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Dass Fußballfans zu emotionalen Extremen neigen, ist nichts Neues. Die Geschwindigkeit, mit der bei Borussia in diesen Tagen alles schlecht, alles super und dann wieder alles schlecht sein soll, ist aber auch in Kenntnis dieser Tatsache atemberaubend. Eine Woche, nach dem die Mannschaft das allgemein als bestes seit dem Abgang von Dante und Reus gewertete Spiel gegen Hannover gemacht hat, steht schon wieder vieles zur Debatte – angesichts der tatsächlich ärgerlichen 2:4-Niederlage von Leverkusen.

Die Kritikpunkte – vom mit "umstritten" noch milde charakterisierten Elfmeterpfiff vor dem 1:0 einmal abgesehen – treffen fast alle Mannschaftsteile - und zumindest im Hinblick auf das Spiel vom Samstag auch zu.

-die Abwehr steht nicht sicher, vor allem, weil die Außenverteidiger zu hoch stehen

-die defensiven Mittelfeldspieler sehen bei schnellem Spiel des Gegners kein Land

-im Offensivspiel fehlt es an Variation, kommt Borussia über die Flügel, fehlt es an Anspielstationen im Strafraum

In der Tat war schon gegen Bayern und Hannover zu beobachten, dass den Außenverteidigern offenbar eine größere Rolle im Offensivspiel zugedacht ist, als bisher. Gerade Filip Daems sorgte in beiden Spielen für Alarm auf der linken Seite, Tony Jantschke hielt sich zwar weiter vorne auf, als gewohnt, hatte aber entweder nicht die Gelegenheit oder aber nicht die Fähigkeit, sich offensiv  wirklich gewinnbringend in Szene zu setzen. Das Spiel in Leverkusen, vor allem das Borussia zwischenzeitlich komplett demoralisierende 2:0, zeigt: stehen die Außenverteidiger hoch, ist es für eine schnell und klug umschaltende Mannschaft wie Bayer ein Leichtes, die Borussenabwehr auszukontern. Dennoch wäre es voreilig, den Offensivdrang der Außenverteidiger gleich wieder einzudämmen. Eher sollte man die Maßgaben am Gegner orientieren. Was gegen Leverkusen falsch war, war gegen Hannover noch richtig. Und so gibt es zahlreiche Gegner, gegen die dieses Konzept exakt das richtige Mittel sein kann.

Flexibilität ist wohl auch vonnöten, um das defensive Mittelfeld nicht  zur Baustelle werden zu lassen. Verdienten sich Christoph Kramer und Granit Xhaka gegen Hannover noch Bestnoten, waren beide gegen Leverkusen sichtlich überfordert. Der Schweizer machte dabei die offensichtlicheren Fehler, aber auch Kramer war gegen seinen „Besitzerverein“ alles andere als souverän. Auch hier könnte „Flexibilität“ die richtige Lösung sein. Defensive Stabilität besorgte in der vergangenen Saison Thorben Marx – auf Kosten von Kreativität und Vorwärtsdrang. Nun gibt es keinerlei Notwendigkeit schon jetzt wieder über das Anrühren von Beton zur Verteidigung des eigenen Tores nachzudenken. Ob man aber gegen Mannschaften, bei denen absehbar ist, dass die die Hintermannschaft vor einige Probleme stellen werden, vielleicht mit einem Spieler wie Havard Nordtveit besser fährt, als mit einem immer noch bisweilen zu Leichtsinn oder Unkonzentriertheit neigenden Xhaka, ist mehr als eine Überlegung wert. Borussias Kader ist mit der neuen Saison breiter geworden, was spricht dagegen, das auszunutzen? Gegen viele andere Gegner kann Lucien Favre selbstbewusst genug sein, die Zentrale mit einem potenziell kreativen Spieler wie Xhaka zu besetzen. Gegen Mannschaften wie Leverkusen oder Borussia Dortmund von vorne herein auf eine vorsichtiger Variante zu setzen, ist keine Schande.

Das Offensivproblem „mangelnde Durchschlagskraft“ schien mit der neuen Saison erledigt zu sein. Unwiderstehlich leichtfüßig sah das aus, was Arango, Raffael und Kruse gegen Hannover zeigten. Doch gegen die clever stehende Leverkusener Abwehr funktionierte all das, was eine Woche vorher noch so gut ausgesehen hatte, nicht mehr – und ein Alternativkonzept war nicht auszumachen. Das ist nun ziemlich exakt das Thema der vergangenen Spielzeit (mit Abstrichen, da in der vergangenen Spielzeit Unwiderstehliches und Leichtfüßiges so gut wie nie im Angebot war). Die Aussagen von Lucien Favre zum Spiel über die Flügel sind – was auch an Sprachproblemen liegen mag – schwer zu interpretieren. Nach dem Bayern-Spiel äußerte er sich kritisch, es blieb aber unklar, ob er generell nicht mit Flanken agieren möchte oder ob ihm nur die Ausführung derselben missfiel. So oder so: wenn es über außen geht, ist die Angriffszentrale in der Regel unbesetzt. Kruse und Raffael sind ausdrücklich keine Strafraumstürmer, was wohl auch die Leverkusener wussten. Womöglich ließen sie allein deswegen bisweilen die Gladbacher über außen recht weit nach vorne kommen. Hier muss das rechte Konzept noch gefunden werden. Denn wenn es spielerisch nicht nach vorne geht, sollte eine Bundesligamannschaft mit Ansprüchen schon noch die eine oder andere Alternatividee im Petto haben. Über eine mögliche Alternative hat Seitenwahl erst vor Wochenfrist alles gesagt, was zu sagen war.

Dennoch muss klar sein: es ist nicht auf einmal alles schlecht, was sieben Tage zuvor noch gut war. Leverkusen ist einer der stärksten Gegner, den es in der Bundesliga gibt. Und auch gegen den war Borussia nicht  chancenlos. Zu Beginn war das Favre-Team stärker, es bedurfte der tatkräftigen Hilfe des Schiedsrichters, das Gewicht zu Gunsten des Favoriten zu verschieben. Borussia hat sich nach der Pause am Riemen gerissen und zumindest für eine Weile wieder zu sich gefunden. Die Zahl der absurden Ballverluste im Aufbauspiel konnte im Vergleich zur Vorsaison schon deutlich reduziert werden, sich spielerisch zu befreien gelingt deutlich häufiger, als zuletzt gewohnt.

Die Saison ist noch jung, zwei Niederlagen setzte es gegen Gegner, mit denen man explizit nie auf Augenhöhe zu sein glaubte. Dagegen wurde ein Gegner der zu den Konkurrenten um die Plätze fünf bis neun gesehen wird, dominiert und verdient besiegt. Eine Standortbestimmung war das Leverkusen-Spiel nur insofern, als dass jedem Borussen-Fan klar sein sollte, dass das klar formulierte Ziel Borussias realistisch gesetzt ist. Um ein Aussage von Max Eberl aufzugreifen: mit den ganz Großen wird man in dieser Saison noch nicht pinkeln können. Nach einem Spiel wie gegen Leverkusen sollte man aber ruhig analyiseren und an den genannten Stellschrauben justieren, so dass man im „Pissing Contest“ um die Europa-League-Plätze möglichst bis zum Ende der Spielzeit dabei ist.