Stimmungen und Gefühle spielen seit dem Siegeszug der sozialen Medien eine immer größere Rolle. Gefühlt wird unsere Welt immer unsicherer, auch wenn offizielle Kriminalstatistiken zuletzt einen deutlichen Rückgang der Verbrechenrate aufwiesen. Danke Merkel. Gefühlt gab es noch nie so viele Fehlentscheidungen in der Bundesliga wie in diesem Jahr, auch wenn der VAR nachweislich eine Vielzahl an Fehlern korrigiert hat. Danke DFB. Doch solche Stimmungen können auch positiver Natur sein. So darf der HSV nach einem glücklichen 1:0-Heimsieg über den SC Freiburg auf einmal wieder vom Klassenerhalt träumen, der in der schnelllebigen Medienwelt noch ein paar Tage zuvor als unerreichbar galt. Und auch Borussia reichte ihr erstes rundum überzeugendes Spiel seit Monaten gegen einen unterirdischen Gegner, um die Träume vom europäischen Fußball auf einen Schlag wieder aufleben zu lassen. Aber Vorsicht: Eine nicht ganz so unwahrscheinliche Niederlage am Samstag bei Schalke 04 könnte die Stimmungslage sehr schnell wieder in die andere Richtung kippen lassen und allerhöchstens noch den Eberlschen Traum von der Einstelligkeit am Leben erhalten.

Personell und taktisch gibt es wenig Grund für Dieter Hecking irgendetwas zu ändern. Der souveräne 3:0-Erfolg über Wolfsburg war zweifelsohne schön anzusehen. Es bleibt aber abzuwarten, was dieser Wert war gegen einen Gegner, dessen Interesse an einem Verbleib in Liga 1 nur sehr bedingt sichtbar wurde. Die Prognose sei gewagt, dass es in Gelsenkirchen nicht ganz so einfach wird. Die Schalker mussten zuletzt nach dem Saisonhöhepunkt des Derbysiegs zwei kleinere Dämpfer hinnehmen. Im Pokalhalbfinale scheiterten sie daheim an Eintracht Frankfurt, was allerdings auch schon größeren Vereinen widerfahren ist. Beim ersten Matchball um den direkten Einzug in die Champions League Gruppenphase wurde beim Absteiger aus Köln eine 2:0-Führung verspielt. Mit einem Sieg über Borussia soll nun im zweiten Anlauf der Einzug in die europäische Königsklasse perfekt gemacht werden. Die Querelen um den ablösefreien Abgang des zuletzt eh kaum noch berücksichtigten Max Meyer oder die neuerliche Verletzung von Breel Embolo dürften sie dabei kaum schwächen.

Während sich die Schalker selbst im Misserfolgsfall noch in zwei weiteren Spielen das große Ziel erfüllen könnten, ist die Ausgangslage für Borussia etwas misslicher. Diese braucht im Grunde noch drei Siege und Schützenhilfe von der Konkurrenz, um die bislang höchst durchwachsene Saison zu retten und im Idealfall über Tabellenplatz 6 die Gruppenphase der Europa League direkt zu erreichen. Es wäre allermindestens bemerkenswert, wenn Borussia ihre bislang so inkonstante Saison zum Ende mit einem solch fulminanten Schlussspurt krönen könnte. Etwas höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zumindest noch gelingen könnte, einen Klub zu überholen und sich immerhin Platz 7 zu sichern, der immerhin noch für die Qualifikationsspiele zur Europa League ausreichen würde. Die Frage darf aber gestellt werden, ob dies wirklich so erstrebenswert wäre.

NK Domzale, Bröndby Kopenhagen, Asteras Tripolis, HNK Rijeka – das sind die Kaliber von Gegnern, die Borussia in dieser Qualifikation erwarten würden. In den letzten fünf Jahren konnte von den deutschen Vertretern der 3. Qualifikationsrunde zur Europa-League allein Borussia Dortmund die Gruppenphase erreichen. Der SC Freiburg, Hertha BSC, Mainz 05 und der VfB Stuttgart scheiterten gegen jene oben genannten Teams. Selbstverständlich sollte ein jeder Bundesligist in der Lage sein, Vereine dieser Kragenweite auch in einem Vorbereitungsspiel ohne größere Probleme zu besiegen und die Niederlagen wurden völlig zurecht von Medien und Fans als peinliche Blamagen gebrandmarkt. Für die Mannschaften kleinerer Nationen ist es aber gegen einen deutschen Vertreter regelmäßig mindestens das Spiel des Jahres, auf das sie sich wie auf ein Endspiel vorbereiten. Wenn der deutsche Vertreter diese Partie dann wie ein Testspiel angeht und vielleicht noch ein paar Stammspieler schont, kann es eng werden – wie die Erfahrung der letzten Jahre lehrt.  

In der kommenden Saison gibt es zudem eine weitere Neuerung, die Platz 7 noch etwas unattraktiver erscheinen lässt. Die UEFA hatte nämlich mal wieder das glorreiche Gefühl, den großen Klubs der finanzstärksten Ligen noch etwas mehr Planungssicherheit bieten zu müssen, um ihnen den konstanten Erhalt der üppigen Champions League Gelder zu garantieren. Schließlich kostet es jedes Jahr mehr Geld, den Mittelklasse-Klubs ihre besten Spieler abkaufen zu müssen. So viel Solidarität muss man diesen Klubs dafür schon abverlangen können, dachte sich die UEFA und änderte die Startvoraussetzungen in ihren Wettbewerben. Der vierte gesicherte Platz für die Bundesliga in der Champions League wird in diesem Jahr daher voraussichtlich Leverkusen oder Hoffenheim das Play-Off-Lotto ersparen, das Borussia vor einigen Jahren gegen Dynamo Kiew den Einzug in die europäische Königsklasse kostete. Im Gegenzug muss der Tabellen-7. (bzw. für den nur theoretischen Fall eines Frankfurter Pokalsiegs der Tabellen-6.) der Bundesliga jetzt statt erst in der 3. sogar schon in der 2. Qualifikationsrunde zur Europa League starten und sich somit durch gleich drei Duelle mit je Hin- und Rückspiel quälen. Die neue Saison wird für den 7. somit schon 3 ½ Wochen früher starten, nämlich am Donnerstag, den 26.7. mit dem Hinspiel der 2. Qualifikationsrunde. Im August folgen im Bestfall sieben weitere Partien, inklusive zweier englischer Wochen zum Monatsende. Das alles garniert mit drei Reisen in die unterschiedlichsten Winkel von Europa, die eine etwas andere Art der Vorbereitung nötig machen als ein geordnetes Trainingslager am Tegernsee.

Wenn man dann noch Borussias chronische Verletztenmisere im Blick hat, die bei bis zu sechs zusätzlichen Pflichtspielen zu Saisonbeginn nicht unbedingt geringer werden dürfte, müsste man sich rein rational lieber mit Platz 8 zufrieden geben. Doch da sind wir wieder bei den Emotionen: Gefühlt wird sich kaum ein Fan die Chance auf ein weiteres Jahr in Europa nehmen lassen wollen. Und auch die Vereinsverantwortlichen stehen letztlich in der Pflicht, das Optimum anzustreben. Wäre die Mannschaft in dieser Saison häufiger so aufgetreten wie am vergangenen Freitag, so würde sich diese Frage ohnehin nicht stellen und es wäre vermutlich nur noch die Frage offen, welcher europäische Wettbewerb in der kommenden Saison bespielt werden darf. Fernab der Endplatzierung werden die kommenden drei Spiele aber auch perspektivisch wichtig sein. Nachdem sich Max Eberl erstaunlich früh und resolut auf eine Fortsetzung der Arbeit mit Dieter Hecking festgelegt hat, muss dieser seine Mannschaft in der kommenden Saison zu mehr Konstanz und Stabilität anleiten. Es wäre eine höchst vertrauensbildende Maßnahme bei den nicht ganz zu Unrecht skeptischen Fans, wenn die Mannschaft noch in dieser Saison damit anfangen könnte.

SEITENWAHL-Tipps

Michael Heinen: Die Stimmung kippt leider wieder ins Negative. Nach dem 0:1 in Gelsenkirchen ist der Traum von Europa so gut wie beendet.

Christian Spoo: Nach Wolfsburg ist plötzlich alles eitel Freude. Nach der 0:3-Niederlage in Gelsenkirchen steht dann wieder alles in Frage. Ist halt ne blöde Saison.

Thomas Häcki: Unbeständige Borussia. Nach dem 0:2 auf Schalke sollte jetzt nicht wieder über Europa diskutiert werden.

Claus-Dieter Mayer: Mit einem 3:0-Sieg auf Schalke steht Borussia auf einmal wieder auf dem 7. Platz, der in den folgenden beiden Spielen natürlich wieder verspielt wird.