Und die Null war rund. Und sie stand auf beiden Seiten. Aber war die Null auch gut? Nun ja, es gibt sicher einfachere Aufgaben, als das Auftaktspiel der Borussia in die Bundesligasaison 2019/20 zu bewerten. Der übliche Mechanismus für solch eine Bewertung ist es, die vorherige Erwartung mit dem real abgelaufenen Spiel zu vergleichen, aber da landet man schon beim ersten Problem: Was zum Teufel hat man eigentlich von diesem Spiel erwartet? Ein erster Spieltag bringt schon von sich aus jede Menge Unsicherheit mit sich, da kein Team so genau weiß, wo es steht und besonders wenn Neuzugänge involviert sind. Aber in diesem Fall saßen auch noch zwei brandneue Trainer auf der Bank, die beide versuchen ihren Mannschaften ein neues System einzutrichtern, da konnte – je nachdem welches Team um eine Nuance weiter war – fast alles passieren. Das ganz vieles nicht passierte in diesem Spiel lag daran, dass beide Kontrahenten sich des Gefahrenpotentials sehr bewusst waren und erstmal darum bemüht waren, die Defensivaspekte ihrer neuen Ausrichtung bestmöglich umzusetzen.

Die Aufstellung der Borussia war auf 2 Positionen überraschend: Zum einen fehlte kurzfristig der knie-verletzte Strobl, für den Zakaria die 6er Position übernahm, wodurch Benes wiederum auf die rechte Außenposition in der Mittelfeldraute rückte. Zum zweiten kam Breel Embolo zu seinem Bundesligadebüt für die Fohlen, obwohl dies auf der PK vor dem Spiel als eher unwahrscheinlich dargestellt worden war. Embolos Position war vermutlich eigentlich die 10 in der Raute, aber zuweilen wirkte er auch wie der dritte Stürmer in einem 4-3-3. Solch eine Ambivalenz kann durchaus ein gutes Mittel sein, den Gegner zu verwirren aber in diesem Spiel, schienen eher Borussia und Embolo selbst verwirrt über seine Rolle zu sein.  Embolo kam trotz großem Engagements nie so richtig an in der Partie und bestätigte damit in einer Ironie des Schicksals die eigentlich eher gefakten Aussagen von Trainer und Sportdirektor, dass diese Partie zu früh für ihn käme. Ob dies an mangelnder Spielpraxis oder eher an der falschen Position lag, lässt sich nach nur einem Spiel allerdings kaum beantworten. Die Frage, ob es am neuen System oder an der individuellen Leistung des Spielers lag, stellte sich am Samstag übrigens bei einigen Spielern und ganz besonders bei Florian Neuhaus, der auf der linken Mittelfeldseite auch so seine Probleme hatte und seine spielerischen Fähigkeiten nur ganz selten einbringen konnte. Vielleicht wären sowohl Embolo als auch Neuhaus mit einem Rollentausch besser bedient: der Ex-Schalker auf der linken Seite in der Raute, von der er mit Tempo nach vorn preschen kann und Neuhaus als Anspielstation und Ballverteiler in der Zehner Position hinter den Spitzen.

Die andere unerwartete Positionierung in der Startelf hingegen war sehr erfolgreich: Denis Zakaria wirkte in seiner Rolle als alleiniger Sechser so als, ob er schon lange nicht mehr so viel Spaß auf einem Fußballplatz gehabt hätte, konnte viele Bälle erobern und einmal sogar zu einem seiner berüchtigten Sturmläufe über das halbe Feld ansetzen, der dann leider zum Ende aber verpuffte. Auch die Defensive hinter Zakaria machte ihre Sache gut. Lainer zeigte bei seinem Bundesligadebüt genau das, was man ihm nachsagt: sehr zweikampfstark mit einigen Tempoläufen über die rechte Seite. Dass er nicht der Filigrantechniker für feinstes Kombinationsspiel ist, konnte man auch sehen, aber das wird auch nicht unbedingt von ihm erwartet. In der Innenverteidigung konnte vor allem Nico Elvedi mit einigen starken Aktionen gefallen. Bis auf die eine Situation in der ersten Halbzeit als man von einem hohen Ball komplett überspielt wurde und Raman Gott sei Dank kläglich vorm Tor versagte, stand die gesamte Abwehr erheblich stabiler als man das nach dem zum Teil vogelwilden Testspiel gegen Chelsea erwarten durfte. Allerdings ist - Ähnlichkeiten bei den Vereinsfarben mal abgesehen – Schalke 04 auch nicht Chelsea.

Im Sturm bestätigte Alassane Plea seine gute Form aus der Vorbereitung, dass seine beste Möglichkeit des Spiels nur am Pfosten landete, war dann auch etwas Pech. Auch Sturmpartner Thuram machte seine Sache ordentlich, muss aber noch etwas abgeklärter werden. Bezeichnend eine Szene in der ersten Halbzeit als er einen Sturmlauf auf der linken Seite abbrechen musste, aber statt den Ball wieder nach hinten zum neuen Aufbau zurückzuspielen diesen eigenwillig verspielte. Schaut man sich diese Aufzählung der einzelnen Spielerleistungen an (auch Laszlo Benes zeigte auf der rechten Seite eine zumindest kämpferisch starke Leistung), so sind die Zeugnisse bei den meisten ordentlich bis gut, was eigentlich auf eine gute Teamleistung zurückschließen lassen sollte. Das in diesem Fall jedoch Aristoteles zum Trotz das Ganze weniger blieb als die Summer der Einzelteile, muss wohl hauptsächlich auf die Anpassungsschwierigkeiten beim neuen Spielsystem geschoben werden. Gegen den Ball funktionierte das alles schon ganz gut, aber die Offensivaktionen bei eigenem Ballbesitz wirkten oft sehr überhastet. Schnell den vertikalen Pass zu suchen ist ja grundsätzlich lobenswert, aber wenn dann kaum einer dieser Pässe ankommt, wirkt es eher unkonstruktiv. Zeitweilig hatte man den Eindruck, die Mannschaft wolle das gänzlich neue System des Ballverlust-Fußballs in der Liga etablieren. Bei all seiner gelegentlichen Behäbigkeit und Brotlosigkeit hatte das Ball hin und her Geschiebe unter Hecking den Nebeneffekt, dass die Spieler Selbstbewusstsein im Umgang mit dem Spielgerät aufbauen konnten, was ausbleibt, wenn man stets den erfolglosen Risikopass sucht. Hier ist eine bessere Balance gefragt: Das einst von Favre geprägte Tak-Tak-Tak-Puch kann nicht von einem Tag auf den anderen durch ein Puch-Puch-Puch ersetzt werden. 

Wie bereits gesagt ist es aber auch nicht klar wieviel nun am System und wieviel an der Form der einzelnen Spieler lag; mit einem besser aufgelegten Neuhaus wäre es sicher möglich gewesen die gut organisierte Schalker Abwehr öfter mal mit einem Schnittstellen pass auszuhebeln. Die Einwechslung von Raffael deutete an, wie das Rose-System auch offensiv funktionieren kann, wenn man zum Kampfgeist und der Wucht auch noch die nötige spielerische Qualität addiert.

Insgesamt war es ein Spiel, das nicht begeistern konnte, aber auf das sich aufbauen lässt. Vielleicht ist es ja sogar ein positiver Nebeneffekt, dass es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit gibt, sondern dem Team bewusst gemacht wurde, dass es noch viel Arbeit gibt, bis man echten Rose-Fussball spielt. Die Zeit dafür ist knapp, denn in einem Monat beginnen die englischen Wochen mit Europa-League spielen, in denen nur noch wenig Zeit bleiben wird im Training an taktischen Dingen zu arbeiten.

Ein Spieler, der nicht mehr Teil des Kaders auf diesem spannenden Weg sein wird, ist Michael Cuisance. Der soeben 20 gewordene Franzose wechselte am Wochenende zum FC Bayern. Überraschend ist dabei weniger der Abgang als solcher, sondern die Wahl des neuen Vereins, denn das Hauptargument für den Abgang war ja eigentlich der Wunsch nach mehr Einsatzzeiten. Was genau in den letzten Wochen rund um Cuisance bei Borussia los gewesen war, lässt sich aus den Aussagen des Sportdirektors und des Trainers erahnen: "Er hat Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die er bei seinem neuen Arbeitgeber sicher nicht an den Tag legen wird. Genau das ist der Punkt. Das geht auch hier nicht" formulierte Marco Rose auf der Pressekonferenz ziemlich pointiert. So ärgerlich es ist, dass Borussia einen hochtalentierten Spieler verliert, der das Potenzial hatte wie Granit Xhaka oder Thorgan Hazard über einige gute Jahre in Mönchengladbach dann als gereifter Spieler für einen hohen Betrag zu einem Topverein zu gehen, so verständlich ist es aber auch, dass man von Gladbacher Seite es nicht zulassen wollte, dass ein fauler Apfel den ganzen Korb verdirbt. Die Frage, was sich der Spieler und der FC Bayern bei der Aktion gedacht haben, wollen wir an dieser Steller lieber nicht erörtern, auch wenn das amüsant werden könnte.