Für Spiegel Online war das phasenweise herausragende 4:2 im Bundesliga-Heimspiel gegen die deutlich unterlegenen Gäste aus Gelsenkirchen ein Beleg für das Erwachen der Macht rund um Mönchengladbach. Die Trilogie der Schalker Festwochen setzt sich am kommenden Donnerstag fort, wenn es auf europäischer Bühne um den Einzug ins Viertelfinale der Europa League geht. Betrachtet man die noch verbliebenen Gegner in diesem Wettbewerb, so ist die Aussicht auf einen Einzug ins Finale am 24. Mai 2017 in Solna für den Sieger des innerdeutschen Duells keine Utopie mehr. Umso erfreulicher, dass vor dem Duell vieles für einen neuerlichen Erfolg der Fohlenkrieger spricht, die sich in deutlich besserer Form befinden als ihr krisengeplagter Kontrahent.

Die beste Rückrundenmannschaft konnte zuletzt in fremden Stadien sechs Pflichtspiele in Folge gewinnen. Besonders imposant fiel der letzte Europacup-Auftritt auf, als sogar ein faktischer 0:3-Rückstand noch innerhalb einer Halbzeit zu einem triumphalen 4:3-Erfolg über den AC Florenz gedreht werden konnte. Die beiden Gegentore zeigten aber gleichermaßen, dass die Bäume für die Fohlenelf noch lange nicht in den Himmel wachsen. Defensiv präsentiert sie sich zwar klar verbessert gegenüber den Leistungen der Hinrunde. Offensivstarken Mannschaften bieten sich aber trotzdem immer noch zu viele Möglichkeiten zum Torerfolg zu kommen. Grundsätzlich verfügen die Schalker über ein Offensivpotential, das an einem guten Tag für einige Tore gut ist – wie Borussia im Hinspiel bei der 0:4-Pleite in der Veltins-Arena leidvoll erfahren musste.

Auf der anderen Seite ist die Elf von Dieter Hecking selbst jederzeit und jederorts in der Lage, Tore zu erzielen. Durch die Rückkehr von Raffael ist das Offensivspiel nicht mehr ganz so einseitig von der Hochform eines Lars Stindl abhängig. Auch Fabian Johnson knüpft so langsam wieder an die Leistungen an, die ihn unter Lucien Favre zu einem Topspieler hatten reifen lassen. Da zudem Patrick Herrmann und Jonas Hofmann ihre Arbeit ordentlich erledigen, fällt der Ausfall von einstigen Stammspielern wie Thorgan Hazard und Ibrahima Traoré dieser Tage kaum noch ins Gewicht.

Ein Faktor können sie aber dann darstellen, wenn demnächst den einen oder anderen Akteur die Müdigkeit übermannt angesichts des doch recht üppigen Programms. Hecking hat seiner Mannschaft daher zuletzt zwei Tage frei gegeben. Er ist ohnehin kein so großer Freund der Rotation wie sein Vorgänger, was bislang nicht negativ ins Gewicht fiel. Ganz im Gegenteil: Die Borussen spulen mehr Kilometer ab als je zuvor und sind gerade in der 2. Halbzeit immer noch für eine bemerkenswerte Steigerung gut. Solange die Mannschaft auf einer solchen Erfolgswelle reitet, beflügelt dies. Schwer werden die Beine vermutlich erst dann, wenn sich erste Misserfolge einstellen. Dies muss aber nicht unbedingt schon an diesem Donnerstag passieren.

Denn dort wartet ein sehr angeschlagener Gegner, bei dem es lange Zeit erstaunlich ruhig geblieben war in dieser Saison. Dem neuen Duo Heidel/Weinzierl wurde ein katastrophaler Fehlstart ebenso verziehen wie eine zweite Krise zum Ende der Vorrunde. So langsam mehren sich aber die Zweifler, die angesichts des schlechtesten Zwischenstands in diesem Jahrtausend hinterfragen, inwieweit Mainz oder Augsburg ein Maßstab sind für ein erfolgreiches Arbeiten im traditionell anspruchsvolleren Gelsenkirchen.

Durch den Höhenflug der norddeutschen Kellerkinder aus Hamburg und Bremen sind mittlerweile sogar die Abstiegsränge näher gerückt – nur noch vier Punkte trennen die Knappen von einer möglichen Relegation z. B. gegen Jens Kellers Union Berlin oder Horst Heldts Hannover 96. Es wäre die passende Krönung für eine seit Jahren zunehmend verkorkste Entwicklung des Vereins, der sich immer weiter von den überzogenen Ansprüchen entfernt, die er eigentlich als so selbstverständlich erachtet.

Aber Vorsicht: International sind die Schalker in ihrer Vereinsgeschichte häufig über sich hinausgewachsen – und dies oft auch dann, wenn es in der Bundesliga nicht gut lief. Durch die Vorrunde marschierte die Mannschaft souverän mit 5 Siegen. Erst als es zum Abschluss um nichts mehr ging, setzte es die erste und bislang einzige Niederlage des Wettbewerbs. Auch in der KO-Runde ging man mit einem 3:0-Auswärtserfolg bei PAOK Saloniki keine Kompromisse ein. Es wird sich zeigen, inwieweit ein Spiel gegen ein allzu deutsches Team eben jene Europapokal-Mentalität herauskitzeln kann, die für ein Weiterkommen zwingend notwendig sein wird.

International gab es diese Paarung bislang noch nicht. Die letzten beiden DFB-Pokalduelle  entschied die Fohlenelf aber deutlich für sich. 2011 mit einem 3:1-Heimsieg, während es 2015 in der Veltins-Arena zu einem 2:0-Auswärtserfolg reichte. Mut machen kann den Knappen die Statistik in der Liga, wo sie die letzten drei Heimpartien jeweils gewinnen konnten.

Personell wird sich auf beiden Seiten relativ wenig ändern gegenüber dem letzten Aufeinandertreffen. Borussia muss einzig auf Christoph Kramer verzichten, der sich in Florenz eine unnötige Sperre einfing. Ohne ihn lief es zuletzt in der 2. Halbzeit aber ohnehin besser, da ihn Ersatz Tobias Strobl mehr als gleichwertig ersetzte. Andreas Christensen wurde zu Wochenbeginn im Training geschont, wird aber vermutlich dennoch wieder neben Jannik Vestergaard zum Einsatz kommen können. Auf den offensiven Außenbahnen könnte Hofmann  für Herrmann eine Option darstellen. Ansonsten wird vermutlich die Mannschaft ins Rennen geschickt, die vergangenen Samstag in die 2. Halbzeit startete.

Markus Weinzierl hätte da schon mehr Grund zum Wechseln – allein fehlen ihm die brauchbaren Alternativen. Di Santo drängte sich u. a. mit seiner peinlichen Schwalbe nicht wirklich für einen Startelfeinsatz auf. Kolasinac dürfte Kehrer wieder ersetzen, wenngleich dieser zumindest in Halbzeit 1 noch einen relativ ordentlichen Eindruck hinterlassen hat. Gut vorstellbar, dass zudem Max Meyer eine Chance bekommt, die zuletzt deftige Kritik des Trainers an seiner Spielweise zu revidieren.

Das Schalker Mittelfeld verzeichnet zwar mit Akteuren wie Goretzka, Meyer, Schöpf oder Bentalep durchaus eine stattliche Qualität. Es fehlt aber der Leitwolf, der die Mannschaft auch in schlechten Phasen mitreißen kann. So präsentiert sich der Kader individuell hochwertig. In der Gesamtheit ist es Weinzierl bislang aber nicht gelungen, daraus eine homogene Truppe zu formen, die konstant Hochleistungen abrufen kann. Um die Schalker an einem guten Tag schlagen zu können, wird Borussia eine weitere Topleistung abrufen müssen, damit die beiden letzten Teile der Trilogie ein erfolgreiches Happy-End erfahren und sie nicht in der nächsten Woche im Borussia-Park der Rache der Schalker zum Opfer fallen.

Schalke: Fährmann – Höwedes, Nastasic, Badstuber – Kolasinac, Stambouli, Bentaleb, Goretzka, Meyer, Schöpf - Burgstaller

Borussia: Sommer – Jantschke, Christensen, Vestergaard, Wendt – Strobl, Dahoud – Hofmann, Johnson – Stindl, Raffael

SEITENWAHL-Tipps

Michael Heinen: „So sehr ich mir einen weiteren Auswärtssieg der Fohlenkrieger wünschen würde. Auf Schalke wird es schwerer als man nach den letzten Eindrücken vermuten könnte. Die unglückliche 1:2-Niederlage bietet aber weiter alle Chancen, um das Blatt in der kommenden Woche wieder erfolgreich zu wenden.“

Christian Spoo: „Ein bisschen zu sicher ist sich Borussia nach dem Heimsieg und der wenig angsteinflößenden Vorstellung der Schalker in Mönchengladbach. Es entwickelt sich ein offenes Spiel, das 2:2 ausgeht. Die Chance aufs Weiterkommen bleibt also größer, als die Gefahr, auszuscheiden.“

Thomas Häcki: Hoffen wie, dass das Imperium nicht zurückschlägt. Der zweite Teil der Mutter aller Schlachten hält, was er verscpricht. Nach dem 2:2 ist die Spannung vor dem großen Finale auf dem Siedepunkt.

Claus-Dieter Mayer: Nach noch nicht mal unverdienter 1:0 Halbzeitführung darf man sich in Gelsenkirchen 15 Minuten lang der “alles ist wieder gut”-Illusion hergeben, bevor nicht brilliante aber effiziente Gladbacher die Schalker auf den Boden der Tatsachen zurückholen und mit einem 3:1-Sieg beste Voraussetzungen für den Viertelfinaleinzug schaffen.