Bayern MünchenEs gibt unangenehmere Dinge, als einen Vorbericht über ein Spiel gegen Bayern München zu schreiben. Einen Abend Standup-Comedy mit Peter Altmaier als Hauptattraktion zu vermarkten. Mit Björn Höcke über den Wert von Weltoffenheit und Toleranz zu diskutieren. Morgens um drei schlaftrunken in die Küche tapsen, um seinen Durst zu stillen und plötzlich festzustellen, dass man zu dem Glas mit der Säuberungsflüssigkeit gegriffen hat, in die Oma zur Nacht ihre dritten Zähne einlegt. In der Umkleide des Fitness-Studios eine spezielle Variante von Murphy’s Law bestätigt zu finden: Der Typ mit dem irren Blick und dem Schweißdrüsen-Problem hat immer das Schließfach direkt neben dir. Noch unangenehmer, all das. Aber in der aktuellen Situation kommt ein Vorbericht über die am Sonntag anstehende Partie nicht weit dahinter.

StindlSelbst zu glanzvollsten Gladbacher Zeiten galt die Grundregel: Gegen Bayern ist eine Niederlage der erwartete Normalfall. Für einen Punktgewinn müssen sehr viele, für einen Sieg alle denkbaren positiven Bedingungen zusammenkommen, dazu ein optimaler Spielverlauf. Dafür spricht im Moment herzlich wenig. Personell wird die Borussia am Sonntag nur eine Rumpelf aufbieten können. Es fehlt an allen Ecken und Enden: Lars Stindl. Der Kapitän war in den Wochen zuvor in bestechender Form und hatte sich immer mehr zum Zentralgestirn des Gladbacher Spiels entwickelt: als Leitfigur, der andere mitriss, als Laufwunder, als Ideengeber, als Schütze spielentscheidender Treffer. Es fehlen zwei Kreativspieler, die an guten Tagen den Unterschied ausmachen können: Hazard und Traoré. Seit Donnerstag fehlenn auch Christoph Kramer und Fabian Johnson. Und vielleicht fehlt auch Mo Dahoud. Die Aufstellung könnte also aussehen, wie man es sonst eher von Vorbereitungskicks gegen DJK Rheindahlen kennt: viel Spielpraxis für Spieler der zweiten Reihe. Vielleicht kommt Sow zu seinem Startelfdebüt, vielleicht Benes. Beides sind vielversprechende Talente, denen man erste Gehversuche auf der Bundesligabühne gönnt und wünscht. Nur vielleicht erstmal unter anderen Vorzeichen.

Auch einem erfahrenen Spieler wie Josip Drmic könnte der personelle Notstand eine weitere Bewährungschance bescheren. Dabei konnte der Schweizer wie schon in Hamburg auch gegen Schalke wahrlich keine Argumente dafür liefern. Eigentlich hätte der Trainerwechsel für diesen Stürmertyp ein Geschenk sein müssen. Dieter Hecking hat bekanntlich durchaus etwas übrig für das Spiel mit klassischem Mittelstürmer. Bisher aber weigert sich Drmic hartnäckig, das Geschenk auszupacken. Am erschreckendsten waren dabei noch nicht einmal die beiden vergebenen Großchancen - auch wenn es ganz schön wäre, könnte Drmic irgendwann auch mal als Matchwinner in Erscheinung treten. Aber vergebene Großchancen kommen selbst bei Lewandowski und Aubemayang vor. Mit viel Wohlwollen wird man darauf verweisen, dass Drmic seinen Kopfball am Donnerstag grundsätzlich durchaus clever gegen die Laufrichtung von Ralf Fährmann ansetzte.

Erschreckend aber bleibt, wie wenig Drmic sonst anzubieten hatte. Wem (momentan) das Abschlussglück fehlt, von dem erwartet man immerhin unbedingten Einsatz und den erkennbaren Willen, das Glück irgendwann zu erzwingen. Solchen sah man bei Drmics Pendant auf Schalker Seite, bei Drmic nicht. Dazu kommt: Der Wert eines Spielertyps wie Drmic oder Burgstaller liegt nicht nur in der eigenen Torgefahr. Er liegt auch darin, der eigenen Mannschaft eine Anspielstation in vorderster Front zu bieten. SpielerAndré Hahn dieser Art kann man idealerweise unter Bedrängnis auch mal mit einem langen und hohen Befreiungsschlag anspielen und darauf vertrauen, dass sie den Ball im Luftkampf erobern und mit großer körperlicher Präsenz behaupten werden. Solche Spieler können für die Mannschaft Gold wert sein, selbst dann, wenn es mit der eigenen Torgefahr mal hapert. Sie können Mitspielern Zeit zum Nachrücken geben, um Bälle auf sie abzulegen, und damit das taktische Repertoire der Offensive wesentlich erweitern. Sie können als Ruhepoole fernab des eigenen Tores für Entlastung und Atemluft inmitten von Drangphasen des Gegners sorgen. Arie van Lent erfüllte diese Aufgaben zu seinen besten Zeiten in vorbildlicher Weise. Das war ein Grund dafür, warum er unter Hans Meyer selbst bei zwischenzeitlicher Torflaute gesetzt war. Weder in Hamburg noch gegen Schalke konnte Drmic auch nur entfernt in diese Fußstapfen treten. Steigert sich der Schweizer nicht im weiteren Rückrundenverlauf entscheidend, läuft alles auf eine Neubesetzung seiner Planstelle im Sommer heraus. Allein: Für Sonntag hilft das wenig. Die Haupt-Alternative wäre André Hahn. Nur: Der ist zurzeit völlig von der Rolle. Und ein Startelf-Debüt von Simakala wäre, nun ja, „erfrischend mutig“, wie Sir Humphrey Appleby sagen würde.

Scouting-Bedarf gibt es auch für das defensive Mittelfeld. So begrüßenswert Christoph Kramers Rückkehr war und ist, die durch Granit Xhakas Abgang gerissene Lücke bleibt ungefüllt. Mo Dahouds Verbleib ist, vorsichtig ausgedrückt, fraglich. Doch selbst wenn es doch gelingen sollte, ihn mittelfristig am Niederrhein zu halten, fehlt es dem defensiven Mittelfeld an hochqualitativen Alternativen, um Formschwankungen und Ausfälle von Dahoud oder Kramer zu kompensieren. Gegen die Bayern könnten gleich beide fehlen. Vielleicht rückt dann Christensen vor, ein Experiment, dessen Erfolg bislang überschaubar war. Vielleicht auch Jantschke. Oder Wendt? Oder Benes kommt zu seinem ersten Bundesliga-Einsatz. Neben Strobl. Gegen die Bayern.

CatterburgDie Flucht in den Galgenhumor ist verlockend. All das personelle Ungemach ist ja nur ein Teil der Malaise. Dazu gesellt sich sichtliche Verunsicherung. Nur sehr bösartige Zeitgenossen werden leugnen, dass die Mannschaft gegen Schalke Pech hatte, wie man es in dieser Ballung selten findet: der Maulwurfshügel zum ersten Gegentor. Eine Elfmeterentscheidung, bei deren Kommentierung der Kapitän der begünstigten Mannschaft sichtlich mit dem Lachen kämpfte und der Trainer jeden Kommentar verweigerte. Grotesk. Aber selbst das wäre gegen einen zwar wild entschlossenen, spielerisch aber gar nicht so sehr eindrucksvollen Gegner noch zu drehen gewesen – hätte, ja hätte die Borussia jenen Willen gezeigt, mit der man in Leverkusen und Florenz noch die Wende erzwang. Aber nicht nur Drmic schnitt gegenüber Burgstaller in diesem Vergleich schlecht ab. Die letzte Entschlossenheit vermisste man bei der ganzen Mannschaft. Ein schwer erklärlicher Rückfall in überwunden geglaubte Passivität und außerordentlich widrige Umstände vermischten sich am Donnerstag zu einem letztlich unverdaulichen Cocktail. Um sich gegen die Bayern einen Siegesdrink zu mixen, müssten schon beide Zutaten ausgetauscht werden. Die eine liegt nicht in Borussenhand, bei der anderen scheint kurzfristige Besserung unwahrscheinlich.

Man könnte also mit Blick auf Sonntag in düsterste Stimmung verfallen. Man kann auch im Gedanken Zuflucht suchen, dass im Fußball bisweilen schier unerklärliche Dinge geschehen – in beide Richtungen. Oder man tröstet sich damit, dass es Schlimmeres im Leben gibt, als ein Fußballspiel zu verlieren. Wir erinnern uns: Altmaier und die Standup-Comedy. Höcke und die Welthoffenheit. Der nächtliche Griff zu Omas Glas. Der Typ im Fitnessstudio.

 

Borussia Mönchengladbach: Sommer – Jantsche, Vestergaard, Christensen, Wendt – Strobl, Benes – Herrmann, Hofmann – Raffael, Drmic.

Bayern München: Neuer – Lahm, Martinez, Hummels, Alaba – Thiago, Alonso – Robben, Müller, Ribery – Lewandowski.

Schiedsrichter: Tobias Stieler.

Michael Heinen: Nach dem Spiel vom Donnerstag fällt es schwer, sich nur drei Tage später schon wieder auf das nächste Bundesliga-Spiel zu freuen. Selbst wenn es der wahre Bundesliga-Klassiker gegen die Bayern ist. In der Hoffnung, dass die Mannschaft die Länderspielpause nicht genauso stark herbeisehnt wie ich tippe ich auf eine überschaubare 0:2-Heimniederlage.

Thomas Häcki: In der derzeitigen Situation sind die Bayern leider eine Nummer zu hoch. Das 1:2 ist daher kein Beinbruch, es führt aber zur Ernüchterung und plötzlich ist das Glas für viele wieder eher halb leer als voll.

Christian Spoo: Das Momentum ist zerstoben. Auf dem holprigen Boden der Realität empfängt Borussia den Rekordmeister und verliert sang- und klanglos mit 0:3 - aber auch nur, weil die Bayern es im zweiten Durchgang locker angehen.

Claus-Dieter Mayer: Zur Verblüffung aller Anwesenden gewinnt Borussia locker mit 3:0 durch einen Drmic-Hattrick…nein, war nur ein Witz: eine Woche des Grauens findet mit eine 0:4-Klatsche ihren (un)würdigen Abschluss.