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1. FC NürnbergDie Tabelle, heißt es, lügt nicht. Aber vielleicht übertreibt sie manchmal. Die Tabelle weist Borussia Mönchengladbach nach dem ersten Drittel der Saison als Spitzenmannschaft aus, die Stand jetzt zu den Qualifikationsspielen für die Champions League berechtigt wäre. Zwar spürt sie den heißen Atem der Verfolger aus Wolfsburg, Schalke und Berlin im Nacken. Aber der Vorsprung auf die untere Tabellenhälfte ist größer als der Rückstand auf Platz 2. Die Aussichten, das offiziell ausgegebene Saisonziel des Einstelligkeits-Hattricks zu erreichen, sind blendend, die Chancen auf mehr als das ziemlich gut.

Manche Sportwissenschaftler argumentieren ohnehin, dass das Torverhältnis die Leistungsfähigkeit der Teams verlässlicher abbildet als der stärker vom Zufall beeinflusste Punktestand. Aus diesem Blickwinkel steht Borussia noch klarer als Spitzenmannschaft da. Dortmund (+21) und Bayern (+20) liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Platz an der Sonne, Leverkusen (+13) und Gladbach (+12) eines um Rang 3. Wolfsburg, Berlin (jeweils +4) und Stuttgart (+3) hecheln mit deutlichem Abstand hinterher. Die Schalker und Hoffenheimer Torkonten sind ausgeglichen, die aller anderen Bundesligisten negativ. Spitzenmäßig ist zweifellos die Gladbacher Heimbilanz. Sechsmal vor eigenem Publikum angetreten, sechsmal gewonnen und das mit einem besseren Torverhältnis als zuhause Bayern München – das ist gigantisch.

War der jüngste Heimsieg einer Spitzenmannschaft würdig? Das hängt davon ab, was man unter dem Wort versteht. In der ersten Halbzeit wurde die Borussia von den fränkischen Abstiegskämpfern regelrecht vorgeführt. Nur in den Anfangsminuten schien das Gladbacher Kombinationsspiel zu gelingen, danach war gegen das permanente Nürnberger Pressing kein Borussenkraut gewachsen. So wenig gelang im Spielaufbau, dass Marc-André ter Stegen gezwungenermaßen zum  Aushilfsspielmacher mutierte. Sinnbildlich eine Szene in der 29. Minute, als der Torhüter sich zunächst sichtlich weigerte, schon wieder einen langen Ball zu spielen, dann mangels Anspielstationen verzweifelt die Arme ausbreitete und schließlich doch den Ball weit nach vorne drosch, wo er sogleich verloren ging. Die zuletzt so hochgelobte Gladbacher Aufshilfsverteidigung, vom eigenen Mittelfeld unzureichend unterstützt, war mit den variablen Nürnberger Überfällen ein ums andere Mal überfordert. Mit dem 0:1 waren die Borussen noch gut bedient. In der zweiten Hälfte zeigten sich die Gladbacher zwar deutlich verbessert, agierten aber auch hier maximal auf Augenhöhe mit den Gästen. Keine Spitzenmannschaft, nur die glücklichere und zudem vom Schiedsrichter begünstigte, wäre also eine Sichtweise.

Die andere: Spitzenmannschaft sein bedeutet nicht, keine schlechten Tage zu haben, sondern auch an solchen Tagen zu gewinnen. Zu wissen, dass Gegner aus unteren Tabellenregionen die eigene spielerische Klasse zwar zeitweilig egalisieren können, aber nur mit solch immensem Aufwand, dass er über neunzig Minuten schwer durchzuhalten ist. Nicht blind anzurennen, sondern klug und geduldig auf die eigene Stärke zu vertrauen. Auf die Fehler des Gegners zu warten, von denen man weiß, dass sie kommen werden, und diese Fehler dann effizient zu nutzen. Spieler in den eigenen Reihen zu haben, die eine Partie auch an einem gebrauchten Tag mit ein, zwei begnadeten Aktionen drehen können. Spieler wie Juan Arango, der sich am Samstag einmal mehr als Mann nicht nur für die spielentscheidenden, sondern für die magischen Momente erwies –  jene, an die man sich auch in zehn Jahren noch erinnern wird. Für wen all das gilt, der darf sich Spitzenmannschaft nennen und gelegentlich auch Leistungen wie die der Borussia gegen Nürnberg erlauben. Mit Betonung auf gelegentlich.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die samstägliche Leistung eine bloß gelegentliche bleibt, ließe sich erhöhen, wenn das Favre-Team den nächsten Schritt ginge. Der Schweizer liebt polyvalente Spieler, seine Mannschaft aber ist auf ein System festgelegt. Das mag zum jetzigen Entwicklungszeitpunkt klug und richtig sein und der Mannschaft die Stabilität geben, die solche Wendungen wie gegen Nürnberg erst ermöglicht. Auf Dauer wird man sich aber erst dann als echte Spitzenmannschaft etablieren können, wenn das Repertoire auch der Spielsysteme vielfältiger wird. Es war am Samstag in einigen Szenen zu beobachten, dass die Nürnberger über die Flügel durchaus Anfälligkeiten zeigten. Eine Mannschaft, die sich in mehreren Systemen gleichermaßen zu Hause fühlt, hätte hier spätestens zur Halbzeit auf ein flügelbetontes Spiel mit einem echten Strafraumspezialisten umgestellt und dann vielleicht keine umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen benötigt, um das Spiel zu drehen. So weit ist Lucien Favres Team noch nicht, und der Trainer hat wohl recht, von seiner Mannschaft nicht mehr zu verlangen, als sie aktuell zu leisten imstande ist. Aber solange das so ist, ist die Borussia eine Spitzenmannschaft auf Bewährung.