Ich gebe es ja zu: Als am Sonntag, 20.05.2001, um 16.44 h der Bundesligaaufstieg perfekt war und ich mich kurz darauf auf dem Platz des Ruhmes inmitten einer johlenden und schluchzenden Menschenschar wiederfand, da fing auch ich an zu graben und sicherte mir ein Andenken in Form eines Stückchens Aufstiegsrasen. Nicht, dass das von langer Hand geplant war – aber als ich feststellte, dass der Platzbelag nach und nach verschwand, da dachte ich mir, dann nimmst auch Du mal ein bißchen was mit; wer weiß, wofür es gut ist. So suchte ich mir also ein Fleckchen, wo bereits eifrig gewütet worden war und ein weiterer Verlust an Spielfläche somit nicht auffallen würde, und nahm ein rund zwölf mal zehn Zentimeter großes Stückchen Vegetation mit, gerade soviel, dass es in einer Plastiktüte verstaut in die Jackentasche paßte.

In den folgenden Stunden ging mein Aufstiegsrasen mit mir auf Tour, lernte einen Haufen nette Mitborussen sowie den Alten Markt kennen, auf dem er allerdings – wie ich auch – reichlich gequetscht wurde (glücklicherweise blieb ihm, da er ja im Dunkel meiner Jacke weilte, der Anblick von immer mehr seiner Brüder und Schwestern erspart, die in irgendwelchen Straßengräben ihr Leben aushauchten, weggeworfen von Leuten, die ihrer Andenken bereits nach Minuten überdrüssig geworden waren). Anschließend machte er sich dann mit mir auf den Weg nach Hause, wo wir zeitgleich ziemlich spät eintrafen.

Zurück in der eigenen Bleibe dachte ich mir dann, naja, schaust Du mal, ob außer Krümeln noch etwas übrig ist von der grünen Pracht. Doch siehe da, mein Aufstiegsrasen präsentierte sich saftig und aufrecht wie in seiner ursprünglichen Heimat. Und so beschloß ich, dass so viel Standhaftigkeit belohnt werden müsse. Das Problem war nur, dass ich zur Zeit in Brüssel übergangsweise in einem kleinen Apartment wohne, bevor ich mit meiner besseren Hälfte irgendwann in diesem Sommer in ein angemesseneres Domizil umziehe. Ich habe also keinen Garten und kann somit meinem Gast auch kein artgerechtes Umfeld bieten. Daher nahm ich einfach eine Plastikschüssel, die gerade zur Hand war, und bettete meinen Aufstiegsrasen sachte hinein. So weit, so gut.

Die nächsten Tage waren arbeitsreich, und ich schenkte den grünen Stoppeln wenig Beachtung. Klar, sie bekamen ab und zu ein Schlückchen zu trinken und wurden sorgsam von allzu viel praller Sonneneinstrahlung ferngehalten, aber das war es auch. Über Himmelfahrt und das sich anschließende lange Wochenende fuhr ich weg, um in Deutschland noch ein paar Dinge zu regeln; mein Aufstiegsrasen blieb einsam zurück. Wieder war ich gespannt, welches Bild er mir Tage später bieten würde.

Offenbar hatte er sich nicht gelangweilt, denn als ich erneut zurückgekommen war, sah ich, dass er gewaltig gewachsen war. Nein, gewachsen ist eigentlich das falsche Wort: Er war förmlich in die Höhe explodiert und blühte, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich begann mich zu wundern: War das Defizit Borussias in den letzten Jahren etwa dadurch zu erklären, dass Tonnen von Dünger in der Spielfläche des Bökelbergs versenkt worden waren, oder lag hier gar ein gentechnischer Eingriff vor? Auch begann ich, meinen Kühlschrank daraufhin zu untersuchen, ob sich mein Aufstiegsrasen in meiner Abwesenheit an meinen Bier- und Wurstvorräten gütlich getan hatte (es schien auch ein Stück Salami zu fehlen, doch fiel mir dann nachträglich ein, dass ich selbst dafür verantwortlich war). Alle Ermittlungen verliefen jedoch buchstäblich im Sande.

Nein, es konnte nur eine Erklärung geben: Mein Aufstiegsrasen war in einer Form, die seinem Namen alle Ehre machte (wer hätte auch etwas anderes erwartet?) und zeigte, wozu er aus sportlicher Sicht fähig war. Nicht nur war er gut austrainiert, sondern er schien sich insgesamt einfach rundum wohlzufühlen. Ich kann das im übrigen verstehen, wurde er doch von technisch unbedarften Spielern unserer Gastmannschaften wochenlang plattgemacht, getreten und vielleicht (ich möchte diesen Gedanken nicht weiter vertiefen) auch bespuckt. Er mag gar bei einer fehlgeleiteten Grätsche ausgerissen und nur oberflächlich von einer flinken Borussenhand wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückversetzt worden sein. Nein, da hatte er es doch in meiner Plastikschüssel wesentlich besser. Ich begann mich richtig edel zu fühlen: Gärtner sind doch die besseren Menschen.

Inzwischen ist mein Aufstiegsrasen noch weiter gewachsen; man kann ihm dabei förmlich zusehen. Ich werde ihn bald mit der Küchenschere mähen müssen. Nun werde ich ihn auch nicht mehr weggeben – nur kurz hatte ich überlegt, ihn in einer subversiven nächtlichen Aktion im Müngersdorfer Stadion einzupflanzen, damit er das K***er Stoppelkraut überwuchern und den Domstädter Fußball-Luschen im geeigneten Moment ab und zu geschickt ein Bein stellen möge. Nein, für meinen Aufstiegsrasen sind höhere Weihen vorgesehen: Ich werde ihn in meinen Garten einpflanzen (so ich mal einen Garten haben werde), damit meine Kinder (so ich mal Kinder haben werde) auf ihm den Fußballsport erlernen können (so sie das überhaupt wollen). Dann werde ich mit Tränen in den Augen stammeln: Seht her, das ist mein Aufstiegsrasen, und Ihr seid jetzt Euer Leben lang Borussen.

Vermutlich werden meine Kinder zu diesem Zeitpunkt noch zu jung sein, um mich für bescheuert zu halten – falls doch, werden wohl auch keine guten Borussen aus ihnen… Aber bis dahin ist ja auch noch Zeit. Momentan überlege ich, meinen Aufstiegsrasen ins Büro zu stellen: Sollen sich doch erst einmal meine Kollegen mit mir freuen! Meisterschalen hin, Pokalpötte her – wer hat schon so einen schönen Aufstiegsrasen?

Gruß LoBo