wolfsburg neu

Das “Narrativ” gehört zu den Lieblingsworten des geschätzten Rasenfunk-Moderators Max-Jacob Ost. Gemeint ist damit eine übergreifende Geschichte (ein roter Faden), der manchmal zufällig wirkende Ereignisse wie die Ausgänge von Fussballspielen verbindet und allem einen Sinn gibt. Das Narrativ der Borussia in der Bundesliga in diesem Jahr ist schnell erzählt: Alter langweiliger Trainer geht, jüngerer aufregender Trainer kommt, anfangs hakts noch hier und da, dann wird es mit der Zeit immer besser….und wenn sie nicht gestorben sind, werden sie gar noch Meister. Nur die Europa-League schien sich zu sträuben, irgendwie in diese Geschichte reinzupassen, entwickelte dann aber mit der Zeit eine parallele Storyline: katastrophaler Anfang, mühseliges Dranbleiben mit 2 Unentschieden, dann Siege und zum Schluss das souveräne Weiterkommen im letzten Heimspiel. Dummerweise hatte ein gewisser Herr Crivelli das Skript wohl nicht richtig gelesen, so dass es über Nacht auf einmal hektisch umgeschrieben werden musste: von Anfang an der Wurm drin, bis auf Phasen gegen Rom unbefriedigend, Erfolge im wesentlichen Glück, am Ende verdient ausgeschieden. Das kann man so sehen, nur widerspricht es jetzt wieder komplett dem Bundesliga-Narrativ…, ja außer, ja außer man schreibt auch das wieder um. Damit wären wir auch irgendwie schon beim nächsten Ligaspiel des wahren VFL, welches beim falschen Namensvetter in Wolfsburg statt findet. Die Wolfsburger bringen dabei ihr eigenes Narrativ mit: Neuer Trainer aus Österreich, toller Start, dann Verletzung des Stareinkaufs Schlager, 0:6, kleine Krise, Fortsetzung folgt…

Immerhin ist Xaver Schlager wieder dabei und im Gegensatz zur Borussia konnte der VW-Club auch die KO-Runde der Europa-League erreichen. Wie bei der Borussia (Zakaria) fehlt ein Spieler wegen Gelbsperre (Tisserand) aber ansonsten können beide Trainer relativ aus dem Vollen schöpfen. Auch wegen Schlagers Verletzung wirkte Wolfsburg in den letzten Wochen eher bieder in seinen Mitteln. Man hat mit 14 Gegentoren zwar immer noch die beste Abwehr der Liga (die Klatsche gegen Leipzig war im Pokal und beeinträchtigt diese Statistik somit nicht), aber ausser dem FC Köln hat auch kein anderes Team weniger Tore erzielt und fast die Hälfte davon (7 von 15) macht die Wolfsburger Lebensversicherung Wout Weghorst. Die von Glasner bis jetzt praktizierte gepflegte Defensive kann im Prinzip gegen Gladbach nicht das Stilmittel sein, denn für die Niedersachsen ist dies eine Woche der Wahrheit: Mit der Borussia und Schalke hat man nun in 2 Heimspielen (danach gehts noch zu den Bayern) die vielleicht letzte Chance, noch zu den internationalen Plätzen aufzuschlieβen oder droht ansonsten, im Niemandsland der Liga zu versinken.

Die Ausgangslage der Borussia ist bekannterweise eine weitaus bessere: 11 Punkte liegt man vor den Wolfsburgern, die man in der Vorsaison nur mit einem Tor Vorsprung auf den 6. Platz verweisen konnte. Bis auf den schon erwähnten Zakaria, steht Marco Rose alles zur Verügung was sich Hoffnungen auf einen Startelf-Einsatz machen kann. Benes, Bensebaini und Plea könnten evtl. wieder in die Anfangsformation rücken, wobei Rose vor allem im Angriff die Qual der Wahl hat. Entscheidendend wird sein, wie die Mannschaft die Enttäuschung über das Ausscheiden im Europapokal wegstecken kann. Bislang hat man nie 2 Spiele in Folge verloren, was ein Zeichen für Stabilität ist. Betrachtet man nicht nur die Ergebnisse sondern auch die Leistungen in der Bundesliga in den letzten Wochen ist Gladbach in Wolfsburg Favorit, wenn da nicht diese grausame Serie wäre: Nur 2 mal in über 20 Jahren konnte man in Wolfsburg gewinnen: beim ersten Mal hatte ein gewisser Friedel Rausch seinen Spielern eingeimpft sie sollen “wie Männer” spielen (Ansagen wie diese gibt es im modernen Fussball nur noch in Dortmund) und dies retteten dann mit einem 2:0 den Klassenerhalt 1998; beim zweiten Mal hieß der Trainer Holger Fach und Jonas Kolkka (ja, den gab’s auch mal) erzielte den 3:1 Endstand. Seitdem gab es höchsten mal ein Unentschieden (wie das 2:2 im Vorjahr) zu holen. Vor 2 Jahren reiste man pikanterweise schon einmal mit einem 2:1 Sieg über Bayern im Gepäck nach Niedersachsen und bekam dort vom späteren Fastabsteiger eine schmerzhafte 3:0 Niederlage verpasst.

Vermutlich sind aber all diese Narrative sowieso Quatsch, eine rückbetrachtende Überinterpetation, der Versuch von Fans und Journalisten einen tieferen Sinn zu finden in einem Sport, bei dem immer noch sehr vieles zufällig ist. “Life is what happens to you, while you are busy making other plans…” sang der grosse John Lennon (kurz bevor er feststellen musste, dass der Satz auch mit “Death” vorne funktioniert) und nachdem Crivelli schon dazwischen funkte, als wir gerade dabei waren die KO-Phase der Europa-League planten, muss man morgen aufpassen, dass der VFL Wolfsburg nicht die Pläne für die Herbstmeisterschaft durchkreuzt.

 

Seitenwahl_Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Marco Rose ist stark, aber der Auswärts-Fluch der Burgen (Wolfsburg, Freiburg, Augsburg) ist stärker: mit einer verdienten 1:3 Niederlage in Wolfsburg muss die Borussia Abschied von der Tabellenführung nehmen.

Thomas Häcki: Nun wird sich zeigen wie viel Spitzenteam in Gladbach steckt. Das absolut unnötige Ausscheiden ist schmerzhaft, aber nun gilt es, sich zu schütteln und die Antwort auf dem Platz zu geben. Mit der Wut im Bauch gewinnt die Borussia in einem zerfahrenen Spiel mit 2 :1

Michael Heinen: Seit über 16 Jahren wartet Borussia auf einen Sieg in Wolfsburg, wo es einst einen der dramatischsten Erfolge der Vereinsgeschichte zu feiern gab. Ganz so wichtig wie 1998 wird es zwar nicht, aber ein Sieg in Wolfsburg wäre ein Fingerzeig, dass die Mannschaft mit psychologisch schwierigen Situationen umzugehen weiß. Da dies auch schon nach dem Union-Spiel und dem Wolfsberg-Debakel gelang, tippe ich auf einen 2:1-Auswärtserfolg.

Mike Lukanz: Teil der DNA ist nicht nur das tragische Scheitern der Mannschaft, sondern auch die Gefühlslage der Fans, die eine Niederlage sofort an den erneuten Abstieg in die Bedeutungslosigkeit glauben lässt. Borussia gewinnt in Wolfsburg recht souverän mit 2:0 und bleibt verdient Tabellenführer der Bundesliga.

Christian Spoo: Wenn Borussia diesen Tritt in die Testikel schnell wegsteckt, ist in dieser Saison außer dem Gewinn von DFB- und UEFA-Cup alles drin. Dann ist man vielleicht doch schon recht weit in Sachen Spitzenmannschaftswerdung. Borussia verliert mit 0:2