StVitus

“Warum eigentlich?” Diese Frage kam mir Mitte der zweiten Halbzeit in den Kopf, als ich an so manche Aussage eines Spielers oder Verantwortlichen der Borussia dachte, in der betont wurde, man wolle unbedingt das internationale Geschäft erreichen. Warum einen Wettbewerb erreichen, an dem man augenscheinlich dann doch kein gesteigertes Interesse hat? Zumindest kam einem das zu dem Zeitpunkt so vor. Wenn man es positiv sehen will, dann war das Spiel in Istanbul auf jeden Fall ein ganzes Stück besser als das Debakel gegen Wolfsberg zum EL-Auftakt. Aber das man es nicht schafft, das schlechteste Europapokalspiel der letzten 40 Jahre gleich 2 Wochen später noch einmal zu unterbieten, war ja wohl auch zu erwarten.

Dabei fing es gar nicht so schlecht an. Abgesehen von einem frühen türkischen Warnschusses dominierte die Borussia die Anfangsphase, kombinierte flüssig gegen die seltsam passive Heimmannschaft und hatte durch einen Embolo-Kopfball auch eine gute Chance zur Führung. Allerdings blieb das neben einer Reihe von wirkungslosen Ecken der einzige Ertrag der Überlegenheit. Mit der Zeit lullte sich die Borussia selbst mit ihrem gefälligem aber nicht zwingenden Spiel ein, Basaksehir hatte wenig Mühe Gefahr vom eigenen Tor fernzuhalten und erspielte bei seinen wenigen Angriffen die weitaus besseren Chancen. So endete eine merkwürdige erste Halbzeit damit, dass beide Teams gute Argumente dafür hatten, sich als Sieger nach Punkten zu fühlen.

Wer gemeint hatte, dass dies eigentlich genau das Spiel sei um Raffael mal einen längeren Einsatz zu gönnen, sah sich nach der Halbzeit bestätigt, als der Maestro eingewechselt wurde. Dummerweise musste dafür der angeschlagene Plea hinaus, also genau der Spieler mit dem Raffael am besten in der Offensive hätte kombinieren können. Die Borussia war bemüht in dieser Anfangsphase der zweiten Hälfte wieder mehr Akzente in der Offensive zu setzen aber das Tor der Gastgeber in der 55. Minute nach verlorenem Zweikampf Wendts im Mittelfeld, eines wundervollen Hebers von Crivelli und eines eiskalten Abschlusses Crivellis änderte das Spiel komplett. Die Borussia wirkte von nun an verunsichert und schien alle wichtigen Zweikämpfe zu verlieren. Basaksehir hatte eigentlich alles im Griff und muss sich nur vorwerfen, nicht etwas konsequenter ein 2:0 angestrebt zu haben. Die nicht wirklich erkennbaren Ausgleichs-Bemühungen der Borussia wurden dann in der 90. Minute überraschenderweise doch noch belohnt, als der eingewechselte Herrmann es schaffte einen Lattenabpraller aus nächster Nähe über die Linie zu drücken.

Die Tatsache, noch ein Unentschieden gerettet zu haben, ist der eine positive Aspekt dieses Spiels. Borussia erhält sich damit zumindest noch gewisse Möglichkeiten auf das Weiterkommen in die KO-Runde, aber dafür muss man nun gegen den AS Rom punkten und zumindest einmal auch gewinnen. Aber lässt  man sich nicht durch solche Rechenspielereien ablenken, ist die gröβere Frage in diesem Zusammenang eher, wie man die Diskrepanz zwischen den Bundesligaauftritten der Borussia und denen im Europapokal erkären kann. Übertriebenes Rotieren ist es schon mal nicht, denn Marco Rose baute in Istanbul auf die Elf, die  so überzeugend am Wochenende in Hoffenheim siegte. Viele andere Erklärungsmöglichkeiten lassen sich schnell mit einem einfachen Gegenargument zunichtemachen: Eintracht Frankfurt! Wenn es so schwer ist, Profis für einen europäisch zweitklassigen Wettbewerb zu motivieren, wie hat Adi Hütter das im Vorjahr geschafft? Wenn die Dreifach-Belastung so unerträglich ist, warum konnten die Frankfurter Spieler in ihren EL-Spielen rumrennen wie Duracell-Hasen? Wenn die Bundesliga im Vergleich so schlecht geworden ist, wie ist die SGE dann ins EL-Halbfinale gekommen?

„Dass der Wettbewerb richtig spannend und geil ist, dass hat jüngst ja erst Eintracht Frankfurt gezeigt. Frankfurt ist ein gutes Beispiel für uns, was man schaffen kann. Wir wollen die Europa League komplett ernst nehmen. Für uns ist das keine Belastung, wir sagen nicht ,um Gottes Willen‘. Wir sagen ,geil!‘.“ Dieses Zitat stammte von Max Eberl in diesem Sommer. Außer er frönt seltsamen Fetischen wird der Gladbacher Sportdirektor die beiden bisherigen EL-Spiele kaum „geil“ gefunden haben, denn die Borussia ist darin eher wie eine Anti-Eintracht aufgetreten. Wo die Hessen es immer wieder geschafft haben international über sich hinauszuwachsen, scheint der VFL in der EL eher in sich hineinzuschrumpfen. Um unseren (hoffentlich) treuen Leser Marco R. aus D. nicht zu verärgern, ersparen wir uns an dieser Stelle eine Mentalitätsdebatte, die letztlich auch nur Ausdruck unserer Ratlosigkeit wäre.

Für mitgereiste Gladbachfans war nicht nur der eher peinliche Auftritt ihres Teams ärgerlich, sondern auch eine Reihe von Schikanen, die sie sich von Polizei und Ordnungskräften gefallen lassen mussten. Nicht nur, dass die individuelle Anreise zum Stadion unterbunden und Fans in Busse gezwungen wurden, sondern auch Fahnen wurden konfisziert. Die Mönchengladbacher Offiziellen fanden nach dem Spiel deutliche Worte dazu und Max Eberl sprach sogar von  „Polizeidiktatur“. Ob die beabsichtigte Beschwerde bei der UEFA jedoch irgendwelche Konsequenzen für den Erdogan-Club haben wird, bleibt abzuwarten.

augsburg neu

Am Sonntag geht es jetzt bereits weiter für die Borussia gegen den FC Augsburg, wo man den zumindest in der Liga fast perfekten Start fortsetzen und sich für das Erste in der oberen Tabellenhälfte etablieren kann. Der Gegner aus Augsburg hatte am letzten Spieltag mit einer 0:3 Heimniederlage gegen Leverkusen das exakt entgegen gesetzte Erlebnis im Vergleich zu Gladbach hinzunehmen und steht mit einem Platz im unteren Tabellendrittel so ziemlich da, wo die meisten Experten das Team auch eingeschätzt hätten. Die generelle Skepsis den FCA betreffend hat nicht nur damit zu tun, dass der Verein traditionell zu den Finanz-schwächeren Klubs der Liga gehört, sondern liegt auch in den Negativ-Entwicklungen der letzten Saison begründet. Wann und wie der lange Zeit hochgeschätzte Trainer Manuel Baum sein Standing im Augsburger Umfeld verlor, ist für den Außenstehenden schwer zu beurteilen, aber spätestens als Gladbach-Legende (10 Spiele, 1 Eigentor) Martin Hinteregger seinen Coach mit dem “Kann nichts Positives über ihn sagen”-Statement bloß stellte, war klar, dass Baums Tage in Augsburg gezählt sein würden. Sein Nachfolger Martin Schmidt wird aus Augsburger Sicht eine logische Wahl gewesen sein: Ein sympathischer Trainer, dem ein guter Draht zu seinen Spielern nachgesagt wird, der defensiven Umschaltfußball spielen lässt und Teamgeist hoch einschätzt: so jemanden will man im Abstiegskampf halt haben. Michael Frontzeck hat aus ähnlichen Zutaten eine erstaunlich lang anhaltende Trainerkarriere stricken können. Aber das Augsburg letztendlich nicht abstieg, ist vermutlich eher den Trainern Thomas Doll und Markus Weinzierl zu verdanken als Martin Schmidt. Nicht verwunderlich, dass die Mannschaft also allgemein neben den Aufsteigern als Abstiegskandidat Nr 1 gehandelt wurde und der bisherige Saisonverlauf hat bis jetzt nicht viel dazu beigetragen, dass zu ändern.

Nichtsdestotrotz besteht kein Anlass die Fuggerstädter auf die leichte Schulter zu nehmen, denn sie haben einige Spieler in ihren Reihen, die die individuelle Klasse besitzen einem Gegner wehzutun, allen voran der isländische Topstürmer Finnbogason, aber auch Niederlechner (bereits 3 Saisontore) und Gregoritsch sind hier zu nennen. Mit Hahn und Reece Oxford gibt es auch zwei Spieler mit Mönchengladbacher Stallgeruch im Kader. Die Tatsache, dass die Mannschaft aus dem Südwesten Bayerns mit der kreativen Spielgestaltung hat, wird am Sonntag vermutlich wenig ins Gewicht fallen, da davon auszugehen ist, dass die Augsburger ihr Heil im destruktiven Defensivspiel mit gelegentlichen Nadelstichen nach vorn suchen werden. Auch wenn man die letzten beiden Heimspiele gegen diesen Gegner gewinnen konnte, tat sich Borussia traditionsgemäß schwer mit dem FCA. Angesichts der erhöhten Körperlichkeit die Thuram, Embolo und Co auf den Platz bringen, sollte man hoffen, dass die Borussia 2019 sich nicht mehr so schnell den Schneid abkaufen lässt wie die brave Schwiegersohntruppe der Vorjahre, aber im apathisch-phlegmatischen Europa League Mode wird die Borussia Augsburg kaum aus dem Stadion fegen.

Nach dem Wolfsberg-Debakel brachte Marco Rose vier neue Spieler in die Mannschaft; man darf gespannt sein, wieviel Rotation diesmal ansteht. Benes könnte ins Team zurückkehren, wohingegen man abwarten muss, ob Plea seine Blessur aus Istanbul bis Sonntag auskuriert hat.

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Wie schon gegen Düsseldorf kann Borussia nach der EL-Enttäuschung den Schalter umlegen und erarbeitet sich einen 2:0 Sieg.

Christian Spoo: Kann Borussia Bocklos in der Liga den Hebel wieder umlegen. Oder ist Augsburg womöglich einfach noch schwächer als Erdogans Altherrentrupp? Wissen wir auch nach dem Spiel nicht. Wir wissen nur, dass Borussia 1:0 gewonnen haben wird.

Michael Heinen: Zuhause ist Borussia ab sofort wieder eine Macht. Weil ich das so will. Gegen Augsburg gibts einen weiteren mühsamen 2:1-Sieg.

Thomas Häcki: Borussia müht sich. Borussia brilliert nicht. Egal. Am Ende stehen 3 Punkte und nur das zählt. 2:1