André Breitenreiter war sichtlich bedient. Bis in die Nachspielzeit schien Hannover 96 einem Punktgewinn in Mönchengladbach nah, dem ersten seit 2010. Dann ein Pfiff und bange Minuten der Bestätigung am Videotisch bis schließlich Hazard den fälligen Elfmeter zur Entscheidung verwandelte. Fußball kann grausam sein. Einige Minuten zeigte sich Hannovers Trainer dann aber wieder gefasst, schließlich hatte er eine gute Leistung seines Teams gesehen, das am Ende nur denkbar unglücklich verloren hatte. Sein Kontrahent auf der anderen Seite gab sich dementsprechend bescheidener. Ja, man habe das mangelnde Selbstbewusstsein bemerkt. Insgesamt liege man jedoch im grünen Bereich. Man hoffe nach der Länderspielpause nachzulegen. Selbstbewusstsein sieht in der Tat anders aus.

Dabei sieht die Situation nach dem Spiel nicht wirklich schlecht aus. Mit Platz sieben ist man tatsächlich dort, was Dieter Hecking als grünen Bereich bezeichnet, in unmittelbaren Kontakt zu den Europapokalplätzen. Dem bislang überraschend starken Aufsteiger konnte man die erste Niederlage beibringen, trotz erneut starker Defensivleistung. Und das war nach dem desaströsen Auftritt in Dortmund nicht von jedem erwartet wurden. Vom Papier aus gesehen könnte die Welt schlechter aussehen und am Ende zählt eben, was auf dem Papier steht. Trotzdem hält sich das Selbstbewusstsein ganz offensichtlich in Grenzen. Vielleicht, weil man sich bewusst ist, wie glücklich der Erfolg am Samstag letztlich war. Vielleicht, weil der Auftritt wieder einmal wenig überzeugend war. Vielleicht weil man in der Tabelle zwar fast dort ist, wo man hin möchte, auf dem Rasen allerdings immer weniger davon zu sehen ist. Hätte Harnik nicht das zweifelhafte Kunststück vollbracht, freistehend aus drei Metern das leere Tor zu verfehlen oder Sané sein unnötiges Tackling unterlassen, dann sähe die Situation ganz anders aus. Man spräche plötzlich vom Abstiegskampf und der Trainer stände zur Disposition. So ist der Sieg allenfalls Öl auf die Wogen, aber unruhig ist das Wasser weiterhin.

Es ist wenig verwunderlich, dass es zwei Standardsituationen waren, die letztlich zum Sieg führten. Spielerisch präsentierten sich die Borussen wie in den Vorwochen. Stets bemüht Dominanz aufzubauen, allerdings zu langsam, zu umständlich zu durchschaubar – kurz: zu konzeptlos um diese gefühlte Dominanz auch in Gefahr umzusetzen. Aus dem Spiel wird wenig kreiert, schon gegen Stuttgart forderte das Gladbacher Spiel viel Sitzfleisch bei seinen Anhängern. Es ist bezeichnend, dass neben Stindl Ginter am gestrigen Tag der gefährlichste Akteur bei der Borussia war. Ein Innenverteidiger. Von den gut besetzten Außenbahnen kam hingegen (zu) wenig. Es geht nicht darum, ein attraktives Spiel einzufordern. Aber nicht erst gegen Hannover zeigt sich, dass eine mittelmäßige Mannschaft nur konsequent verteidigen muss um Borussias Offensive aus dem Spiel zu nehmen. Die Zeiten, in denen gegnerische Defensiven reihenweise ausgehebelt wurden von überraschenden Offensivaktionen scheinen derzeit weit weg.

Dieser Umstand ist hingegen verwunderlich, den zweifelsfrei besitzt die Borussia das Personal um nicht nur dominant, sondern auch druckvoll auftreten zu können. Mit Ginter und Stindl hat man zwei Nationalspieler in seinen Reihen, Kramer, Johnson, Hazard oder Raffael haben gezeigt, dass sie einem Spiel den Stempel aufdrücken können. Und trotz Verletzungspech würde vermutlich jeder der aktuellen ersten Elf bei fast allen anderen Bundesligisten im Stamm spielen. Warum gelingt es dann nicht, diese Qualität auch auf dem Platz zum Vorschein zu bringen? Regelmäßig und nicht nur punktuell wie in der zweiten Halbzeit von Leipzig, als die Mannschaft eben diese Qualität zeigte. Der Verdacht liegt nahe, dass Borussias Schwierigkeiten aus einem statischen, wenig innovativen Spielsystem entspringen. Dort wo André Schubert zu innovativ war und seine Spieler überforderte, erscheint Heckings Stil traditionell, solide aber eben auch leicht durchschaubar und zu behäbig. Tikitaka, schnelles Spiel, steile Pässe sind Mangelware. Hat die Borussia also eine neue Trainerdiskussion? In der Tat wehte Dieter Hecking der Wind nach dem 1:6 Desaster erstmals heftig ins Gesicht. Kaum auszudenken, was bei einer Heimniederlage passiert wäre. Doch darf man auch nicht unnötig dramatisieren. Es ist aber nicht so, dass die Mannschaft regelmäßig auseinanderbricht. Sie schafft es nicht, ihre Qualität dauerhaft und über 90 Minuten auf dem Rasen zu präsentieren. Hat die Borussia vielleicht die falschen Typen um die Konzepte umzusetzen?

Fest steht, dass es bei den Fohlen nicht mehr so rund läuft, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Als Max Eberl seinen Job als Sportdirektor antrat, verpasste er dem Verein eine allgemeingültige Philosophie, die sich wie eine Autobahn zwischen Leitplanken bewegen sollte. Spieler, Trainer, Systeme – alles hatte sich dieser Philosophie unterzuordnen. Die Borussia als System in der ein Rädchen ins andere greift und alles ersetzbar ist, ohne das Ganze zu gefährden. Trotz zwischenzeitlicher Rückschläge darf man dieses Konzept als Schlüssel des Erfolgs nennen. Doch im Erfolg werden bekanntlich auch die meisten Fehler gemacht. Es kann kein Zufall sein, dass mit dem Erreichen der Champions-League plötzlich Probleme an mehreren Fronten auftraten. Verletzungspech, Systemdiskussionen, teure Transfers von Leuten die nicht in das System passen fallen augenfällig nah beieinander. Zuletzt lieferte die Verpflichtung von Raul Bobadilla ein passendes Beispiel. Ein Spieler, der weder mannschaftsdienlich noch systemisch spielt und mehr von seiner Kraft als von fußballerischer Klasse lebt. Wenn es jemand gibt, der gar nicht in das Gladbacher Konzept passt, dann ist das der Argentinier. Man habe mit ihm etwas geholt, was man bisher nicht hatte lautete die Begründung. Gemeint war sein Ehrgeiz und sein Kampfeswille. Doch waren dies nicht auch Attribute, die bei der Verpflichtung neuer Spieler immer eine Rolle spielen sollten? Wie kann es sein, dass bei einer Adresse wie der Borussia diese Eigenschaften in der Mannschaft offenbar unterrepräsentiert sind. Sicherlich hat man derzeit viele Baustellen im Verein. Doch vielleicht lohnt es sich, zuerst den Verlauf der Leitplanken zu überprüfen, um dass Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und erneut in das Mittelmaß abzurutschen.