1. FC KölnFür Vorberichte zum rheinischen Derby ist eigentlich zweierlei Pflichtprogramm: erstens die Hoffnung auf ein gewaltfreies Fußballfest zu äußern, zweitens die Historie dieser Begegnung zusammenzufassen, mit Netzers Selbsteinwechslung im erzählerischen Zentrum. Auf beides sei hier verzichtet. Wer dergleichen zur Einstimmung braucht wie den Adventskalender im Dezember, der wird andernorts im Netz reichlich fündig. Wenden wir uns zwei anderen Aspekten zu: erstens dem Aufstieg und Fall von Vorbildern, zweitens dem Geschichtenerzählen.

Aspekt eins: die Vorbilder. Die Schnelllebigkeit des Fußballs zeigt sich auch darin, wie schnell sie von vormaligen Bewunderern überholt werden. Werder und die Borussia ist so ein Fall. Lange war es Eberlsches Ceterum Censeo, dass man sich ein Beispiel am Bremer Weg nehmen wolle: unaufgeregte Kontinuität auf dem Trainerstuhl, maßvolle Transfers, eine Chance für die Jugend und ein bescheidener, allmählicher Aufstieg zur Spitzenmannschaft, wobei man nie vergaß, wo man herkam und bei Rückschlägen gelassen blieb. Tempi passati. Allofs weg, Schaaf weg, Kontinuität weg, Erfolg weg. Werder ist vom regelmäßigen Champions-League-Teilnehmer zum Abstiegskämpfer mutiert, aktuell ist die Truppe mal wieder Drittletzter.

Den umgekehrten Weg ging die Borussia. Ihr Marsch in die Königsklasse wurde landauf, landab von ambitionierten Mittelklassevereinen als Vorbild angeführt und „Gladbach hat es vorgemacht“ zum geflügelten Wort. Auch in Köln. Nur: Nach zehn Spielrunden (und heißt es nicht oft, ab dann habe die Tabelle allmählich Aussagekraft?) sind es die Kölner, die sich anschicken, die Rolle des einstigen Vorbilds zu übernehmen: punktgleich mit Dortmund auf Rang 6, dabei zwei Punkte hinter dem dritten Platz, der am Saisonende die direkte Champions League-Qualifikation bedeuten würde. Erreicht durch viele der von Eberl beschworenen und eigentlich eher un-kölscher Tugenden: Ruhe, Realismus, bedächtige Aufbauarbeit. Die Borussia dagegen ist zurzeit Vorbild nur für Masochisten. Ob aber der dauerhafte Absturz droht oder nur eine kleine Leistungsdelle zu überstehen ist, hängt von der Geschichte ab, die man sich erzählt.

Wie so oft, konkurrieren auch bezüglich Borussia verschiedene Erzählungen, die sich zwar widersprechen, von denen jede aber einigermaßen plausibel mit den Fakten in Einklang zu bringen ist. Erzählung eins: der Triumph der Kontinuität. Nach dieser Lesart setzte Borussias Abschied vom Fahrstuhlclub ein, als man sich für klare Leitplanken entschied und in der Krise dem Hire-and-Fire auf der Trainerposition entsagte. Der Weg, so diese Erzählung, war ein harter und dorniger, führte an den Abgründen des Abstiegskampfes vorbei, wo die geifernden Monster der „Initiative“ hausen, am Ende aber doch auf die lichten Almen des Erfolgs. Im Moment, so geht die Geschichte weiter, ist mal wieder eine kleine Durststrecke zu durchstehen, aber ein Rückfall in den panischen Aktionismus früherer Jahre wäre das Dümmste, was man nun tun könnte. Hat man nicht über viele Jahre leidvoll erfahren, wohin das den Club führt? Und begann der Aufstieg nicht erst dann, als Kontinuität vom Lippenbekenntnis zur auch gegen Widerstände gelebten Praxis wurde?

Erzählung zwei erkennt Parallelen zur letzten Saison unter Michael Frontzeck. In ihr hat Borussias Sportdirektor mit seinem allzu langen Festhalten an einem sichtlich ratlosen Trainer Borussia um ein Haar in eine schwere Krise geführt. Ohne den Glücksfall Lucien Favre und dessen sensationelle Aufholjagd, hätte das Prinzip „Kontinuität um jeden Preis“ in die zweite Liga geführt. Diese Erzählung erkennt Parallelen zwischen Favres Vorgänger und Nachfolger. Wie unter Frontzeck werden Verletzungssorgen überbetont, was zumindest öffentlich eine ehrliche Analyse auch der eigenen Versäumnisse verhindert. Borussia, so endet die Geschichte, wäre gut beraten, die Fehler von damals nicht zu widerholen, sondern den Mut haben, zur Not auch frühzeitig personelle Konsequenzen zu ziehen. Zu lange zu warten, wäre gefährlich. Nothelfer des Kalibers eines Lucien Favre findet man nicht jedes Mal.

Welche dieser Geschichten in den kommenden Wochen lauter erzählt wird, hängt nicht unwesentlich vom Ausgang des rheinischen Derbys ab. Rechnerisch mag ja richtig sein, dass es auch für dieses Spiel nur drei Punkte gibt. Aber psychologisch betrachtet, eignet es sich zum Schlüsselspiel. Beim Gegner kennt man das. Peter Stöger wurde unlängst vom Boulevard befragt, ob es angesichts der Kölner Historie nicht unglaublich sei, dass er nie wirklich in Frage gestellt wurde. Stöger verwies auf zwei, drei Situationen, in denen genau diese Diskussion eingesetzt hätte, wenn nicht jeweils zum richtigen Moment der Befreiungsschlag gelungen werde. Auf einen solchen wartet die Borussia seit fünf sieglosen Spielen und das rheinische Derby wäre ein idealer Zeitpunkt.

Personell entspannt sich allmählich die Gladbacher Lage: Nach Raffael und Hazard kehren auch Traoré und Christensen zurück. Neben den länger verletzten Herrmann und Dominguez fehlt allerdings auch der gesperrte Kramer. Weil auch Marvin Schulz noch nicht bereit ist, führt im Mittelfeld kaum ein Weg am Duo Strobl-Dahoud vorbei, es sei denn André Schubert zieht Christensen ins Mittelfeld. Der Trainer variiert ja gern. Den Vorwurf, durch zu viel Flexibilisierung die Mannschaft überfordert und damit verunsichert zu haben, wies er aber in den letzten Tagen zurück. Man solle keine Gründe suchen, wo keine seien; schließlich seien die Spieler nicht dümmer geworden.

Bei den Kölnern hingegen regiert - teils aus Überzeugung, teils mangels internationaler Einsätze, die zur Rotation zwingen würden -  das Prinzip personelle Kontinuität auch auf dem Platz. Stöger variiert zwar situativ und bei Bedarf auch während einer laufenden Partie durchaus zwischen Dreier- und Viererkette, setzt sonst aber auf ein festes Stammpotenzial. Gegen Ingolstadt, Bayern und Hertha zum Beispiel stand auf dem Spielberichtsbogen dreimal hintereinander die gleiche Kölner Startaufstellung. Bei den Gladbachern war das diese Saison noch nie der Fall. Zählt man die Feldspieler im Kader, die, inklusive Einwechslungen, in allen Partien oder in allen bis auf eine zum Einsatz kamen, so kommt man in Köln auf die Zahl zehn, bei der Borussia auf sechs.

Am Samstag wird Stöger aber gezwungen sein, auf einer wichtigen Position für Diskontinuität zu sorgen: Torwart Timo Horn fällt verletzt aus. Über seine Stellvertretung hüllte sich Stöger länger in Schweigen, hat sich nun aber auf den erfahrenen Thomas Kessler statt des zehn Jahre jüngeren Sven Müller festgelegt. Ein zweiter Schlüsselspieler soll am Samstag aber spielen können: Dass Anthony Modeste zuletzt beim Training fehlte, sei, so Stöger, eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen. Der Angreifer, schon letzte Spielzeit mit fünfzehn Treffern erfolgreichster Kölner, ist mit elf Toren aus zehn Spielen das, was man im Fußball gern die Lebensversicherung seines Teams nennt. Modeste ist ein Mann für Tore wie aus dem Nichts und mit Kopf und Fuß gleichermaßen gefährlich. Gern agiert er am Rande des Abseits, aus welcher Position er, aus dem Mittelfeld per Steilpass geschickt, urplötzlich in Lücken auftaucht, die die gegnerische Abwehr geschlossen wähnte. Wie man ihn durch kluges Ins-Abseits-Stellen egalisieren kann, zeigten am letzten Spieltag eindrucksvoll die Frankfurter, die Modeste so weitgehend aus dem Spiel und dem Kölner Angriff damit seinen Stachel nahmen. Ohne Risiko ist die Strategie freilich nicht: Ingolstadt fiel damit auf die Nase, weil der Schiedsricher-Assistent eine Abseitsstellung Modestes beim Kölner Führungstor übersah.

Überhaupt spielte beim aktuellen Kölner Ergebnis- und Tabellenhoch neben viel ernsthafter Arbeit bisweilen auch eine gute Portion Glück eine Rolle. Das war in München so, als die Bayern es versäumten, ihre drückende Überlegenheit in mehr als nur einen Treffer umzusetzen. Modestes Ausgleich stellte die Partie auf den Kopf, erwies sich für die Kölner aber als Knotenlöser: Am Ende schnupperte das Stöger-Termin gar am Sieg. Andererseits zeigte der FC gegen den Hamburger SV, wie man sich das Glück auch nachträglich verdient. Gegen tief stehende Hanseaten fiel den Kölnern lange wenig ein. Erst nach dem Glücksfall einer Hamburger Tätlichkeit kippte die Partie. Nun aber demonstrierte der FC, wie man eine Überzahl klug ausspielt. An dieser Aufgabe war die Borussia gegen den gleichen Gegner bekanntlich gescheitert. Auch so ein Punkt, wo die Kölner im Moment eher zum Vorbild taugen als die Borussia.

Aufstellungen:

Borussia M'gladbach: Sommer – Elvedi, Christensen, Vestergaard – Strobl, Dahoud – Traoré, Wendt – Stindl – Raffael, Hazard

1. FC Köln: Kessler – Sörensen, Mavraj, Heintz, Hector – Lehmann, Höger – Risse, Rausch – Osako, Modeste.

Schiedsrichter: Manuel Gräfe.

Assistenten: Christoph Bornhorst, Markus Sinn.

Vierter Offizieller: Harm Osmers.

 

SEITENWAHL-Meinung:

Christoph Clausen: Das 1:1 nach einem intensivem Kampfspiel taugt weder für Aufbruchstimmung noch für eine klare Zäsur. Die Diskussionen gehen weiter.

Michael Heinen: Die Fohlenelf wirkte zuletzt verunsichert und trifft jetzt auf einen gut gestarteten Gegner, der mit viel Selbstbewußtsein anreist. Normalerweise wären dies denkbar schlechte Voraussetzungen, die auf eine frustrierende Heimpleite hindeuten. Zum Glück ist das Derby aber kein normales Spiel. In einer Partie mit wenigen Höhepunkten setzt sich Borussia am langen Ende mit 1:0 durch.

Volkhard Patten: Es ist Derby. Alles andere als ein klarer Sieg wird nicht akzeptiert. Köln wird nach dem 0:5 den Beginn einer Krise erleben, die erst mit der Rückkehr von Horn beendet wird.

Christian Spoo: Ein frühes Tor für Borussia führt buchstäblich zu einer Explosion der Emotionen und des Leistungsvermögens. Köln fährt mit einer Packung nach Hause. 5:1 für Borussia.

Claus-Dieter Mayer: Das Derby ist genau der Schuss Adrenalin, den die Borussia brauchte. In einem intensiven Spiel gelingt mit einem 3:1 Sieg der ersehnte Befreiungsschlag.

Thomas Häcki: Ja. Pfui. Sowas tut man nicht. Die Verunsicherung im Team ist allerdings bereits zu tief festgesetzt, dass man auch gegen eine taktisch und konzeptionell gut eingespielte Mannschaft wie Köln wenig Antworten hat. Die Borussia beginnt stark, zweifelt aber im Verlauf der Begegnung zunehmend an sich selbst, wirkt ratlos und verliert am Ende 0:1. Das danach der Baum schon vor Weihnachten brennt, versteht sich von selbst.