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Vom Ruhrgebiet führt unser Weg heute in die einzige Stadt der Republik, die dieses Jahr mit zwei Bundesligisten aufwarten darf. Im dritten Teil unseres Bundesligachecks geht es unter anderem um das Verstummen eines Torhüters und um einen Trainer, der keinen BH braucht.

Hamburger SV

Manche Symbolik ist ungewollt. Es liegt eine hübsche Ironie darin, dass die letzten beiden Namensgeber des HSV-Stadions ein Internet-Anbieter und eine Bank waren. In gewisser Weise gleicht ja die jüngere sportliche Geschichte des HSV dem Zyklus von Dot.com-Blase und Bankenkrise nach: ausgelassene Goldgräberstimmung gefolgt von großer Depression. So in der vorletzten Saison, so auch in der vergangenen, als man sich in der Hinrunde lange auf Meisterschaftskurs wähnte, dann aber, von zahlreichen Verletzungen gebeutelt, brutal abstürzte. Am Ende wurde gar die Qualifikation zum Europacupplatz verpasst, nachdem man im laufenden Wettwebewerb das greifbare Finale im eigenen Stadion leichtfertig vergeben hatte.

Für die neue Saison wurde das Stadion wieder mal umbenannt – auf dem Dach prangt nun der Schriftzug des Gebäude- und Schiffsbauausrüsters Imtech. Runderneuert wurde die sportliche Leitung. Armin Veh übernahm das Traineramt von Bruno Labbadia, der anfangs hymnisch bejubelt und am Ende aufs Schärfste kritisiert worden war. Auf der Suche nach einem neuen Sportdirektor leistete man sich eine lustige Posse mit verschiedenen vermeintlichen Einigungen, Dementis, internen Machtkämpfen und Absagen in letzter Minute.

Der schließlich auserkorene Bastian Reinhardt verzichtete auf einen Radikalumbau der Mannschaft. Außer dem teuer nach Manchester verkauften Jérôme Boateng wurden alle Leistungsträger gehalten. Für Boateng wurde mit Heiko Westermann kostspieliger und hochkarätiger Ersatz verpflichtet. Dem Nationalspieler machte man den Verzicht auf die Champions League-Teilnahme mit Schalke 04 schmackhaft, indem man ihn seine Lieblingsposition in der Innenverteidigung zusagte. Mit Westermann und Joris Mathijsen ist die erste Wahl in der Innenverteidigung zwar wieder hochkarätig besetzt. An ähnlich starken Alternativen aber mangelt es weiterhin, zumal David Rozehnal seinen neuen Trainer in der Vorbereitung so nachhaltig entsetzte, dass man ihm einen baldigen Vereinswechsel nahelegte. Der vor einem Jahr für fünf Millionen Euro verpflichtete Tscheche hatte schon letzte Saison die großen Vorschusslorbeeren nie rechtfertigen können. So bleibt als erste Alternative im Abwehrzentrum Guy Demel, der in der letzten Saison dort statt einer sicheren oft eine HSH Nordbank war.

Liebend gern hätte man auch Westermanns Schalker Teamkameraden Rafinha an die Elbe gelockt. Von ihm erhoffte man sich jene offensive Dynamik, die man dort in der letzten Saison von den Außenverteidigern vermisste. Das Werben aber blieb erfolglos, so dass man sich kam am Ende mit Denis Diekmeier begnügen musste, der immerhin auch schon 2,2 Millionen Euro kostete. Der gelernte Stürmer besticht durch seine Schnelligkeit, spricht aber selbst davon, defensiv noch einiges lernen zu müssen. Diekmeier wird sich mit Guy Demel um den Stammplatz rechts in der Viererkette streiten, während links Dennis Aogo mit einem klaren Vorsprung vor dem jungen Lennard Sowah ins Rennen geht. Marcell Jansen ist in erster Linie fürs Mittelfeld vorgesehen, kann im Bedarfsfall aber natürlich auch hinten spielen.

Die schärfste Konkurrenz wurde, für viele überraschend, ausgerechnet auf der Torwartposition entfacht, für die Jaroslav Drobny ablösefrei aus Berlin kam. Gegen Ende der Vorbereitung scheint Frank Rost zwar seinen Stammplatz zu behaupten. Wer sich auf Dauer durchsetzen wird, ist aber ebenso offen wie die Frage, ob der Unterlegene sich ohne größeres Murren auf die Bank setzen wird.  Unmut über Drobnys Verpflichtung äußerte zunächst nur Ersatztorwart Wolfgang Hesl. Rost dagegen brach mit langjähriger Gewohnheit und vermied öffentliche Kritik an der Vereinsführung.

Auch aus Berlin kam Gojko Kacar nach Hamburg. Der Absturz in der letzten Saison hatte einiges damit zu tun, dass Zé Roberto nach längerer Verletzungspause die überragende Form des Saisonbeginns nicht wiedergefunden hatte. Durch die Verpflichtung des schussstarken Antreibers Kacar kann Veh im zentralen Mittelfeld nun flexibler variieren, obwohl Zé Roberto und Kapitän David Jarolim erste Anwärter auf die beiden Positionen bleiben. Alternativ könnten dort auch Guy Demel oder Robert Tesche spielen.

Besonders arg vom Verletzungspech gebeutelt wurde in der letzten Saison die Offensivabteilung, in der gleich fünf Spieler langfristig ausfielen. In undezimiertem Zustand ist dieser Mannschaftsteil mit van Nistelrooy, Petric, Guerrero, Trochowski, Elia, Jansen und Pitroipa ausgezeichnet besetzt. Unter Umständen könnte man es sich sogar leisten, Eljero Elia teuer zu verkaufen, an dem Turin und Wolfsburg größtes Interesse haben sollen. Und darf man den Eindrücken der Vorbereitung glauben, könnte gar ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in die Startelf drängen, den vorher nur wenige auf der Rechnung hatten. Der 18-jährige Koreaner Heung-Min Son begeisterte Trainer, Mitspieler und Anhänger gleichermaßen und krönte seine Leistungen mit dem Siegtor im Test gegen den FC Chelsea. Im gleichen Spiel allerdings brach sich der Youngster den Fuß und wird voraussichtlich zwei Monate ausfallen.

Bleibt solches diesmal die Ausnahme, sollte angesichts der hohen Qualität im Kader der HSV ins obere Tabellendrittel orientieren. Um mehr zu erreichen, gar die Meisterschaft, könnte sich die schwächere zweite Reihe in der Abwehr als Achillesferse erweisen. So könnte auch in Zukunft manch einer wehmütig an jene Erfolge zurückdenken, als das Stadion noch nach dem angrenzenden Volkspark hieß.

FC St. Pauli

Für Journalisten, die es gern bequem haben, ist der Aufstieg des FC St. Pauli schon deshalb eine feine Sache, weil der zweite Hamburger Bundesligist die passenden Klischees gleich mitliefert. So gehört nicht viel Mut zur Voraussage, dass die Gazetten mit großen Buchstaben und kleinem Inhalt an der Vorsilbe „Kult“ ebenso wenig sparen werden wie am abgedroschenen „Freudenhaus der Liga“, wenn immer es um die (gefällig alliterierenden) „Kiezkicker“ geht. Dahinter steckt das gängige Bild vom FC St. Pauli als kickende Botschafter von Deutschlands schrillstem Rotlichtviertel. Die Wirklichkeit ist ein bisschen komplizierter, die des Stadtteils und die des Vereins. Aber dazu mehr an anderer Stelle, vielleicht im Vorbericht zum 22. Spieltag.

Dass der Club dennoch für beste Unterhaltung gut sein könnte, liegt zum einen an der schnoddrig-humorvollen Art des Trainers. Wobei Holger Stanislawski zwar in den überregionalen Medien erheblich präsenter ist als André Trulsen, „Stani und Truller“ vor Ort aber oft im Doppelpack wahrgenommen werden. Stanislawski im Interview mit dem Magazin 11 Freunde: „Wenn Truller Brüste hätte, hätte ich ihn geheiratet.“

Wichtiger natürlich ist die Spielweise, die das Trainerteam der Mannschaft in den letzten Jahren vermittelt hat. In ihr wurde das kampf- und lauforientierte Spiel, für das St. Pauli traditionell stand, zwar bewahrt, aber mit ungemein offensiver Ausrichtung und zuvor ungeahntem Spielwitz veredelt. Schon in der nicht ganz so erfolgreichen vorletzten Saison spielten die Paulianer selbst auswärts bei favorisierten Gegnern konsequent auf Sieg. Angekündigt ist, dieses Konzept auch in der höchsten Spielklasse beizubehalten, was mal zum Überraschungscoup und mal zur herben Klatsche führen könnte.

Es ist natürlich zu simpel, die Entwicklung vom Mittelklassezweitligist zum Aufsteiger an nur einem Spieler festzumachen. Dennoch: Ohne Matthias Lehmann wären die Hamburger letzte Saison schwerlich so dominant aufgetreten. Vor einem Jahr aus Aachen gekommen, entwickelte sich Lehmann im defensiven Mittelfeld zum entscheidenden und überdies noch torgefährlichen Strukturgeber.

Neben Lehmann wird als zweiter Sechser entweder Florian Bruns oder Fabian Boll spielen. Davor setzten Stanislawski und Trulsen letzte Saison meist auf eine hoch flexibel rochierende offensive Dreierreihe hinter dem Stoßstürmer Marius Ebbers. In der Vorbereitung wurde aber auch mit zwei echten Spitzen experimentiert. In beiden Varianten sollte der berühmteste Neuzugang seinen Platz sicher haben. Mit der ablösefreien Verpflichtung Gerald Asamoah entzückte der Club die eigenen Anhänger, erschreckte die Konkurrenz und erstaunte neutrale Beobachter. Der 43-fache Nationalspieler entwickelte sich in der Vorbereitung in Windeseile zum neuen Publikumsliebling, fällt zu Saisonbeginn aber verletzt aus.

In der letzten Saison erzielten die Hamburger genau so viele Tore wie eine Klasse höher Bayern München. Das lag insbesondere auch an Marius Ebbers, dessen Torquoten in der zweiten Liga so gut sind wie in der ersten schlecht. Viel wird davon abhängen, ob Ebbers sich im dritten Anlauf endlich auch in der Bundesliga durchsetzen wird. Ansonsten streiten sich Deniz Naki, Charles Takyi, Max Kruse, der aus Rostock gekommene Fin Bartels und Rouwen Hennings um die Plätze in der Offensive. Vor allem Hennings, in der vergangenen Saison treffsicherster Joker der zweiten Liga, machte in der Vorbereitung auf sich aufmerksam.

Man sollte im Lauf der Saison im Kopf behalten, dass die Paulianer insgesamt nur 200.000 Euro für Neuzugänge ausgaben. Das geschah teils mangels finanzieller Möglichkeiten, teils auch aus Überzeugung: Mit der Kompletterneuerung des Kaders erlitt man nach dem letzten Bundesligaaufstieg derartig Schiffbruch, dass man diesmal vor allem auf die Aufstiegsmannschaft setzt.

Das führt dazu, dass die Verpflichtung eines Schalker Ergänzungsspielers ausreichte, um rein rechnerisch die gesamte Bundesligaerfahrung aller Abwehrspieler im Kader fast zu verdreifachen. Carlos Zambrano bringt die stolze Zahl von sechzehn Bundesligaeinsätzen mit nach St. Pauli. Außer ihm kommen rechts Carsten Rothenbach oder Ralph Gunesch, in der Mitte Kapitän Fabian Morena oder Markus Thorandt und links Bastian Oczipka oder Floran Lechner für die Stammplätze in Frage. Von all denen hat nur Gunesch überhaupt jemals in der Bundesliga gespielt, und auch er nur neunmal. Zwar kam Moritz Volz aus der Premiere League und steht im Tor der Bundesliga-erprobte Mathias Hain. In der Summe aber muss man konstatieren: Außer Asamoah setzt St. Pauli in der Offensive auf Spieler mit enttäuschender und in der Abwehr auf solche ohne Bundesligaerfahrung.

Es gäbe also genug Stoff für düstere Prognosen. Aber die Bundesliga ist keine Playstation. Schon letzte Saison hätte, nur am Renommee der Einzelspieler gemessen, der FC St. Pauli sich höchstens im Mittelmaß der zweiten Liga tummeln dürfen. Doch die Mannschaft trat über weite Phasen mit einer Souveränität auf, die geradezu unheimlich war. Und während sie sich dort zunehmend mit dichten Abwehrbollwerken herumärgern musste, könnten sich eine Klasse höher mehr Räume für das schnelle Spiel in die Spitze bieten, das das Team seit zwei Jahren verinnerlicht hat. Und dann könnten die Paulianer auch in der ersten Liga manche überraschen.