Warnung
  • JUser: :_load: Fehler beim Laden des Benutzers mit der ID: 78

Es war ein schöner Beleg dafür, dass dieser Trainer seinen Beruf als einen pädagogischen begreift. In einem von beiden Seiten wohltuend sensibel geführten Interview mit der Kreiszeitung Syke verglich Thomas Schaaf seine Spieler mit einem kleinen Kind auf einer Treppe. Man könne noch so warnen und mahnen, wenn das Kind nicht richtig hinschaue, falle es eben irgendwann auf die Nase. Und erst durch den Schmerz werde es vorsichtiger. So gesehen treffen sich am Samstag im Bremer Weserstadion zwei Krabbelkinder, beide mit mancher Schramme an Körper und Seele, aber beide schon wieder ein bisschen fröhlicher als direkt nach dem letzten Sturz. Eigentlich schade, dass am Samstag nur einer von beiden richtig nach oben klettern kann.

 

Überhaupt sehen sich beide so ähnlich, dass man über eine gemeinsamen Vater spekulieren könnte, was die Metapher aber vielleicht doch überreizen würde. Beide, Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach, erleben eine Katastrophensaison. Beide wurden von einer gespenstischen Serie schwerer Verletzungen von Leistungsträgern heimgesucht. Bei beiden hat sich die Lage inzwischen insgesamt zwar entspannt, aber bei beiden fehlt auch am Samstag mindestens ein Achsenspieler. Auf beide freuten sich in dieser Saison die Angriffsreihen der Gegner: Gladbach hat die meisten, Werder die zweitmeisten Gegentore der Liga kassiert. Beide erlebten ein Debakel in Stuttgart, die einen mit 0:7, die anderen mit 0:6. Beide gewannen ihr letztes Spiel, wissen aber noch nicht so recht, wie sehr sie sich schon freuen dürfen. Beide haben in dieser Hinsicht nach Erfolgserlebnissen immer wieder Rückschläge erlebt.

 

Borussia

 

Besonders verlässlich die Gladbacher: Auf einen Sieg folgte stets eine Pleite. Fast immer geriet er zur Blamage, sieht man von der unglücklichen Heimniederlage gegen Leverkusen ab. Ansonsten: Nach dem begeisternden Spiel in der BayArena, nach dem manche schon von einer Europacupsaison träumten, gab es ein kumuliertes 0:11 gegen Frankfurt und Stuttgart. Nach dem zweiten Sieg gegen Bayer, diesmal im Pokal, ein unbeholfenes 0:3 beim direkten Konkurrenten aus Kaiserslautern. Nach der rauschenden Ballnacht von Köln sechs Niederlagen hintereinander. Nach dem Sieg in Frankfurt zwei Niederlagen gegen direkte Konkurrenten, mit anschließender Trainerentlassung. Der erste Heimsieg im ersten Spiel des neuen Trainers löste eine knappe Woche lang Euphorie aus; es folgte ein chancenloser, nur durch eine Fehlentscheidung geschönter Auftritt in Wolfsburg. Auch psychologisch wäre es viel wert, dieses Muster zu durchbrechen und in Bremen zumindest zu punkten.

 

In der Winterpause verlieh man eifrig Spieler; leider lässt sich das Verletzungspech nicht ausleihen. Beim gestrigen Training schrie mal wieder ein Gladbacher Leistungsträger auf und hielt sich das Knie. Ob Igor de Camargo, der aktuell besten Gladbacher Torschütze, zum Saisonfinale wieder wird eingreifen können, ist ungewiss. Wahrscheinlichster Vertreter ist Mo Idrissou, auch wenn Lucien Favre sich diesbezüglich noch bedeckt hielt. Im defensiven Mittelfeld drängt der wieder genesene Havard Nordtveit zurück ins Team, vermutlich für Roman Neustädter.

 

Werder Bremen

 

Vor zwei Wochen herrschte in Bremen blankes Entsetzen. Im Nordderby waren die Bremer nach desolater Leistung dem HSV mit 0:4 unterlegen und vor allem in der letzten halben Stunde streckenweise vorgeführt worden. Selbst solch ein erfahrener Spieler wie Per Mertesacker hatte sich schwerste Aussetzer geleistet, während die Offensivkräfte nach hinten halbherzig mitarbeiteten und nach vorne ideenlos blieben. Am Wochenende darauf schien sich die Tristesse gegen Leverkusen fortzusetzen. Zwar zeigte sich Werder kämpferisch verbessert, dennoch dominierte die Bayerelf über achtzig Minuten lang das Spiel und hätte höher als nur 2:0 führen können. Nach einer hochdramatischen Schlussphase aber kamen die Bremer in der Nachspielzeit noch zum vielumjubelten Ausgleich.

 

Solch ein Erlebnis kann als psychologischer Befreiungsschlag wirken, und vielleicht war das hier der Fall. Zumindest folgte in Freiburg eine couragierte, deutlich verbesserte Leistung, belohnt durch den ersten Sieg seit sechs Spielen, zugleich der erste Auswärtssieg der Saison überhaupt. Dabei wurden, um bei Thomas Schaafs Bild zu bleiben, die Wunden des Bremer Kleinkinds gleich mit einem halben Dutzend bunter Pflaster verarztet.

 

Zum Beispiel Sandro Wagner: Der Angreifer war noch im Januar wegen mangelnden Trainingsfleißes hart kritisiert und zwischenzeitlich zur U23 abkommandiert worden. Co-Trainer Wolfgang Rolff hatte ihm gar öffentlich aufgetragen, über einen Vereinswechsel nachzudenken. Wagner hatte dann seine Lektion offenbar zur Zufriedenheit der Vereinsführung gelernt, im Training und im Spiel fleißig gerackert, war im Abschluss aber glücklos geblieben. Gegen Freiburg nun schoss er Werder mit seinem ersten Bundesligatreffer überhaupt in Front.

 

Oder das leidige Eckball-Thema: Vor dem Spiel in Freiburg hatten die Bremer kein einziges Saisontor nach einer Ecke erzielt. Überdies hatten sich die Herren Frings und Hunt an den Rand der Absurdität begeben, als sie mehrmals hintereinander bei einer kurz ausgeführten Eckballvariante von gegnerischen Torhütern Abseits gestellt wurden. In Freiburg traf Wagner nach einer Ecke.

 

Oder Marko Arnautovics Sprint. Gerade dem Österreicher war immer wieder Egoismus auf und neben dem Platz vorgeworfen worden. Nach dem 0:4-Debakel vor zwei Wochen in Hamburg hatte er seinen Platz in der Startelf auch deshalb an Wagner verloren. Dass Arnotauvic nun gute fünfzig Meter von der Ersatzbank zur Torauslinie rannte, um mit Wagner gemeinsam dessen Tor zu feiern, wurde von Fans und Verantwortlichen mit größtem Wohlwollen aufgenommen. Ohnehin meinten viele, einen neuen Zusammenhalt im Team zu spüren. Um Harmonie war man denn auch unter der Woche bemüht: Für den von Teilen der Anhängerschaft zuletzt übel geschmähten Aaron Hunt organisierten Werder-Fans die Solidaritätsaktion „Mit Herz und Hunt“.

 

Viel Harmonie und Hoffnung also, aber auch Skepsis. Klaus Allofs zeigte sich unter der Woche unsicher, ob man dem Aufwärtstrend trauen könne. In den Bremer Fanforen wird einiger Respekt vor dem Gegner aus Gladbach geäußert. Auch in dieser diffusen Mischung aus Zuversicht und Sorge sind sich also die beiden Kontrahenten ähnlich. Man ahnt wohl in Bremen, dass man nicht immer so viel Unterstützung durch irrende Schiedsrichter und patzende Gegenspieler bekommen wird wie in den letzten beiden Partien. In Leverkusen traf Kießling beim Anschlusstreffer ins eigene Netz, massiv bedrängt von Mertesacker, dessen Abseitsstellung somit eine zweifelsohne aktive war. Später vergab Kießling die Großchance zur Entscheidung; sein Kollege Vidal handelte sich durch ein dummes Foul im Mittelfeld einen völlig überflüssigen Platzverweis ein. In Freiburg ging dem Bremer 2:1 ein Katastrophenpass des Freiburgers Nicu voraus. Zuvor war den Breisgauern ein reguläres Tor aberkannt worden.

 

Dennoch: Werder ist dabei, sich wieder aufzurappeln, auch aus eigener Kraft. Daran haben auch Thomas Schaafs Umstellungen ihren Anteil. Das Experiment mit nur einem Sechser, einer zweiten Viererkette davor und einer Stoßspitze beendete der Trainer nach dem Debakel von Hamburg schnell wieder. Stattdessen spielt Werder wieder mit der langjährig bewährten Raute, die Schaaf in den letzten beiden Spielen allerdings defensivorientierter besetzte: Marin und Hunt rückten aus der Mannschaft, der wiedergenesene Borowski und der junge Florian Trinks hinein. Gegen die Borussia könnte Marin aber wieder von Beginn an auflaufen. Schließlich machte der Ex-Gladbacher in Freiburg einigen Wirbel, bereitete das zweite Tor vor und erzielte das dritte gleich selbst. Für Marin müsste wohl Trinks, einen Tag nach seinem 19. Geburtstag, wieder weichen. Der U17-Europameister von 2009, der im Finale gegen die Niederlande per Freistoß das Siegtor erzielte, gilt als großes Talent im offensiven Mittelfeld und stand zuletzt zweimal in Folge in der Startelf.

 

Frings und Bargfrede haben ihren Platz vorerst sicher, auch wenn vor allem beim einstigen Shooting-Star Bargfrede Licht und Schatten wechselten. Borowski wirkte zuletzt als Stabilisator, ließ vor dem Tor allerdings Kaltschnäuzigkeit vermissen. In dieser Saison ohnehin von einer Verletzung nach der anderen geplagt, laborierte er auch in dieser Woche. Ob er Samstag spielen kann, ist noch offen. Für ihn könnte rechts sonst auch, als offensivere Variante, Aaron Hunt beginnen. Wesley, Bremens Königstransfer dieser Saison, ist zwar wieder im Kader, nach langer Spielpause aber vermutlich zunächst auf der Bank. Prinzipiell kommt der Brasilianer für alle Mittelfeldpositionen in Frage, auch rechten Verteidiger hat er in Bremen schon gespielt.

 

Auf seinen mit Abstand besten Verteidiger Naldo muss Werder auch für den Rest der Saison verpflichten. Immerhin agierten vor allem Mertesacker, aber auch Prödl in der Innenverteidigung zuletzt deutlich verbessert. Rechts außen fällt Dominik Schmidt aus, statt seiner wird wohl der zuletzt gelb gesperrte Clemens Fritz verteidigen, oder Petri Pasanen. Links wird Stammverteidiger Sebastian Boenisch frühestens zur neuen Saison zurückkehren. Sein Vertreter Mikaël Silvestre hat sich nach katastrophalem Einstand bei Werder inzwischen zu einer soliden Defensivkraft gemausert. Im Offensivspiel aber bringen die Bremer Außenverteidiger in dieser Saison wenig zustande. Dabei waren in Werders System zu den Bremer Glanzzeiten gerade die angriffsfreudigen Außenverteidiger oft Trumpfkarten. Im Jahr 2003 stellte der damalige Gladbacher Trainer Ewald Lienen auch deshalb eigens für das Spiel in Bremen sein System auf ein 3-5-2 um, um mit einem zusätzlichen Mann im Mittelfeld die Vorstöße über die Außenbahn schon früher unterbinden zu können.

 

Im Bremer Sturm ist erneut das Duo Pizarro – Wagner zu erwarten. Der Peruaner hat aus Gladbacher Sicht zwei unangenehme Eigenschaften. Erstens wird er nach Verletzungen rechtzeitig zum Spiel gegen die Borussia fit und er traf im Bremer Trikot bislang in jedem Spiel gegen Gladbach, einmal sogar doppelt. Wagner ist ein sehr engagierter, wenn auch technisch limitierter Spieler, der seinen großen Einsatz bisweilen auch übertreibt: In Freiburg wandelte er am Rand des Feldverweises. Marko Arnautovic schließlich hat manches mit Raul Bobadilla gemein: auch er ein bulliger Stürmertyp, der durch robusten Körpereinsatz Räume schafft. Auch er für einige Millionen und mit viel Vorschusslorbeeren gekommen, auch er mit vielen Torchancen, aber bislang wenig Glück im Abschluss. Auch er gilt als hochtalentiert, aber verhaltensauffällig und oft zu eigensinnig. In Freiburg allerdings sorgte Arnautovic nach seiner Einwechslung für zusätzliche Belebung, vergab zwar erneut eine Großchance, leistete aber die Vorarbeit zu Marins 3:1.

 

Aufstellungen

 

Werder Bremen: Wiese – Fritz, Prödl, Mertesacker, Silvestre – Frings – Hunt, Bargfrede – Marin – Pizarro, Wagner.

Borussia Mönchengladbach: Bailly – Jantschke, Stranzl, Dante, Daems – Marx, Nordtveit – Fink, Arango – Reus, Idrissou.

 

Schiedsrichter: Gräfe.

Assistenten: Häcker, Henschel.

Vierter Offizieller: Welz.

 

SEITENWAHL-Meinung

 

Christoph Clausen: Trotz de Camargos Ausfall traue ich der Borussia ein 1:1 zu.

 

Christian Heimanns: Mit ein bisschen Glück für die Borussia muss Bremen dieses Mal auf drei fest eingeplante Punkte verzichten. Das Spiel gibt Abstiegskampf für Hartgesottene und ein 1:1.

 

Christian Spoo: Die Berg- und Talfahrt geht weiter. Wie schon vor dem (richtig getippten) Hoffenheim-Sieg prophezeit wird Borussia in Bremen untergehen. Werder gewinnt souverän und verdient mit 3:0.

 

Michael Heinen: Es wird ein bitterer Samstag für Fans der Borussia. Zunächst muss man mitansehen wie die Konkurrenz am Nachmittag punktet. Abends dann verliert die eigene Mannschaft mit 0:2 in Bremen, weil Claudio Pizarro wie in jedem Jahr rechtzeitig zu seinem Spiel des Jahres mal wieder fit geworden und in Form gekommen ist.

 

Thomas Häcki: Nun also Bremen. Nach dem Sieg gegen Hoffenheim wäre man mit einem Erfolg an der Weser wieder ganz heiß im Rennen. Sogar mit einem Punktgewinn könnte man evtl. noch leben. Dejà-vu? Klar, hatten wir doch schon öfters! Bremen gewinnt gegen eine uninspirierte Borussia letztendlich sicher mit 2:0. Bleibt nur noch zu erwähnen, das Werder durchaus schlagbar war.