Am Mittwoch, den 21.10.2015 soll um 16.29 Uhr amerikanischer Westküstenzeit ein gewisser Marty McFly in Kalifornien landen. Ein paar Stunden früher bereits hat auch Borussia Mönchengladbach ein Rendezvous mit der Vergangenheit, wenn sie nach 40 Jahren erstmals wieder im wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb auf die alte Dame aus Turin trifft. Am 5.11.1975 gab es im Europapokal der Landesmeister ein 2:2 in Turin, das Borussia nach dem 2:0 im Rückspiel zum Einzug ins Viertelfinale genügte. Doch ähnlich wie im Kino hat sich auch in der Realwelt über die Jahrzehnte einiges verändert. In den 1970ern galt Borussia als europäische Spitzenmannschaft, während sie dieser Tage als krasser Außenseiter nach Norditalien reist.

Doch die Mannschaft von Immer-Noch-Trainer André Schubert sollte nicht den Fehler machen, sich von der neuen Fußballwelt allzu sehr beeindrucken zu lassen und dem Gegner zu großen Respekt zu zollen. Borussia hat vergangenes Jahr u. a. in den Spielen gegen die Bayern wie auch zuletzt gegen Manchester City nachgewiesen, mit den ganz Großen Europas mithalten zu können. Und die aktuelle Form spricht eindeutig für die Fohlenelf.

Noch vor genau einem Monat lag Borussia am Boden nach 6 Niederlagen in Folge und dem übereilten Abgang von Lucien Favre. Der Trainerwechsel brachte den womöglich entscheidenden Impuls, der zu nunmehr 4 überzeugenden Siegen beitrug. In Frankfurt wurden die zuvor bereits guten Leistungen noch einmal getoppt. Borussia spielte phasenweise wieder genauso überragend wie in den so erfolgreichen letzten Jahren. Diese Euphorie gilt es jetzt mitzunehmen in die Champions League, wo die Mannschaft nach den beiden Auftaktniederlagen und vor der schwierigen Auswärtsaufgabe gehörig unter Druck steht. Zwar wäre auch bei einer weiteren Pleite in Turin noch nichts endgültig verloren. Es würde aber die Chancen auf ein Überwintern im europäischen Wettbewerb - geschweige denn in der Königsklasse - erheblich schmälern.

Für Schubert wird es keine einfache Entscheidung, die Mannschaft in diesen psychisch wie physisch harten englischen Wochen optimal aufzustellen. Lucien Favre hatte im vergangenen Jahr den Weg der regelmäßigen Rotation gewählt und in der Europa League jeweils 4-5 Änderungen vorgenommen. Die Möglichkeiten bestünde für Schubert ebenfalls und könnte zum Wohle der Belastungssteuerung womöglich als alternativlos angesehen werden. Andererseits erfordern die starken Gegner in der Champions League grundsätzlich den Abruf der bestmöglichen Leistung und lassen somit nur wenig Spielraum für den Einsatz etwaiger Reservespieler. Zudem spricht vieles dafür, das siegreiche Team der letzten Wochen so gut es geht beizubehalten, um die bestehende Euphorie und Eingespieltheit nicht vorschnell aufs Spiel zu setzen.

Schubert ist es erstaunlich schnell gelungen, die richtige Mischung wiederzufinden, die Lucien Favre zuletzt verloren gegangen war. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Schweizer in seiner letzten Partie beim 1.FC Köln bereits die richtigen Weichen gestellt hatte, indem er Dahoud und Christensen in die Startelf zurückbeorderte. Diese beiden Youngsters gehörten zuletzt zu den positivsten Erscheinungen und trugen sehr wesentlich dazu bei, dass die Mannschaft wieder ähnlich stark auftritt wie im Vorjahr. Sie kompensieren überraschend gleichwertig die Ausfälle der beiden Defensivstützen Stranzl und Kramer, während Lars Stindl den Weggang von Max Kruse auszugleichen vermag. Da ihnen dies nahezu positionsgetreu gelingt, kann die Mannschaft in ihrem eingespielten Erfolgssystem weiter agieren, das durch die Impulse des neuen (Interim-)Trainers noch mit etwas mehr Pressing und Vollgas angereichert wurde.

Nach dem 5:1 in Frankfurt war Mo Dahoud der gefragteste Mann. Der Deutsch-Syrer war an drei Toren ganz entscheidend beteiligt und ließ zudem im Verbund mit Granit Xhaka defensiv wenig anbrennen. Gegen Turin wird dieser erstaunlich gut harmonierenden Doppel-6 aber eine weit größere Herausforderung bevorstehen, sofern Schubert sie erneut gemeinsam ranlässt. Dahoud könnte mit Blick auf die hohe Belastung ebenso eine Pause verordnet werden wie Xhaka nach seinem Außenbandriss. Mit Nordtveit und Jantschke stehen zwei etablierte Spieler bereit, die zumindest für einen der beiden etablierten 6er einsetzbar wären. In der Form der vergangenen Spiele könnten sie diese aber nicht gleichwertig ersetzen.

Borussia hat sich vorgenommen, ähnlich mutig und offensiv in die Partie gehen zu wollen wie zuletzt in der Bundesliga. Dies dürfte sich aber in Turin deutlich schwerer umsetzen lassen als in Frankfurt, da der dortige Gegner zumindest auf internationalem Parkett für Dominanz steht. Gegen den FC Sevilla ließ der Champions-League-Finalist von Beginn an keinen Zweifel an der eigenen Überlegenheit aufkommen. Es steht zu befürchten, dass die Alte Dame auch gegen Gladbach mit einer ähnlichen Einstellung ins Spiel gehen und die Fohlenelf somit von Beginn an unter Druck setzen wird.

Die Rückkehr der vormals verletzten Sami Khedira und Claudio Marchisio bietet den Turinern im defensiven Mittelfeld wieder deutlich mehr Struktur und Ordnung, was sich in den letzten Spielen positiv bemerkbar machte. Nach 5 Punkten aus den ersten 6 Spielen der Serie A konnte der italienische Meister zuletzt mit einem 3:1 gegen den Tabellenletzten aus Bologna und einem achtbaren 0:0 bei Inter Mailand etwas an Boden gutmachen. Von ihrer Bestform sind die Bianconeri aber - zumindest in der Serie A - noch immer weit entfernt.

Dass die Mannschaft von Trainer Massimiliano Allegri so desolat in die Saison gestartet ist, war nicht unbedingt zu erwarten - gilt sie doch als FC Bayern des italienischen Fußballs. Viermal in Folge wurde die italienische Meisterschaft gewonnen - davon zuletzt zweimal mit 17 Punkten Vorsprung vor der "Konkurrenz". Mit Andrea Pirlo verabschiedete sich vor dieser Spielzeit allerdings die Seele des Spiels. Zudem muss neuerdings u.a. auf Arturo Vidal, Carlos Tevez und Fernando Llorente verzichtet werden. Dies sind nur die namhaftesten der insgesamt 33 Abgänge, die in diesem Sommer den 30 Neuzugängen gegenüberstehen. Auch Juventus pflegt das international inzwischen so beliebte Spiel des Leihens und Verleihens. Neben Sami Khedira und Mario Mandzukic gehörten Hernanes, Cuadrado, Zaza und Dybala zu den namhaftesten Neuzugängen, die bislang aber nur unzureichend die Erwartungen erfüllen konnten.

Ausfallen wird am Mittwoch Rechtsverteidiger Stephan Lichtsteiner. Der Schweizer Nationalspieler unterzog sich erfolgreich einer Herzoperation und ist frühestens im Rückspiel wieder einsatzbereit. Auch Martin Caceres wird nicht zur Verfügung stehen, da er einen Unfall unter Alkoholeinfluss verursacht hat und auf unbestimmte Zeit vom Verein suspendiert wurde.

Trotz der zuletzt starken Leistungen der Fohlenelf könnte die manchmal zur Arroganz neigende alte Dame in Versuchung geraten, den international noch als relativ unbedeutend geltenden Gast unterschwellig zu unterschätzen. Allerdings sollten zumindest die bundesligaerfahrenen Khedira, Mandzukic und Barzagli wissen, dass Borussia auch auf diesem Niveau kein Fallobst darstellt. Von Gianluigi Buffon ist ohnehin überliefert, dass ihm die Elf mit dem schönen Namen Mönchengladbach wohlbekannt ist - gilt sie doch als eines der fünf Teams, für die er in seiner Karriere gerne einmal gespielt hätte. Sollte der 37jährige trotz seiner Knieblessur auflaufen können, wird er sich auf einen warmen Empfang der rund 4.000 mitreisenden Gladbach-Fans freuen dürfen. Es wird aber am Mittwoch Abend hoffentlich das einzig positive Erlebnis für den sympathischen Routinier bleiben.

Juventus: Buffon - Barzagli, Bonucci, Chiellini, Evra - Khedira, Marchisio, Pogba - Cuadrado - Mandzukic, Morata

Borussia: Sommer - Korb, Christensen, Dominguez, Wendt - Xhaka, Dahoud - Traoré, Johnson - Stindl, Raffael

SEITENWAHL-TIPPS

Michael Heinen: "Form trifft auf Klasse. Leider setzt sich auf internationaler Ebene die Klasse doch meistens durch. Es wird mal wieder ein bitterer Abend, an dem Borussia trotz großem Kampf in den letzten Minuten noch das Spiel aus der Hand gibt und unglücklich mit 1:2 verliert."

Christian Spoo: "Borussia wird sich erneut gut verkaufen und bis zum Ende mithalten. Juventus wird trotzdem mit 2:1 gewinnen. Das habe ich im Turin. Kommt, einer musste den machen."

Thomas Häcki: "Es wäre der Borussia zu wünschen, dass sie in der Champions-League punktet und noch ein paar Euro extra hinzu gewinnt. Das wird in Turin selbstverständlich nicht passieren, wo man beim 0:2 wieder eine Lehrstunde erhält. Zum Glück ist man danach faktisch ausgeschieden und kann den Fokus auf bedeutendere Aufgaben legen. Schalke ist das eindeutig wichtigere Spiel."

Christoph Clausen: "Ein spannendes Spiel endet 2:2 und Borussia feiert den ersten Champions League-Punkt. Nicht entscheiden kann ich mich in der Frage, ob beide Turiner Tore per Elfmeter erzielt werden oder nur eines davon."

Christian Heimanns: "Borussia wird Juve überraschen, ärgern und am Ende doch der Erfahrung mit 1:2 unterliegen".