach wie vor erschrocken, wie emotionslos ich dem begegne. Ich werde daher auch am Samstag keine Regung zeigen, gleichwohl Borussia mir zwei Mal die Gelegenheit geben wird. Allerdings wird mich auch das eine Gegentor durch die Eintracht nicht weiter stören.

Uwe Pirl: Ich weiß nicht, ob ich mich auf Fußball freuen soll. Wahrscheinlich kommt am Samstag der Appetit mit dem Essen. Gespannt bin ich, ob wir Rosefußball, Heckingfußball, Sommerfußball oder einen Freizeitkick erleben. Mal sehen, was ein paar Wochen Pause ohne regelmäßiges Training aus den Teams machen. Über den Sieg in Frankfurt werde ich mich natürlich freuen.

Michael Heinen: Dank Corona weiß jetzt auch der letzte, dass für sportlichen Wettbewerb im Profifußball kein Platz mehr ist. Der Tanz ums goldene Fernsehgeld könnte kaum absurder sein, wenn die DFL die gute Idee von Borussia weiterführen und auf jeder Seite des Spielfelds 11 Pappkameraden platzieren würde. So könnte man seinen Teil des allheiligen TV-Vertrags erfüllen und das sportlich halbwegs fair erspielte Tabellenbild bliebe erhalten, da alle verbleibenden 81 Partien vermutlich 0:0 enden würden. Außer natürlich Borussias Auswärtsspiel in Freiburg, wo mit ziemlicher Sicherheit ein Pappbreisgauer unglücklich hinfallen und den Ball irgendwie zum traditionellen SC-Heimsieg über die Linie drücken würde. In Frankfurt sah Borussia in den letzten Jahren meist besser aus. Samstag reicht es dennoch nur zu einem 1:1, was am Spieltagsende den Rückfall auf Platz 5 bedeutet, da Leverkusen bei gewohnter Heimspielatmosphäre 6:1 in Bremen gewinnt.

Claus-Dieter Mayer: Wer behauptet, nach 2 Monaten Pause und geringer Vorbereitungszeit Bundesligaspiele, die unter obskuren Umständen stattfinden, vorhersagen zu können ist entweder ein Spinner oder hat auf dubiose Art und Weise einen Sport-Almanach aus der Zukunft in seine Hände bekommen. Insofern habe ich absolut keine Ahnung, was ich vom Spiel am Samstagabend zu erwarten habe. Daher mache ich mir einfach mal was von „besserem Kader“ und „Geisterspiel schadet der Heim-Mannschaft vor“ und tippe auf einen 3:1 Auswärtssieg der Borussia.