Ein Hauch von Bochum im Borussia-Park. Die Eruption des Glücks beim Siegtreffer von Marcus Thuram in der 95. Minute des Euro-League-Spiels gegen die AS Rom war die kleine Schwester der Kollektivekstase von 2011, als Igor de Camargo in der Relegation gegen Bochum traf. Mit dem 2:1 erhält Borussia sich alle Chancen, international zu überwintern und entscheidet ein unterhaltsames und intensives Spiel unter dem Strich etwas glücklich für sich.

Über 90 Minuten waren die Gladbacher die bessere Mannschaft, weswegen der Sieg keinesfalls unverdient ist. Im zweiten Durchgang aber verlor das Team zwischenzeitlich die Kontrolle. Es gab Passagen, in denen der Siegtreffer für die Italiener eher in der Luft lag als der für die Elf vom Niederrhein. Marco Rose hatte sich erneut für die Dreierkette entschieden, in der aber nicht Denis Zakaria sondern Matthias Ginter die zentrale Position übernahm. Zakaria spielte weiter vorne und trug, solange das so war, viel zum Gladbacher Powerfußball bei. Denn den zeigte die Mannschaft nach verhaltenen Auftaktminuten in der ersten Halbzeit. Die Offensivkräfte Thuram, Stindl und Neuhaus und die hoch stehenden Außenspieler Lainer und Wendt störten die Versuche der Gäste, das Spiel zu eröffnen, teilweise schon an deren Strafraum. Die Abwehrspieler und vor allem der phasenweise zappelig wirkende Torwart Pau Lopez ließen sich davon sichtlich beeindrucken. Die Folge waren lang geschlagene Bälle ins Aus oder in die Beine des Gegners. Eine höhere Führung zur Pause wäre gut möglich gewesen. Rom versuchte anfangs mit ähnlichen Mitteln zum Erfolg zu kommen, zog sich aber recht früh zurück – oder wurde dazu genötigt.

Für das einzige Tor im ersten Durchgang benötigte Borussia dennoch die Hilfe des Gegners. Die scharfe Hereingabe von Marcus Thuram wäre wohl im Nichts verendet, hätte Fazio nicht ohne Not hineingegrätscht. Vermutlich wollte er den Ball ins Toraus bugsieren, das Eigentor sah aber angesichts der Tatsache, dass kein Borusse den Römer Verteidiger bei seiner Aktion unter Druck setzte, etwas absurd aus. Die Verletzung von Tony Jantschke bei einer Rettungsaktion im eigenen Strafraum zwang Marco Rose schon kurz vor dem Führungstor zum Umstellen. Die Defensivformation blieb – allerdings rückte nun Zakaria in die Mitte der Dreierkette, Jonas Hofmann übernahm im Mittelfeld. Borussia hielt den Druck aufrecht – auch über die Pause hinaus. Nach 55 Minuten aber übernahm Rom zunehmend die Initiative. Bei Borussia schienen die Kräfte zu schwinden. Zeitweise ließ das Team sich hinten reindrängen. Rom belohnte sich in dieser Druckphase mit dem Ausgleich. Und Borussia musste weiter kämpfen: Neben beeindruckenden Rettungstaten gab es auch unerklärliche aber dankenswerterweise folgenlose Aussetzer in der Borussenabwehr – und eine schmerzhafte Slapstickeinlage als Sommer beim Versuch zu klären, den Ball mit einiger Wucht ins Gesicht von Matthias Ginter knallte.

In dieser Phase zeigte sich, was unter anderem das Spiel gegen Frankfurt gelehrt hat: Der Stil, den Borussia pflegt, setzt größere Effizienz vor dem gegnerischen Tor voraus, denn Beton anzurühren hat das Team nicht mehr im Portfolio – und nicht immer ist einem das Glück so hold, wie in Leverkusen und jetzt gegen Rom. Zum neuen Stil gehört aber auch die kollektive Erkenntnis, dass ein Spiel erst dann zu Ende ist, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Und so rafft sich Borussia immer wieder zu Last-Minute-Attacken auf, die in der Euro-League jetzt schon zum dritten Mal in Folge mit wichtigen Toren belohnt wurden. Dass die im zweiten Durchgang defensiv bis dahin bombenfest stehenden Italiener in der 95. Minute plötzlich amateurhaft verteidigten und ihre bis dahin völlig souveräne Lufthoheit für einen Moment hergaben, war nicht zu erwarten, was die Explosion der Freude nach Thurams Siegtor nur noch größer machte.

Die Einschätzung der anderen Seitenwahl-Redakteure:

Michael Heinen: In der Bundesliga hat Borussia bislang vornehmlich gegen die Kleinen, wie Düsseldorf, Köln und Leverkusen gepunktet. Jetzt hat es endlich gegen ein Topteam zu einem Sieg gereicht, mit dem sich Borussia auch für das Wolfsberg-Debakel rehabilitiert. Vier weitere Punkte in den letzten beiden Spielen werden auf jeden Fall zum Weiterkommen reichen und sollten in der aktuellen Form zu erreichen sein.

Thomas Häcki: Nein, es war bei weitem nicht alles perfekt an diesem Abend. Aber dieser Wille, dieser unbedingte Wille…. Eberl und Rose wollten mit einem neuen Stil das Publikum begeistern und wer sich dafür nicht begeistert, dem ist nicht zu helfen.

Uwe Pirl: Warum ist man Fußballfan? Für die Emotionen, die ein Siegtor in der 95. Minute auslöst. Schön, dass Borussia uns diese Emotionen wieder beschert.

 

Nach diesem auch für die Spieler beglückenden aber erneut kraftaufwändigen Abend geht es schon bald weiter. Zum nach wie vor gewöhnungsbedürftigen Sonntag-Mittag-Spiel erwartet die Borussia Werder Bremen. Nach den guten und überwiegend erfolgreichen Auftritten der vergangenen Woche kann der aktuelle Tabellenführer der Bundesliga sich um die Favoritenrolle in dieser Partie nicht drücken. Allem „wäre unborussisch“ oder „irgendwann sind sie sicher platt“ zum Trotz: Die Anhängerschaft erwartet einen Sieg gegen die Remis-Könige von der Weser. Die letzten fünf Bundesligaspiele der Bremer gingen unentschieden aus. Darunter waren solche wie in Dortmund, die das Team von Florian Kohfeldt klar als Erfolg verbuchen kann, aber auch gefühlte Niederlagen wie am vergangenen Wochenende das 2:2 gegen Freiburg. Alles in Allem läuft es rund bei Werder. Im Umfeld herrscht Ruhe, die Mannschaft war mit Ausnahme des Leipzig-Spiels (0:3) gegen keinen Gegner ohne Siegchance. Die wichtigste Personalie vor dem Spiel in Gladbach ist Kapitän Niklas Moisander. Dessen Comeback war avisiert, zuletzt war aber wieder fraglich, ob der Finne in Gladbach spielen kann. Verzichten muss Werder ohnehin auf die Langzeitverletzten Füllkrug, Bargfrede und Augustinsson. Nicht in der Startelf wird Michael Lang erwartet. Die Leihgabe aus Mönchengladbach begann sein Gastspiel in Bremen vielversprechend, musste aber auf die Bank, als Werders etatmäßiger Rechtsverteidiger Gebre Selassie seinen Aushilfsjob im Abwehrzentrum aufgeben konnte. Zuletzt soll Kohfeldt Lang sogar im Training als Linksverteidiger ausprobiert haben. Dass das den Schweizer gegen seine alten Teamkameraden wieder ins Team spült, ist aber doch eher unwahrscheinlich.

Marco Rose wird sein Team schon aus Gründen von Fitness und Belastungssteuerung mit Sicherheit im Vergleich zum Donnerstag Abend etwas verändern. Als Kandidat für eine kreative Pause drängte sich Florian Neuhaus gegen Rom fast schon auf. Nach wie vor fremdelt der technisch beschlagene Mittelfeldspieler mit dem neuen Spielstil. Gegen Rom wechselten sich gelungene Aktionen mit katastrophale Ballverlusten und merkwürdigen Offensivpässen ab. Dagegen ist mit Alassane Plea wieder zu rechnen. Ob Patrick Herrmann wieder dabei ist, wird vom Stand seiner Vaterwerdung abhängen. Marcus Thuram wäre eine Verschnaufpause zu gönnen, aber als fast einziger Offensivspieler scheint der Franzose im Moment gemessen an seiner Tor- und Assistquote unverzichtbar zu sein. Christoph Kramer gehört zu den Kandidaten, die im Mittelfeld wieder in die Startelf rücken könnten. Hinten dürfte Marco Rose nach zuletzt mehreren Partien im 3-5-2 wegen der eher weniger aggressiven Spielweise der Bremer eine Rückkehr zur Viererkette erwägen. Tony Jantschke dürfte nach seiner Verletzung vom Rom-Spiel keine Option sein, Oscar Wendt schien vor seiner Auswechslung am Ende seiner Kräfte.

Mögliche Aufstellung

Borussia: Sommer – Lainer, Ginter, Elvedi, Benesbaini – Kramer, Zakaria, Hofmann, Benes – Thuram, Plea

Bremen: Pavlenka - Gebre Selassie, Veljkovic, Toprak, Friedl - Sahin - M. Eggestein, Klaassen - Bittencourt, Rahica - Osako

SEITENWAHL-Prognose

Christian Spoo: Ewig geht das nicht gut. Borussia offenbart Konzentrationsmängel – auch infolge der hohen Belastung durch viele Spiele und intensive Spielweise. In einem eher wilden Spiel teilen Gladbach und Bremen die Punkte. 2:2.

Michael Heinen: So überragend die Saison derzeit läuft. Der Erfolg muss sich in jedem Spiel erarbeitet werden. So wird es auch gegen Werder sein, wo es noch einmal einer echten Kraftprobe bedarf, um die Partie am Ende mit 3:1 zu gewinnen.

Mike Lukanz: Man wünscht sich ja fast eine Länderspielpause herbei, um der Mannschaft mal Luft zum Atmen zu geben. Gleichzeitig kann man das nächste Spiel kaum erwarten. Nun also gegen sympathische wie spielstarke Bremer, gegen die diesmal nur ein 1:1 herausspringt. Was aber zur Verteidigung der Tabellenspitze reicht.