Auch wenn wir hier bei Seitenwahl ansonsten ja für unsere knochentrockene Sachlichkeit berühmt sind, kann dieser Artikel nicht ohne einen gewissen persönlichen Bezug vefasst werden. Regelmäβige Besucher dieser Seiten wissen vermutlich, dass ich seit nun mehr schon 16 Jahren in Schottland lebe. Oft wird man gefragt, ob man Deutschland nicht vermisse und die Antwort ist dann immer so etwas zögerlich: naja, die Freunde und Familie schon manchmal, ah und Brot, manchmal auch eine Currywurst, aber wenn ich ganz ehrlich bin ist das eine was ich wirklich sehr vermisst habe all die Jahre die Borussia. Besonders schlimm war es zu Beginn, als nach toller Aufholjagd im ersten Zweitligajahr der Aufstieg am Ende doch verpasst wurde und ich mit dem Gefühl emigrierte, dass ich dabei meinen Verein im Stich lasse.

 Aber ich hatte diesen Traum: eines Tages wird mein Verein in meine neue Heimat kommen und zwar zu einem richtig wichtigem Spiel. Jahrelang schien das sehr unwahrscheinlich. Zwei Freundschaftsspiele gegen Rangers (2005) und Celtic (2013) waren ein kleiner Trost, aber nicht das Wahre. Gestern jedoch wurde der Traum endlich wahr: Celtic gegen Gladbach in der Champions League!

Und so schlug das Herz schon ein bisschen schneller als der Bus sich aus der Glasgower Innenstadt an zahlreichen grün-weiss dekorierten Pubs vorbei zum Stadion bewegte und dann endlich der Celtic Park erschien: “PARADISE” stand dort in grossen Lettern und so fühlte es sich für  mich auch an. Neben Vorfreude gab es aber auch jede Menge Zweifel. Nicht nur dass die Borussia im Jahr 2016 bislang extrem auswärtsschwach agierte, sondern mit Raffael, Hazard, Johnson und Christensen fehlten auch gleich 4 Stammspieler. Noch hinzu ist der Celtic Park berühmt für seine Atmosphäre, die die Spieler wie auch die mitgereisten Fans dann auch zu spüren bekamen. “You’’ll never walk alone” verursachte die erwartete Gänsehaut, aber es waren die Momente kurz danach unmittelbar vor Anpfiff die besonders Eindruck hinterliessen. Es war kein Gesang, es war kein Skandieren von “Celtic”, es war der Celtic “roar”, ein animalisches Geräusch, ähnlich einem Löwengebrüll, welches von über 50 000 Celtic Anhängern gleichzeitig ausgestossen, selbst die abgebrühten Journalisten neben mir auf der Pressetribüne sprachlos machte. Ich hatte noch nie einen solchen Geräuschpegel vor einem Spiel erlebt und einem konnte Angst und Bange werden wie die Mannschaft wohl auf diese Stimmung reagieren würde.

Die Sorge war gänzlich unbegründet. Von Beginn an fand die Schuberttruppe ins Spiel, kombinierte zügig und sicher und kam auch gleich zu kleineren Chancen. Defensiv stand die neuformierte Viererkette bis auf wenige Ausnahmen sehr sicher, so dass man spätestens mitte der ersten Halbzeit das Spiel fest im Griff hatte. Strobl und Kramer auf der Doppelsechs harmonierten sehr gut und gewannen immer wieder entscheidene Zweikämpfe, über die schnelle Gegenangriffe eingeleitet werden konnten.  Versuchten die Glaswegians es dann mal mit hohen Bällen war der hühnenhafte Vestergaard zur Stelle. Besonderes Lob verdient auch Kapitän Stindl, der vorne unermüdlich rochierte um Anspielstation zu sein, und dann oft durchaus bedrängt es immer wieder schaffte gefährliche Angriffe zu initiieren.

Stindl war es dann auch, der in der 57. Minute die Gladbacher Fans mit dem Führungstreffer erlöste, nach dem Touré, den Ball im 5-Meter-Raum gegen Hahn vertändelt hatte. Der in der ersten Halbzeit noch so starke Touré war dann auch unfreiwilliger Helfer beim 2:0 als er erst den Ball im Mittelfeld weggab und dann Hahn letztendlich noch half die Kugel ins Tor zu befördern – aus meiner Sicht  ein Eigentor, aber der unermüdliche Hahn hat es auf jeden Fall auch verdient den Treffer auf sein Konto zu verbuchen.

Danach war es die pure Party bei den Gästefans, die auch dadurch nicht verdorben werden konnte, dass Ansagen auf gebrochenem Deutsch sie baten, nach dem Spiel im Block zu verharren und alle Toilettengänge bis zur 75. Minute abgeschlossen zu haben.

Die Aussichtslage der Borussia hat sich mit diesem souveränen Sieg auf jeden Fall drastisch verbessert. Schon mit einem Unentschiedem gegen Celtic zu Hause wäre man vermutlich für die KO-Phase der EL qualifiziert. Bei einem Sieg und einer gleichzeitigen Heimniederlage Man Citys gegen Barcelona, hätte man gar die Aussicht auf eine Endspiel um Platz 2 gegen Guardiolas Mannen, eine Aussicht, die gestern nachmittag noch absurd erschien.

“Zieht den Bayern die Lederhosen aus!” schallte es zum Schluss durch den sich schnell leerenden Celtic Park, denn allen mitgereisten Fans war klar, dass dies nicht das letzte und auch nicht das schwerste Auswärtsspiel der Woche sein würde. Der nächste Gegner aus München kam zwar in der Bundesliga zuletzt nur zu zwei Unentschieden gegen Köln und Frankfurt, fertigte aber gestern abend im Parallelspiel den PSV Eindhoven mühelos mit 4:1 ab, so dass man sich in Mönchengladbach nicht auf die “Bayern-Krise” verlassen sollte. Auch die Tatsache, dass man in den vergangenen 5 Jahren nur ein einziges Mal punktlos aus der Allianz-Arena ging, ist keine Garantie, dass dies am Samstag wieder so sein wird. Andererseits hat die Borussia mit der gestrigen Leistung absolut keinen Grund vor dem Rekordmeister in Ehrfurcht zu erstarren.

Für Trainer Schubert stellt sich die Frage ob er wie üblich rotieren sollte oder eher die erfolgreiche Mannschaft von Glasgow belohnt. Fällt Christensen weiterhin aus, so bietet sich das zumindest defensiv an. Sowohl Viererkette als auch Doppelsechs haben ihre Sache in Glasgow sehr gut gemacht, so dass es eigentlich wenig Grund gibt da viel zu ändern. Offensiv wären Johnson, Raffael oder Hazard sicher Optionen insofern sie wieder einsatzbereit sein sollten.

Was den Gegner aus München angeht, so halten wir das kurz: da werden 11 Weltklassespieler auf dem Platz stehen, von denen sich die Borussia keinen vermutlich jemals leisten können wird und die nach der Papierform den VFL eigentlich vom Platz fegen müssten. Dass  sie das aber seit Jahren nicht geschafft haben, gehört zu den Dingen, die den Fuβball so schön machen. Vielleicht hätten sich die Gladbacher Spieler bei ihrem Besuch in Schottland ein Buch des berühmten Edinburgher Schriftstellers Robert Louis Stevenson kaufen sollen und zwar “Dr. Jekyll und Mr. Hyde”. Genau wie jener Doktor zwischen seiner guten eigentlichen Persönlichkeit und der bösen Verwandlung in Mr. Hyde, welche ein Medikament bewirkt,, wechselt, so wechselt auch die Borussia dieser Tage zwischen toll (Leverkusen, Bremen, Celtic) und Horror (Freiburg, Manchester, Schalke). Sollten wir am Samstag Borussia Jekyll erleben ist auch in München einiges drin; tritt dort aber der VFL Hyde auf, kann es auch was auf die Mütze geben.

 

Eventuelle Aufstellungen:

Borussia: Sommer-Korb, Elvedi, Vestergaard, Wendt – Strobl, Kramer – Johnson, Traoré – Stindl, Hahn

Bayern: Neuer- Lahm, Boateng, Hummels, Alaba – Martinez, Alonso, Thiago – Robben, Lewandowski, Costa

 

Seitenwahl-Prognose:

Claus-Dieter Mayer: Die Beine sind zu müde für den ganz groβen Wurf, aber wieder einmal schafft die Borussia es die Bayern zu frustrieren, die mit dem 1:1 den Unentschieden-Hattrick in der Liga vollenden.

Christian Spoo: Zuletzt konnte man in München immer etwas mitnehmen. Diesmal beendet Bayern seine kleine Durststrecke und gewinnt locker mit 4:0 gegen überforderte Borussen.

Uwe Pirl: Kann Borussia die Form aus Glasgow auch gegen einen stärkeren Gegner halten? Dauert das Gladbach-Trauma der Bayern an? Sind die Bayern nach dem Sieg gegen Eindhoven eher etwas entspannter oder erst recht heiß? Nichts ist sicher. Ich bleibe optimistisch und denke, dass wir gut aussehen und mit einem 1:1 auch etwas mitnehmen.

Michael Heinen: Mit der Leistung vom Mittwoch ist die Fohlenelf auch in München nicht chancenlos. Es muss aber alles passen, damit dort gepunktet wird. Leider passt am Samstag nicht alles, sodass es eine 0:2-Niederlage gibt.

Christoph Clausen:Hyde. Und blöderweise kennt man bei Borussia John Finnemores "Souvenir Programme" nicht, sonst wüsste Jekyll, wie man Hyde zur Raison bringt. So unterliegt Hyde in München mit 0:3.

Volkhard Patten: Nach dem die Schotten mit Toren geizten, werden die Bayern es schaffen zu treffen. Aber nur einmal, was für einen 2:1-Auswärtserfolg sorgt.