koeln neuAls das “gallische Dorf” bezeichnete Max Eberl auf der Pressekonferenz vor dem Dortmundspiel den eigenen Verein im Vergleich zu der finanzstärkeren Konkurrenz aus München, Dortmund oder Leipzig. Führt man den Vergleich ein wenig weiter, so drängt sich der Sportdirektor selbst auf Grund stetig steigender Körperfülle für die Rolle des Obelix auf, wohingegen Marco Rose eigentlich nur Miraculix sein kann. Denn manchmal wirkt es ein bisschen magisch, wie der neue Trainer es in seiner Debut-Saison geschafft hat, die Borussia über 2/3 der Saison tabellarisch im Kreise der Meisterschaftsanwärter zu halten und selbst die sonst so nüchterne und skeptische Seitenwahl-Redaktion phasenweise von Blechernem träumen zu lassen. Dieser Traum vom ganz grossen Wurf ist vermutlich seit Samstagabend beendet, denn so ein Duell gegen einen direkten Konkurrenten muss man dann auch schon mal gewinnen, wenn man am Ende ganz oben stehen will. So aber verlor man zum dritten Mal in dieser Saison nur ganz knapp gegen den selbsternannten Meisterschaftskandidaten aus Dortmund und konnte am Ende wieder mal nur “Was wäre gewesen, wenn,…?”-Fragen stellen.

Frage 1: Was wäre gewesen, wenn nicht ausgerechnet der zuletzt so starke Kapitän Stindl mit einem Fehlpass in der 8. Minute den Dortmunder die Gelegenheit zum 1:0 geschenkt hätte?

Bis dahin hatte die Borussia nämlich angedeutet, dass Roses Zaubertrank auch in diesem Topspiel wirken würde. Die Gladbacher griffen die Dortmunder früh und aggressiv in deren Hälfte an und der BVB wirkte zunächst durchaus beeindruckt und nicht sonderlich souverän. Es gab sogar eine Torchance für den VFL, wobei Neuhaus schöner Pass auch für feinmotorischere Spieler als Stefan Lainer schwer zu verarbeiten gewesen wäre. Dann quasi in der nächsten Spielszene jener Fehler von Stindl und die darauf folgende Klasseaktion von Thorgan Hazard, der mit einer einfachen Cruyff-Wende die gesamte Gladbacher Abwehr auf den falschen Fuss stellte und so sehenswert wie ärgerlich das 1:0 erzielte. Der frühe Gegentreffer hatte klare Auswirkungen auf das Spiel. Der Schock bei den Gladbachern hielt sich zwar in Grenzen, aber die Dortmunder wirkten in der Folge erheblich stabiler und ballsicherer.

Frage 2: Was wäre gewesen, wenn Dennis Zakaria nicht nach einer halben Stunde verletzt ausgeschieden wäre?

Wie schon in anderen Spielen gegen Spitzenteams  hatte sich Marco Rose für eine Dreierkette mit Zakaria in der zentralen Rolle entschieden, die er gewohnt erstklassig ausführte. Was genau zwischen ihm und Torwart Sommer nicht so stimmt, muss man vielleicht mal näher erforschen, denn wie schon in Leipzig rasselten die beiden Schweizer fatal aneinander. Diesmal wollte Sommer vor dem heraneilenden Haaland klären, Zakaria hatte wohl die gleiche Absicht und wurde dann von seinem eigenen Torwart kräftigst mit dem Fuss am Oberschenkel getroffen. Wie wir inzwischen wissen, hat sich Zakaria in der Szene nicht ernsthaft verletzt, musste aber vom Platz. Maro Rose hätte an dieser Stelle einen offensiveren Spieler einwechseln und auf Viererkette umstellen können, blieb jedoch bei seinem System, wobei Tony Jantschke auf die rechte Aussenseite und Matthias Ginter ins Abwehrzentrum wechselte. Jantschke machte seine Sache anschliessend durchaus ordentlich, aber das Fehlen Zakarias machte sich mit einiger Verspätung in der zweiten Halbzeit bemerkbar, als die Dortmunder nach dem Ausgleich die Spielkontrolle übernahmen und den VFL zunehmend unter Druck setzten. Hier hätte die Schnelligkeit und die Zweikampstärke des schweizer Nationalspielers für entlastende Momente sorgen können, die so fehlten und den erneuten Rückstand fast zwangsläufig machten. Die Borussia 2020 hat einen sehr breiten Kader, in dem fast jeder Spieler ersetzbar ist bis auf Denis Zakaria, zumindest nicht wenn der Gegner ein so hohes Niveau hat wie Dortmund.

Frage 3: Was wäre gewesen, wenn es in der 45. Minute Elfmeter für die Borussia gegeben hätte?

Um ganz ehrlich zu sein, ich persönlich hatte in der Szene zunächst überhaupt nichts pfeifenswertes gesehen. Der Angriff ist im Prinzip zu Ende, der Ball nicht mehr erreichbar, Hofmann läuft noch durch, streift dabei Zagadou, und fällt, so wie Hofmann halt schon mal ganz gern fällt. Aufstehen, und weiter gehts! So sah das wohl auch Schiri Stegemann und schaute sich die Szene nicht noch einmal an. Schade, denn dann hätte er aus er Hintertor-Perspektive gut erkennen können, dass Zagadou Hofmann schon wegcheckt. Dass dies völlig unnötig und dämlich war, sollte dabei nicht die Entscheidung beeinflussen, die sehr gut auch Elfmeter hätte heissen können und eventuell einen 1:1-Halbzeitstand bedeutet hätte.

Frage 4: Was wäre gewesen, wenn Ginter vor dem 1:2 nicht mit Haaland zusammen gestoßen wäre?

Der völlig verdiente Ausgleich fiel dann zu Beginn der zweiten Halbzeit und für einen kurzen Moment, konnte man hoffen Gladbach könne das Spiel nun komplett drehen, aber dann begann die entscheidende Spielphase von 15-20 Minuten, in der es Dortmund gelang einen Gang hoch zu schalten und die Borussia phasenweise in der eigenen Hälfte einzuschnüren. Einen Hazard-Kopfball parierte Sommer noch sensationell, aber kurz darauf war es geschehen: Die Verwirrung nach einem Aufeinanderprallen Ginters und Haalands nutzen die Dortmunder zu einer schnellen Verlagerung auf die rechte Seite, auf der Hakimi frei auf Sommer zulaufen durfte und gekonnt einnetzte. Wie schon beim 0:1 war es nur ein ganz kurzer Moment der Unordnung, den eine Mannschaft wie Dortmund dann sofort bestraft

Frage 5: Was wäre gewesen, wenn Embolo in der 80. Minute den Ball einfach ins fast leere Tor geschoben hätte?

Marco Rose reagierte schnell auf den Rückstand, brachte Embolo und Thuram ins Spiel und genau die beiden hätten fast für den Ausgleich gesorgt. Der Franzose hatte sich brilliant auf der rechten Seite durchgesetzt, spielte scharf auf den Schweizer im Zentrum, der eigentlich nur noch den Fuss hinhalten musste. Das tat er auch, aber dummerweise so, dass der Ball knapp am Pfosten vorbeiging. Es war die mit Abstand beste Chance des Spiels und sollte auch die letzte für die Borussia bleiben.

Nun findet das Leben dummerweise nicht im Konjunktiv statt und all die “was wäre gewesen, wenn…?”-Fragen ändern nichts an dem Ergebnis. Im Gegenteil: gerade die Häufung dieser kleinen Missgeschicke macht halt oft den Unterschied zwischen gut und besser aus. Das wird vor allem deutlich, wenn man die beiden anderen Niederlagen gegen den BVB in dieser Saison oder auch das 1:3 gegen Leipzig aus der Hinrunde hinzunimmt. In all diesen Spielen war die Borussia dicht dran, aber verlor am Ende. Das ist dann irgendwann kein Zufall mehr, sondern einfach der entscheidende Qualitätsunterschied. All das ist kein Grund, sich zu grämen oder Sündenböcke zu suchen. Nicht gut genug für die Meisterschaft zu sein, ist wahrlich keine Schande für einen Verein wie Borussia. Insgesamt war es ein gutes Heimspiel: Bensebaini machte eine hervorragende Partie, Neuhaus hatte mehrere exzellente Momente, die Abwehr stand über weite Teile gut. Vielleicht hatte man das Pech, auf den “Post-Leverkusen”-BVB zu treffen, denn seit der 4:3-Niederlage sind die Dortmunder vom Sturm und Drang zu einer defensiveren und kontrollierteren Grundeinstellung (typisch Favre, es ist eher verwunderlich, dass das nicht schon vorher passierte) übergegangen und boten am Samstag keine begeisternde aber sehr reife Leistung.

Noch ein Wort zu den Zuschauern: Die befürchteten Anti-Hopp Demonstrationen blieben in beiden Ultra-Lagern aus, nur Mitte der ersten Halbzeit kam es zu einem offensichtlich abgesprochenen Wechselgesang von “Scheiss-DFB”, dem die Nordkurve dann noch als Zugabe ihren Hit von BVB-Hurensöhnen folgen ließ. Weder dies noch die “Schieber”-Rufe gegen seine eigene Person veranlassten, den nicht sehr souveränen Schiedsrichter Stegemann einzugreifen. Vermutlich eine Anerkennung seinerseits, dass hier im wesentlichen nur Wahrheiten ausgedrückt wurden.

Am Mittwoch geht es nun schon wieder weiter mit dem nachzuholenden Derby gegen den FC Köln. Diesem Spiel hatten wir uns ja vor einigen Wochen schon ausgiebig gewidmet (siehe: https://www.seitenwahl.de/index.php/78-news/newsartikel/6997-born-to-be-alaaf). Seit dem siegt der FC weiter und weiter, wenn es nicht gerade gegen Topteams geht (Dortmund, Bayern). Hoffen wir mal, dass sich die Borussia ebenfalls als Topteam erweist, denn ein Sieg wäre enorm wichtig, um in der korrigierten Tabelle wieder auf den vierten Platz zurück zu kehren.

Noch ist allerdings unklar, ob das Spiel stattfindet, oder ob es unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt findet. Hier kann man nur hoffen, dass Gesundheitsexperten und Verantwortliche die vernünftigste Entscheidung finden. Die allgemeine langfristige Gesundheit sollte Vorrang vor sportlichen oder wirtschaftlichen Erwägungen haben. Selbst wenn das Derby angesagt ist, gibt es wichtigeres als den Fussball.

Seitenwahl-Einschätzungen des Dortmund Spiels und Tipps fürs Derby:

Claus-Dieter Mayer: Tipp für Köln: Ob mit oder ohne Zuschauer, die Derbyhektik verhindert, dass die Borussia ihren Rhythmus findet und erlaubt, dem FC beim 1:1 einen Punkt zu stehlen.

Uwe Pirl: Trotz der erneuten Niederlage stimmt das "Wie" eher optimistisch. Borussia wird gegen Bayern, Dortmund, Leipzig nicht mehr aus dem Stadion geschossen, Borussia fehlt nur noch ein Tick Klasse und Abgeklärtheit. Ergo: Borussia ist an die "Großen" näher herangerückt. Insofern muss man weder vor Köln noch vor Frankfurt Angst haben. Platz 4 ist weiter in Reichweite und aus eigener Kraft zu erreichen. Tipp für Köln: Borussia braucht den Sieg. Borussia holt den Sieg und entzaubert gleichzeitig Kölns Lauf als das, was er ist: Optimale Punktausbeute gegen Teams auf Augenhöhe. Also nicht gegen Gladbach..

Christian Spoo:  Viel besser als von mir erwartet hat Borussia den Dortmundern ordentlich Gegenwehr geliefert. Am Ende war es eine ärgerliche Kombination aus Infeffizienz, Benachteiligung, Kaderbreite und Konditionsmängeln, die die Niederlage verursacht hat. Wäre Borussia nur effizienter vor dem gegnerischen Tor, sie wäre immer noch ein heißer Meisterschaftskandidat. So geht es nurmehr um Platz vier. Tipp für Köln: Borussias Selbstbewusstsein hat durch die Niederlage gegen Dortmund keinen Schaden genommen. Individuell ist das Team eh besser als Köln. Das zusammen reicht aus, um den Lauf des Gegners zu beenden. 3:1.

Mike Lukanz: Wieder so ein Spiel, in dem alles falsch läuft, was falsch laufen kann. Gegen Leipzig legt Sommer den Ball selbst vor, dieses Mal tritt er unabsichtlich unseren besten Feldspieler um. In Leipzig wollte Stieler seine Macht demonstrieren und griff durch. Gegen Dortmund wollte VAR Zwayer seine Macht demonstrieren und griff nicht durch. Egal, das Spiel hat gezeigt, dass die Fohlenelf ganz zurecht da oben steht. Es fehlen noch ein paar Prozent. Wenn Rose es schafft, eine Trotzreaktion zu erzeugen, ist mir nicht bange. Auch Leverkusen & Leipzig kochen nur mit Wasser. Tipp für Köln: Wenn wir jetzt schon anfangen, vor Heimspielen gegen den Effzeh Angst zu haben, können wir den Laden auch gleich abschließen. 3:0.

Thomas Häcki: Ein Duell auf Augenhöhe bei dem sich am Ende die Mannschaft durchsetzte, die über die höhere Qualität verfügte. Die Borussia zeigte das sie zwar eine klasse Mannschaft besitzt aber an die Klasse der ersten drei noch nicht heranreicht. Ärgerlich das auch der Schiedsrichter diese nicht halten konnte. Tipp für Köln: Es gibt eigentlich keinen Grund, den ungeliebten Konkurrenten zu unterschätzen. Das wird auch am Dienstag deutlich. Die Borussia macht das Spiel, die Kölner sind aber effizient und nehmen beim 2:0 Erfolg alle Punkte mit in die Domstadt.

Michael Heinen: Echte Borussen wussten es schon immer: Der Fußballgott ist ein Hurensohn. Anders ist es nicht zu erklären, warum bei Borussia ausgerechnet gegen den unsympathischsten aller unsympathischen Vereine immer alles schief läuft, was schief laufen kann. Am Ende siegte die Effizienz über die Leidenschaft - nicht ganz unverdient, da leider auch das Toreschießen zum Fußball dazugehört. Tipp für Köln: Wann auch immer das Derby stattfindet: Der Gewinner wird Borussia heißen. An diesem Mittwoch würde es einen relativ knappen 1:0-Sieg geben.