Mit dem Europa-League-Rückspiel gegen Schalke 04 an diesem Donnerstag (21.05 Uhr auf Sport1 und Sky) erlangen die S04/HSV-Festwochen in Mönchengladbach einen – hoffentlich erfreulichen – Höhepunkt. Seit dem Hinspiel vor einer Woche, als die krisengeplagten Schalker ein 1:1 daheim als Erfolg verbuchen konnten, haben sich die Vorzeichen aber ein wenig geändert. Die 2. Halbzeit, in der die Gelsenkirchener mit Vehemenz auf das 2:1 drängten, wurde dort als Zeichen für den Aufschwung gewertet, was sich vergangenen Sonntag mit dem überzeugenden 3:0 über den FC Augsburg fortsetzte. Borussia wiederum knüpfte an die durchwachsene Leistung wenige Tage später beim 1:2 in Hamburg an, wo ihnen das nötige Glück dieses Mal nicht hold war, um das Remis über die Zeit zu retten. Zum zweiten Mal in Folge war die Fohlenelf nicht in der Lage, wie so oft in den Monaten zuvor in Halbzeit 2 zuzulegen. So besteht vor dem dritten Spiel gegen S04 innerhalb von nur 13 Tagen die große Sorge, dass Borussias Aufschwung vom Jahresbeginn so langsam verpuffen könnte und stattdessen die Dreifachbelastung ihren Tribut fordert.

Ein Trainerwechsel hat nachgewiesenermaßen sehr häufig einen kurzfristig positiven Effekt. So war es bei Borussia bereits im vergangenen Jahr unter Interimstrainer André Schubert und so ließ es sich zu Beginn dieses Jahres wieder an. Schubert war es nach Ende der imposanten Siegesserie leider nicht gelungen, seiner Mannschaft das eigene Spielsystem zu vermitteln und damit nachhaltigen Erfolg zu gewährleisten. Dieter Hecking steht jetzt vor einer ähnlichen Situation. Seine Maßnahmen, erst einmal auf einen bewährten Stamm zu setzen und wenig zu rotieren, waren wichtig, um die zuvor fehlende Stabilität wiederherzustellen und die verunsicherte Mannschaft zurück auf Kurs zu bringen. In den letzten Spielen hat er nun angefangen, verstärkt auf Rotation zu setzen, um die Belastungen zu steuern. Diverse Ausfälle verschärften die Notwendigkeit zusätzlich.

Die Partie gegen Schalke 04 wird nicht nur wegen der großen Chance, in ein Europa League-Viertelfinale einziehen zu können, eine besondere Bedeutung für den weiteren Saisonverlauf einnehmen. Scheidet die Fohlenelf trotz der guten Ausgangsposition nach dem Hinspiel aus, so wäre ein Abwärtstrend nicht mehr wegzudiskutieren. Ein Weiterkommen könnte etwaige Negativ-Szenarien von vorneherein verstummen lassen und die Niederlage in Hamburg lediglich als einen unglücklichen Ausrutscher erscheinen lassen.

Das Momentum hat sich nach den jüngsten Ergebnissen wieder etwas stärker in Richtung Schalke verschoben. Deren konstantester Faktor in dieser Saison war aber bislang die Unbeständigkeit. Nicht unmöglich, dass sie sich am Donnerstag entgegen aller Beteuerungen doch wieder so präsentieren wie es in den letzten Jahren zumeist im Borussia-Park der Fall war. 9 der letzten 10 Pflichtspiele dort gingen für die Knappen verloren.

Wenig darum geben sollte man auf das vermeintlich so wichtige Auswärtstor, das Jonas Hofmann vorige Woche erzielen konnte. Schalke hat mit Ausnahme des 0:3 in München in den letzten 10 Partien immer mindestens ein Tor erzielt. Borussia ist in den letzten Monaten dagegen fast immer für ein Gegentor gut. Es spricht daher nur sehr wenig dafür, dass die Partie 0:0 enden wird. Borussia wird die Partie in jedem Fall gewinnen müssen – und sei es in einem potentiellen Elfmeterschießen, bei dem die Strafstoßbilanz beider Vereine eher wenig Hoffnung bieten würde.

Ganz wichtig wird sein, in welcher Formation beide Mannschaften in die Partie starten können. Bei Borussia hat Raffael seine Grippe rechtzeitig auskuriert. Hinter dem Einsatz von Lars Stindl steht noch ein größeres Fragezeichen. Sein Mitwirken wäre umso wichtiger, da mit Traoré und Hazard bereits zwei weitere Offensivakteure verbindlich ausfallen. Bei Schalke wird es für die zuletzt starken Leon Goretzka und Sead Kolasinac eng bis Donnerstag.

Beim HSV war der ersatzgeschwächten Fohlenelf anzumerken, in dieser Formation nicht eingespielt zu sein. Einige Spieler hatten zudem nicht ihren besten Tag erwischt, sodass das 1:2 gut erklärbar ist. Bei einigen der zuletzt allzu erfolgsverwöhnten Fans löste der Auftritt die üblichen Reflexe aus, die sich primär gegen einzelne ungeliebte Akteure richteten. Und ja, die Kritik ist nicht gänzlich unberechtigt. Josip Drmic z. B. ließ die 100%ige Chance zum vielleicht vorentscheidenden 2:0 kläglich liegen, André Hahn setzte seine bislang erschreckend schwache Saisonleistung nach seiner Einwechselung ebenso fort wie es zuvor Jonas Hofmann und Patrick Herrmann nicht gelungen war, kreative Impulse zu setzen. Nico Elvedi verhielt sich beim Ausgleichstreffer ebenso ungeschickt wie Tony Jantschke und Jannik Vestergaard beim 1:2. Mo Dahoud setzte seine wankelmütige Form fort und war auf der ungewohnten Position hinter den Spitzen sichtlich überfordert.

Der schwache Auftritt der Mannschaft lässt sich problemlos an solch individuellen Schwächen festmachen. Borussia ist nicht der FC Bayern, der Ausfälle seiner besten Spieler ohne Qualitätsverlust kompensieren kann. Es soll an dieser Stelle aber mal eine Lanze für einige der viel geschmähten Kicker gebrochen werden, die eine Rolle als Universal-Sündenbock nicht verdient haben, sondern zumindest ein Mindestmaß an Respekt und Vertrauen. Zumal sie in der Vergangenheit teilweise Herausragendes für ihren Verein geleistet haben.

Dahoud z. B. gilt mit seinen 21 Jahren bereits jetzt als Stammspieler und wird nicht ohne Grund von internationalen Topklubs umworben. In seinem Alter sind schwankende Leistungen normal, weshalb er es sich gut überlegen sollte, ob er wirklich jetzt schon den nächsten Schritt zu einem noch größeren Verein wagen möchte.  An guten Tagen kann er aber unbestritten ein Uitblinker sein, wie es Hans Meyer ausdrücken würde. Und selbst wenn er an schlechten Tagen eher an die Meyerschen „fünf richtig blöden Kicker“ erinnert, war der Deutsch-Syrer in der Vorsaison ein ganz elementarer Erfolgsfaktor für den Champions-League-Einzug.

Gleiches gilt für Nico Elvedi und André Hahn. Der Schweizer hat in ebenfalls sehr jungen Jahren eine höchst respektable Rückrunde absolviert, in denen er sich von den holprigen Auftritten in den ersten Partien der Vorsaison emanzipierte. Fehlerfrei ist er noch lange nicht und man sollte ihn nicht an den außergewöhnlichen Fähigkeiten eines Andreas Christensen messen. Mit Ausnahme der unglücklichen Aktion beim 1:1 verlief das Startelf-Comeback von Elvedi in Hamburg aber ordentlich. Er stand hinten meist sicher und schaltete sich gut mit nach vorne ein. Vorstellbar daher, dass er gegen Schalke eine weitere Chance auf Bewährung bekommt, nachdem Konkurrent Tony Jantschke gegen Choupo-Mouting im Hinspiel nicht immer gut aussah.

André Hahns Torlauf zum Ende der letzten Saison ermöglichte Borussia den sensationellen Sprung auf Rang 4 und ihm fast jenen zur Europameisterschaft. Heute, nur wenige Monate später, wird der Ex-Augsburger von einigen Fans als fußballerisch unbegabte Vollgraupe diffamiert. So schnelllebig ist der Fußball. Es ist richtig, dass Hahn technisch sehr limitiert agiert. Genau wie auch z. B. Tony Jantschke bringt er aber andere Qualitäten mit ein, die Borussia in den vergangenen Jahren sehr gut getan haben.  Eine Mannschaft besteht nicht aus 11 Raffaels, sondern benötigt eine möglichst kompatible Mischung aus verschiedenen Spielertypen. Aktuell scheint Hahn nicht optimal in das taktische Konzept von Dieter Hecking zu passen. Es wäre aber unfair, ihn jetzt schon vollends abzuschreiben.

Bei Torjägern wie Hahn oder Drmic spielt das Selbstbewusstsein stets eine besonders große Rolle. Oft reicht es, wenn der obligatorische „Knoten“ platzt, damit es anschließend wie von selbst läuft. Josip Drmic hat seit seiner Ankunft in Mönchengladbach zweifelsohne noch nicht nachgewiesen, warum Max Eberl für ihn rund 10 Mio. Euro nach Leverkusen überwiesen hat. Wie schon dort bei seinem einjährigen Gastspiel und später bei der kurzen Leihe nach Hamburg befindet sich der Schweizer im Rauten-Dress meilenweit von der Form entfernt, die ihn 2014 in Nürnberg auszeichnete. Nach seiner langen Verletzung bot sich ihm zuletzt aber auch wenig Gelegenheit, um diese Topform wieder erreichen zu können. Die mangelnde Spielpraxis kann zumindest zum Teil erklären, warum es ihm in diversen Situationen noch an Kaltschnäuzigkeit fehlt. Zweifel daran, dass es bei ihm qualitativ für gehobenes Bundesliga-Niveau reicht, sind erlaubt und sollten inzwischen auch bei den Verantwortlichen geweckt sein, was die Kaderplanung für die kommende Spielzeit angeht. Trotzdem wäre es unfair, Drmic zum Hauptschuldigen der Pleite beim HSV zu machen, die eher auf das Kollektivversagen der ganzen Mannschaft zurückzuführen war. Der Schweizer war – zumindest in Halbzeit 1 – noch einer der Aktivposten in der Offensive und mühte sich ebenso redlich wie unglücklich, sein Können unter Beweis zu stellen.

Das Bemühen alleine wird am Donnerstag nicht reichen, denn gegen die wiedererstarkten Schalker wird die Elf von Dieter Hecking ihre Topform abrufen müssen, um ins Europa-League-Viertelfinale einziehen zu können. 1 ½ schwächere Partien sollten aber nicht dazu verleiten, den deutlichen Aufwärtstrend in 2017 komplett in Frage zu stellen. Die Mannschaft sollte die Qualität und das Selbstverständnis haben, um sich in einem Heimspiel gegen Schalke 04 durchsetzen zu können.

Borussia: Sommer – Elvedi, Christensen, Vestergaard, Wendt – Kramer, Dahoud – Herrmann, Hofmann, Johnson – Raffael

Schalke: Fährmann – Kehrer, Höwedes, Nastasic, Kolasinac – Geis, Goretzka – Caligiuri, Bentaleb, Choupo-Mouting – Burgstaller

SEITENWAHL-Tipps

Michael Heinen: „Es wird ein enges Spiel zweier gleichwertiger Mannschaften. Am Ende siegt Borussia in der Verlängerung mit 2:1 und darf weiter vom Titelgewinn träumen.“

Christian Spoo: „Borussia strauchelt, Schalke ist im Aufwind. Die mentale Verfassung entscheidet das Duell zweier ähnlich starker Mannschaften. Die Schalker ziehen dank eines umkämpften 2:1-Sieges in Mönchengladbach ins Viertelfinale ein.“

Claus-Dieter Mayer: „Es endet im Elfmeterschiessen; schade eigentlich."

Thomas Häcki: "Offen gesagt habe ich ein ganz mieses Gefühl und würde auf Schalke tippen. Da mich in Momenten der scheinbaren Gewissheit meine Borussia aber regelmäßig negativ wie positiv überrascht, freue ich mich auf ein Treffen zwischen der Borussia und Ajax in der nächsten Runde. Dieters Fohlen gewinnen einen Krimi mit 3:2"