AJ7X2679Seitenwahl 17Aug19

Ob Marco Rose mit seiner Tochter noch Puzzle spielt, ist nicht bekannt. Ein Talent für das so beliebte wie einfache Gesellschaftsspiel hat er, oder sagen wir, muss er zurzeit in seinem Job haben. An Spieltag 6 in der Bundesliga gab ihm seine Mannschaft das nächste Puzzlestück zur Hand, das da heißt: souveräner und abgezockter Auswärtssieg. Das 3:0 in Hoffenheim war zudem Borussias vierter Sieg im sechsten Ligaspiel, der dritte nacheinander. Macht Tabellenplatz fünf, nur einen Punkt hinter Tabellenführer Bayern München. Alles prima also am Niederrhein? Mitnichten, und hier sind wir schon wieder beim Puzzlen. Selbst wenn mal drei oder vier Stücke aneinanderpassen, ist das gesamte Bild oft noch weit entfernt. Aber ein Anfang ist gemacht.

Der Sieg war am Ende zweifellos verdient, auch in der Höhe. Das lag zum einen an der erstaunlichen Abgebrühtheit, die Borussia an den Tag legte. Zum anderen jedoch auch an einem Gegner, der sichtbar am Trainerwechsel und personellen Aderlass in der Sommerpause zu kämpfen hat. Nun ist Fußball kein Spiel der Konjunktive, heißt es oft. Allerdings schauen Trainer sehr genau hin, wie sich ein Spiel entwickelt hat. Dass die TSG in den ersten 20 bis 25 Minuten auf eine uninspirierte wie unaufmerksame Gladbacher Mannschaft getroffen ist, dies aber trotz einiger sehr guter Chancen nicht in Tore ausnutzen konnte, ist die erste wichtige Geschichte des Spiels. Die zweite ist die, dass Borussia trotz aller Schwierigkeiten, das neue Spielsystem zu verinnerlichen, inzwischen aber so viele gute Einzelspieler in den Reihen hat, die solche Spiele eben auch alleine entscheiden können. Ein Umstand, den Borussen lange nicht kannten, der zum Beispiel beim Rekordmeister aus München aber seit Urzeiten Teil der Erfolgsgeschichte ist. So gewinnt eben eine Spitzenmannschaft, selbst wenn sie nicht ihren besten Tag erwischt hat.

Was bleibt also von diesem Spiel? Marcus Thuram trifft öfter, als vor der Saison zu erhoffen war. Klug sein Laufweg vor dem ersten Tor, unwiderstehlich sein Solo vor seinem eigenen 2:0, das das Spiel entschied. Zudem versteht er sich bemerkenswert schnell mit seinem Landsmann Alassane Plea. Dass Breel Embolo mal nicht ganz an die Imposanz vorangegangener Auftritte anknüpfen konnte, sei ihm nachgesehen. An ihm werden alle noch viel Freude haben. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten im Zugriff stabilisierte sich auch die Defensive, allen voran Stefan Lainer machte vielleicht eines seiner besten Spiele im neuen Trikot. Lainers Pass auf Thuram vor dem 1:0, wenngleich stümperhaft verteidigt, war aller Ehren wert. Den Rest der im Laufe des Spiels immer schlechter vorgetragenen Hoffenheimer Angriffe wickelten Kramer, Zakaria und die Innenverteidigung unspektakulär ab. Es sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass ein Lars Stindl im Vollbesitz seiner Kräfte das spielerische Element sein kann, das die pure Wucht im Angriff abrundet.

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Warum also trotzdem noch Skepsis angebracht ist? Nun, das 0:4 gegen Wolfsberg wirkt noch immer nach in Teilen der Anhängerschaft. Zudem, so viel Selbstbewusstsein muss erlaubt sein bei einem Europa-League-Teilnehmer, sind die bisherigen Siege auch Pflichtsiege, wenngleich Max Eberl dies nicht gerne lesen wird. Zumindest dann, wenn die Ansprüche für diese Saison nicht kleiner sein sollten als für die vergangene. Der Kader ist nicht nur auf dem Papier, sondern faktisch stärker. Da dürfen Punkte gegen Köln, Mainz, Düsseldorf und Hoffenheim durchaus einkalkuliert werden.

Entscheidender werden nun der Oktober und November. Schon am Donnerstag in Istanbul gilt es, die Europa-League-Träume nicht schon vor Weihnachten als beendet zu wissen. In der Folge beide Begegnungen gegen den AS Rom, dazu Dortmund, Leverkusen, Frankfurt und ja, auch Freiburg. Ohne Frage hat Borussia die Qualität, in jedem dieser Spiele als Sieger vom Platz zu gehen. Aber mit Blick auf die bisherige Saison eben auch die Launigkeit, Herbstdepressionen zu verbreiten.

Rose hat nun viele Puzzleteile in der Hand: von überzeugendem Pressing (gegen Köln) über Willenskraft (gegen Düsseldorf), Grenzen aufgezeigt bekommen (Leipzig) bis hin zu grotesk (gegen Wolfsberg) ist eine erstaunliche Palette geboten. Rose hat zu Beginn der Saison um Zeit geboten und dass er „Ergebnisse“ brauche. Die hat er, das wird helfen. Mitte November werden wir dann das Bild sehen, das am Ende entstehen kann. Wenn Borussia jetzt noch anfängt, richtig gut Fußball zu spielen, kann das richtig was werden.

Sportlich, nicht nur als Puzzle.

 

SEITENWAHL-Einschätzung:

Christian Spoo: "Fußball ist ein Ergebnissport, von daher alles gut. Dass das Spiel durchaus auch 3:0 für Hoffenheim hätte ausgehen können, sei der Vollständigkeit halber aber angefügt."

Michael Heinen: "Erinnert sich noch jemand an das 2:2 in der Endphase der letzten Saison? Genau wie in der Partie am Samstag gab es damals einen Klassenunterschied. Wer bislang noch gezweifelt hatte, dass Thuram und Plea harmoninieren, sollte jetzt überzeugt sein. Und auch wenn durchaus noch mehr als 3 Tore möglich waren, gab es selbst bei der Effizienz einen Aufwärtstrend."

Claus-Dieter Mayer: "Marco Rose ist nun rein von den Zahlen der Gladbach-Trainer mit der besten Bundesliga und der schlechtesten Europapokal-Bilanz. Beides wird sich mit der Zeit relativieren, aber für einen kurzen Moment dürfen wir geniessen dass Lucien Favre, Marco Reus, Mo Dahoud und Thorgan Hazard ihren Ex-Verein von unten in der Tabelle bewundern können. Und die Tatsache, dass ein 3:0 in Sinsheim auch ohne eine Gala-Vorstellung möglich ist, werten wir auch erstmal eher als positiv."