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Ballbesitz beim Fußball ist wie Redezeit bei einer Debatte. In seltenen Glücksfallen zündet der Redner ein Feuerwerk des Geistes, voll Esprit und von großer Sachkenntnis, so dass dem Gegenüber nur ein sprachlos einlenkendes Nicken bleibt. Der umgekehrte Glücksfall ist die brillante Beschränkung, bei der der Redner mit zwei, drei Bemerkungen mehr sagt als andere in einer halben Stunde. Sehr viel häufiger sind quälend langwierige Reden, bei denen zehn Sätze im Dunkeln lassen, was in einem klar hätte gesagt werden können. Manche allerdings verfolgen gezielt die Strategie der einschläfernden Drögheit: Nachdem Aufmerksamkeit und Verteidigungsreflexe des Kontrahenten durch umständliche Ausführungen erschöpft worden sind, setzen sie eine einzige gezielte Pointe. Schließlich gibt es den Filibuster, den man aus der amerikanischen Politik kennt. Hier wird endloses Geschwafel bewusst eingesetzt, um eine Abstimmung zu verzögern, also eine unerwünschte Veränderung zu verhindern. Strom Thurmond redete 1969 im US-Senat 24 Stunden und 8 Minuten lang ununterbrochen, unter anderem über Kuchenrezepte seiner Großmutter, um das Bürgerrechtsgesetz zu blockieren.

 

Im Fußball gibt es die Glücksfälle. Es gibt den FC Barcelona, der in seinen besten Spielen den Ball immer wieder minutenlang mit begeisternder Eleganz und großer Spielfreude zirkulieren lässt, bevor ein Tor den Kombinationsrausch krönt. Das ist die Form von Ballbesitz, die Lucien Favre so bewundert. Es gibt auch den Glücksfall der brillanten Beschränkung, bei der ein Team dem Gegner zwar weitgehend den Ball überlässt, dann aber mit zwei, drei Kontakten zum eigenen Torabschluss kommt. Vor dreieinhalb Jahren ist der VfL Wolfsburg auf diese Weise Meister geworden. Häufiger holten sich die Bayern die Schale und nicht selten spielte dabei die Strategie der einschläfernden Drögheit eine Schlüsselrolle. Auch die fußballerische Variante des Filibuster beherrschen die Münchner wie sonst niemand. Er besteht darin, bei eigener Führung den Ballbesitz zu suchen, nicht so sehr um auf den eigenen Torerfolg zu drängen, als um einen gegnerischen zu verhindern.

 

In Hoffenheim kamen die Gladbacher mangels Torerfolg nicht in die Situation, eine Führung über die Zeit schwafeln zu können. Das Spiel entsprach der Strategie der einschläfernden Drögheit, nur ohne die Pointen. Es war eine jener Partien, nach denen man der Weisheit der Regelkommission dafür dankt, dass es bei Punktspielen keine Verlängerung gibt. Vor allem Tolga Cigerci wirkte wie ein Redner, der sich wortreich bemüht, aber immer wieder knapp am entscheidenden Begriff vorbeiformuliert. Luuk de Jong hätte vielleicht etwas zu sagen gehabt, kam aber selten zu Wort. Andere verhedderten sich im Gestrüpp ihrer komplizierten Satzkonstruktionen. Zusammen ergab das, was Hans Meyer als Scheinüberlegenheit zu bezeichnen pflegte: viel Bemühen, kein Ertrag. In der Politik würde man von einem "produktiven Gedankenaustausch" sprechen.

 

Diesen Samstag gibt es die Gelegenheit, es in ähnlicher Situation besser zu machen. Auch im Heimspiel gegen die Fortuna ist mit viel Ballbesitz zu rechnen. Anders gesagt, auch diesen Samstag grüßt die Murmelmauer. Sicher, es ist einer Woche her, dass diese Mauer ungewohnt löchrig war. Von den drei Toren, die Düsseldorf kassierte, waren zwei so kurios, dass manche Journalisten das „r“ aus dem Ortsnamen durch ein zweites „o“ ersetzten. Aber auf eine Wiederholung von so viel Schützenhilfe sollten sich die Borussen nicht verlassen. Defensive Stabilität war in der Hinrunde der große Trumpf der Fortuna. In die Winterpause ging das Team mit 22 Gegentoren, genauso viele wie der Tabellenzweite Leverkusen. Zehn Bundesligisten hatten mehr kassiert, auch Gladbach. In 180 Bundesliga- und Pokalminuten konnten die Favre-Schützlinge schon erleben, wie dicht das Düsseldorfer Abwehrgestrüpp gewachsen ist.

 

Um Ballbesitz in Tore umzuwandeln, müssen die Gladbacher in den entscheidenden Situationen schneller auf den Punkt kommen. Das heißt fußballerisch: präziser passen und flanken, Anspiele sicherer verarbeiten, Lücken sehen oder kreiieren, sie dann beherzter nutzen. Genau das haben die Fohlen in dieser Woche trainiert. Und vielleicht, man kann ja hoffen, sind sie dabei jenem Glücksfall, den man im Fußball Tiki-Taka nennt, wenigstens ein paar Millimeter näher gekommen.

 

Aufstellungen:

 

Borussia Mönchengladbach: ter Stegen – Jantschke, Brouwers, Dominguez, Wendt – Marx, Nordtveit – Arango, Cigerci – Herrmann, de Jong.
Fortuna Düsseldorf: Giefer – Levels, Bodzek, Latka, van den Bergh – Tesche, Fink – Reisinger, Ilsö, Bellinghausen – Kruse.

 

Schiedsrichter: Peter Gagelmann.
Assistenten: Matthias Anklam, Sascha Thielert.
Vierter Offizieller: Harm Osmers.

 

SEITENWAHL-Meinung:

 

Christoph Clausen: Barcelona ist noch weit weg, aber in seltenen Glücksmomenten verbindet Borussia Ballbesitz und Esprit und gewinnt mit 2:0.

 

Christian Grünewald: Obwohl es wieder über weite Strecken kein Freudenfest wird, kann Borussia die hartnäckige Fortuna-Abwehr auch ohne Torhüter-Slapstick zweimal überwinden. Der Aufsteiger bleibt im Borussia-Park torlos.

 

Thomas Häcki: 1:0 für die Borussia in einem sehr unattraktiven Spiel. Man muss schon die Raute im Herz haben, um sein Kommen nicht zu bereuen.

 

Christian Heimanns: Borussia revanchiert sich für die Pokalpleite und gibt dem Aufsteiger ein 3:1 mit auf den kurzen Heimweg.

 

Christian Spoo: Uns erwartet ein grauenvoller Kick mit wenigen Torszenen. Immerhin nutzt Borussia eine davon zum Siegtreffer.

 

Michael Heinen: Besser spät getippt als nie. Nach schwachem Spiel siegt Borussia höchst mühsam mit 1:0.