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Alemannia AachenWäre das Losglück ein Mensch, dann könnte man ihm keine Parteilichkeit zugunsten von Borussia Mönchengladbach vorwerfen. Dynamo Kiew ist der wohl schwerste Gegner, der in der Champions League Qualifikation zu haben war. Besondere Perfidie: Als die Ukrainer der Borussia zugelost wurden, war als einzige Alternative nur noch der FC Kopenhagen im Topf verblieben, das erklärte Wunschlos vieler Borussenfans. Zwar ist Alemannia Aachen, bei allem Respekt, kein Champions League-verdächtiges Kaliber. Aber für die erste Runde des DFB-Pokals hätte es Entspannteres gegeben: SG Sonnenhof Großaspach zum Beispiel, SV Falkensee-Finkenkrug, Victoria Hamburg oder FC Hennef 05. Stattdessen setzte es wieder eines der schwersten Lose im Topf.

Und dann auch noch Aachen. An diesen Ort erinnern sich Gladbacher gerade im Pokalzusammenhang ähnlich gern wie die Gallier aus „Asterix und der Avernerschild“ an Alesia. Siebeneinhalb Jahre haben nicht gereicht, um die Erinnerung zu tilgen an jenes unselige Halbfinale mit einer schwachen Borussia und einer grotesken Schiedsrichterentscheidung.

 

Freilich waren damals die Vorzeichen ganz andere. Nominell lag zwar eine Liga zwischen den beiden Kontrahenten, faktisch aber war der Abstand gering. Die Aachener waren noch ganz dick im Aufstiegsrennen, die Gladbacher punktgleich mit den Abstiegsrängen. Heute dagegen trifft ein Champions League-Aspirant auf einen Absteiger aus der 2. Liga.

 

Dessen Lage schien im Mai noch hoffnungslos. Mit dem Stadionbau hatte man sich finanziell übernommen und kein einziger Spieler war auch für die 3. Liga vertraglich gebunden, selbst der Trainer nicht. Nach und nach aber gelang es Sportdirektor Scherr, nach Trainer Aussem auch die für das Projekt Wiederaufstieg auserkorenen Leistungsträger zu halten. Zugleich musterte man die „Egomanen und Stinkstiefel“ aus, die laut Aussem für den Abstieg hauptverantwortlich waren. Einer, der auf früheren Stationen durchaus eine gewisse Reputation in Sachen Stinkstiefel erworben hat, gilt in Aachen freilich als geläutert. So löste Albert Streits Entscheidung für einen neuen Zweijahresvertrag wieder so etwas wie Aufbruchsstimmung aus. Streit ist die Aachener Schlüsselfigur. Ins zentrale Mittelfeld versetzt, ist der einstige Flügelspieler unermüdlicher Motor des Aachener Angriffsspiels, wobei ihm Balleroberer Brauer den Rücken freihält. Zudem erzeugt Streit immer wieder Gefahr bei Standards, durch scharf geschnittene Freistoßflanken oder auch einen direkt geschossenen Freistoß.

 

Ohne einen Cent Ablöse zu zahlen, konnten Scherr und Aussem auch einige zweit- und sogar bundesligaerfahrene Spieler nach Aachen locken. Aus Rostock kam Freddy Borg: Der schwedische Stürmer war erst im Winter nach Deutschland gewechselt und hatte es für die Rostocker in 14 Spielen auf respektable fünf Tore gebracht. Nach dem Rostocker Abstieg aber war sein Vertrag hinfällig geworden. Bundesligaerfahren ist ein Rückkehrer: Sascha Rösler war zwar gerade mit der Fortuna in die Bundesliga aufgestiegen, entschied dann aber, dass er das Tempo in der höchsten Spielklasse wohl nicht mehr würde gehen können. Im Aachener 4-2-3-1 spielt Rösler meist zentral hinter der einzigen Sturmspitze. Ein weiterer Ex-Gladbacher, aus Oberhausen verpflichtet, würde gern im Aachener Tor stehen. Eine Verletzung aber hinderte Michael Melka bisher daran, den angekündigten Konkurrenzkampf mit dem Aachener Eigengewächs Tim Krumpen aufzunehmen.

 

Dazu kamen junge Talente, von denen allen voran Stürmer Timmy Thiele auf sich aufmerksam machte, und zwar im doppelten Wortsinn. Zunächst war es der damalige Schalker Amateur selbst, der offenbar recht offensiv den Kontakt zur Alemannia suchte, schließlich zum einwöchigen Probetraining eingeladen wurde und dort überzeugte. Thiele, der im Sturmzentrum oder auf dem linken Flügel spielt, galt als der große Gewinner der Saisonvorbereitung und stand in allen fünf Pflichtspielen in der Startelf, wobei er zweimal traf und drei Tore vorbereitete. Man hofft aus Gladbacher Sicht natürlich, dass es am Samstag keinen Anlass geben wird, sein Jubelritual zu begutachten, aber ungewöhnlich ist es allemal: Thiele, ein gläubiger Christ, bekreuzigt sich nicht nur, sondern wischt sich anschließend mit den Händen „das Pech vom Körper“ und bestreicht seine Fußballschuhe „mit neuem Glück“.

 

Mit Rösler, Thiele, Borg sowie den aus Dresden bzw. Bochum verpflichteten Flügelspielern Heller und Kefkir bietet die Alemannia aufstiegstaugliches Offensivpotenzial auf, das an guten Tagen blitzschnell kontern und gefährliche Flanken schlagen kann. Das klappte vor allem bei den beiden Remis gegen Bielefeld und Dortmund II teilweise hervorragend. Schwächer waren die beiden Partien gegen Burghausen und Saarbrücken, auch wenn beide gewonnen wurden. Den Sieg im Saarland ordneten die Aachener selbst als glücklich ein. Spielerisch war er ein Schritt zurück, bei dem stupide hohe Bälle immer wieder die eigene Einfallslosigkeit kompensieren sollten. Am bislang letzten Spieltag schließlich setzte es dann die erste Niederlage – gegen die von Arie van Lent trainierten Offenbacher, die zuvor keinen einzigen Punkt geholt hatten. Unter dem Strich bedeutet das für Aachen Platz 7, mit ebenso viel geschossenen Toren wie kassierten.

 

Damit wären wir bei dem Aachener Hauptproblem. „Wir können nicht immer mehr Tore schießen, als wir kassieren“, drückt es Ralf Aussem aus. Trotz des enorm zweit- und in geringerem Ausmaß bundesligaerfahrenen Innenverteidigerpaares Stehle / Olajengbesi ist die Defensive insgesamt zu wackelig für einen Anwärter auf den Wiederaufstieg. In vier von fünf Spielen musste die Alemannia einem Rückstand hinterherlaufen. Besonders ruhende Bälle führen regelmäßig zu Panik im Aachener Strafraum. Auch die linke Abwehrseite war manches Mal Problemzone. Dem aus Fürth ausgeliehenen Fabian Baumgärtel fehlt hier in manchen Situation noch die Sicherheit. Dennoch wird er wieder in die Startelf zurückkehren, da der Belgier Andersen, den Aussem zuletzt mit mäßigem Erfolg als Linksverteidiger ausprobierte, durch muskuläre Probleme gehandicappt ist.

 

Sorgen ganz anderer und viel ernsterer Natur macht den Aachener, was vor zwei Wochen außerhalb des Spielfeldes geschah. Beim Spiel in Saarbrücken kam es zu einem gewalttätigen Überfall der rechtsradikal beeinflussten Aachener Fangruppierung „Karlsbande Ultras“ auf die politisch linksstehenden „Aachen Ultras“. Der Konflikt zwischen beiden Gruppen flammt seit langem immer wieder auf. Die „Karlsbande Ultras“, so berichtet „Die Zeit“, verfolgt das Ziel, die „Aachen Ultras“ aus dem Stadion zu verdrängen und geht aggressiv gegen deren Mitglieder vor. Im Saarbrücken sei es zu einer Hetzjagd gekommen, bei der die "Karlsbande Ultras" mit Fahnenstöcken auf ihre Opfer einprügelten und einen am Boden liegenden Mann brutal traten. Inzwischen wurden zumindest drei Gewalttäter von der Polizei identifiziert. Beim folgenden Heimspiel gegen Offenbach durfte ein Banner „Karlsbande Ultras gegen alle Stadionverbote“ zwar unbehelligt hängen bleibe, zu erneuten Ausschreitungen kam es glücklicherweise aber nicht. Auch für Samstag sollte die größte Hoffnung sein, dass nichts geschehen möge, was den sportlichen Ausgang des Spiels zur unwichtigen Nebensache machen würde.

 

Aufstellungen:

Alemannia Aachen: Krumpen - Schwertfeger, Olajengbesi, Stehle, Baumgärtel – Brauer, Streit – Heller, Rösler, Thiele – Borg.
Borussia Mönchengladbach: ter Stegen – Jantschke, Dominguez, Stranzl, Daems – Xhaka, Nordtveit – Herrmann, Arango – de Camargo, de Jong.

Schiedsrichter: Felix Zwayer.
Assistenten: Mike Pickel, Markus Häcker.
Vierter Offizieller: Sören Storks.

SEITENWAHL-Meinung:


Christoph Clausen: Natürlich ist das eine unangenehme Aufgabe. Aber geht die Borussia das Spiel hinreichend konzentriert an, sollten die Qualitätsunterschiede doch für ein einigermaßen ungefährdetes 2:0 reichen.

Michael Heinen: Es wird nicht leicht, die Gedanken an das große Europacup-Comeback für 90 oder 120 Minuten zu verdrängen und sich voll auf das Pokalspiel bei einem Drittligisten zu konzentrieren. Dabei handelt es sich nicht um irgendeinen Drittligisten, sondern um den einstigen Rivalen aus Aachen, der gegen Borussia besonders motiviert ins Spiel gehen wird. Borussia wird sich gewaltig strecken müssen, um in Runde 2 einzuziehen. Erst in der Verlängerung fällt das erlösende 2:1 und erst nachdem Aachen in Minute 119 ein Elfmeter verweigert wird, ist die Pflichtaufgabe erfolgreich bewältigt.


Christian Grünewald: Derby hin, Derby her: Der Fokus der Mannschaft kann zum jetztigen Zeitpunkt nur auf dem Spiel gegen Kiew liegen. Borussia versucht die Aufgabe professionell und souverän zu bewältigen, wird aber gegen kämpferische Aachener ein ums andere Mal auf Granit beißen. Am Ende siegt man knapp mit einem Tor, zur Not auch in der Verlängerung - 1:0.

 

Christian Spoo: Jaja. Schweres Los, Derby, Hexenkessel, eigene Gesetze. Alles schön und gut. Aber wie in Aachen nicht gewinnt, kann sich die Reise nach Kiew gleich sparen. Borussia siegt in der regulären Spielzeit mit 2:0.

 

Thomas Häcki: Es wird schwer. Und deshalb auch nicht knapp. Die neuformierte Borussia gewinnt letztendlich ungefährdet mit 3:1.