Das ganz große Selbstbewusstsein ist nicht zu erwarten, wenn am Freitagabend Hannover 96 und Borussia Mönchengladbach aufeinandertreffen. Auf der einen Seite die schlechteste Heimmannschaft, die nur 6 Punkte in der HDI-Arena vorweisen kann und dort die letzten 7 Partien allesamt verlor. Auf der anderen Seite das drittschlechteste Auswärtsteam, das aus den letzten 8 Spielen in fremden Stadien ganze zwei Punkte mitnahm. Während diese Bilanz für die Niedersachsen so gut wie sicher den Weg in die 2. Liga ebnete, besteht bei der Fohlenelf trotz allem noch immer Hoffnung auf eine erneute Teilnahme an der Champions League. Damit dieser Traum wahr wird, müsste bei noch drei ausstehenden Auswärtspartien aber möglichst schnell die unfassbare Auswärtsphobie überwunden werden, die an längst vergessen geglaubte Zeiten aus dem vergangenen Jahrzehnt erinnert.

Damals wurde der Begriff der Auswärtsdeppen geprägt, den sich die aktuelle Spielergeneration aufgrund ihrer grandiosen Erfolge der letzten Jahre nur bedingt verdient hat. Dies umso weniger als dass zumindest die Auftritte in Wolfsburg und Gelsenkirchen zuletzt richtig stark waren. Einziges Manko: Die fehlende Effizienz kombiniert mit je zwei Unachtsamkeiten in der Defensive, die vom Gegner gnadenlos ausgenutzt wurden. Konnte hier noch von einem unglücklichen Verlauf einer ansonsten deutlich verbesserten Mannschaft die Rede sein, so war der Auftritt in Ingolstadt in der vergangenen Woche ein Armutszeugnis. Bei den unbequem zu bespielenden Schanzern ließ Borussia alles vermissen, was von einem Team mit gewissen Ambitionen erwartet werden kann. Max Eberl redete das schwache Spiel seiner Mannschaft anschließend allzu schön. Viel investiert hatten eher die Audisten, während Borussia sich allzu lethargisch seinem Schicksal ergab.

Recht hatte eher schon Hans Meyer mit seiner Einschätzung, dass einer solch jungen Mannschaft ganz naturgemäß die Konstanz fehlt, durchgehend Topniveau abzuliefern. Auftritte wie gegen die Bayern, Juventus, Sevilla, Hertha oder auch auf Schalke verdeutlichen zahlreich, welche Potentiale in dieser Fohlenelf schlummern. Daneben sind aber immer wieder auch Leistungsbrüche zu verzeichnen, die sich in dieser Saison schon zweimal über mehrere Wochen hinzogen. Umso wichtiger wird vor diesem Hintergrund die Partie in Hannover, denn es wäre verheerend für die europäischen Ambitionen des Vereins, wenn er sich jetzt noch eine dritte Krise nehmen würde. Selbst Platz 7 wäre dann noch ernsthaft in Gefahr. Sollte die jetzt schon exorbitant hohe Zahl von 12 Niederlagen noch weiter getoppt werden, darf man sich aber über ein Verpassen des internationalen Wettbewerbs nicht mehr wirklich beschweren.

Es wird spannend sein zu sehen, wie Schubert auf das zuletzt in Ingolstadt Dargebotene reagiert, das ihm ebenfalls nicht gefallen haben wird. Der zurückkehrende Raffael wird vermutlich wieder mit Thorgan Hazard und Lars Stindl das Offensivtrio bilden. Letzterer hat wesentliche Verantwortung für die Misere des Gegners, da 96 den Verlust des Leistungsträgers und Führungsspielers bis heute nicht zu kompensieren verstand. André Hahn hat hingegen beste Chancen, zunächst auf der Bank Platz zu nehmen. Immerhin behielt er zuletzt im Duell der wiedergenesenen Nationalspieler gegen Patrick Herrmann die Nase etwas überraschend vorn. Betrachtet man die Leistungen, die Herrmann in den letzten Jahren abgeliefert hat, so sollte für solch einen Qualitätsspieler auch im neuen System jederzeit ein Platz zu finden sein.

Keinen Platz in der Startelf wird Granit Xhaka aufgrund seiner erneuten Sperre finden. Nordtveit sollte an seiner Stelle ins defensive Mittelfeld vorrücken, so dass in der Dreierkette ein Platz frei wird. In Ingolstadt wechselte Schubert überraschenderweise zunächst Tony Jantschke ein und erst später Martin Hinteregger. Sollte sich diese Bevorzugung in der Startelf am Freitag fortsetzen, wäre das ein klarer Fingerzeig dafür, dass Borussia wohl eher nicht bereit sein wird, die rund 7 Mio. Ablöse zu zahlen, die Red Bull Salzburg für den Österreicher aufruft. Nach Hintereggers bisherigen Leistungen im Dress mit der Raute spricht wenig für eine feste Verpflichtung. Die Königslösung aus Borussen-Sicht wäre eine Verlängerung der Leihe um ein Jahr - eine Variante, die vom Brausekonzern aber mit recht hoher Wahrscheinlichkeit durchkreuzt werden wird.

Bei den Niedersachsen haben sich mit Almeida, Prib und Bech weitere Akteure der eh schon langen Verletztenliste hinzugefügt. Interimstrainer Stendel wird seine Mannschaft gegenüber dem erfolgreichen 2:2 in Berlin daher auf mindestens zwei Positionen umstellen müssen. Auch Manuel Schmiedebach konnte Anfang der Woche nicht trainieren. Sein Ausfall wäre ein herber Verlust für die Stabilität des defensiv ohnehin anfälligen Abstiegsfavoriten. Es ist aber mit einer rechtzeitigen Genesung zu rechnen. Ebenso kehrt Kapitän Christian Schulz zurück, der mit der ihm zugedachten Rolle als Abwehrchef im bisherigen Saisonverlauf heillos überfordert war.

Die letzten drei Heimspiele der Hannoveraner, die mit insgesamt 0:9 Toren verloren gingen, hatten allesamt ein ähnliches Muster. Hannover startete jeweils ordentlich und hielt eine Zeitlang gut mit. Gegen den 1.FC Köln war man rund 40 und gegen den HSV rund 60 Minuten das bessere Team, dem VfL Wolfsburg gab man für 35 Minuten Paroli. Danach fiel jeweils das 0:1, das faktisch einer Vorentscheidung gleich kam. Denn anschließend fiel die Mannschaft unter Thomas Schaaf regelmäßig auseinander, so dass weitere Tore und am Ende verdiente Niederlagen die logische Konsequenz waren.

In Berlin fiel das erste Gegentor gleich nach 3 Minuten und viele fürchteten, dass sich damit das Unheil fortsetzen würde. Unter Daniel Stendel raffte sich die Mannschaft aber auf, kam früh zum Ausgleich und drehte die Partie zwischenzeitlich sogar. Die Hertha tat sich mit der überraschend gut gestaffelten Defensive der Niedersachsen schwer und kam bis zur Schlussoffensive in der letzten halben Stunde nur zu wenigen Torchancen.

Stendel hatte nicht nur personell umgestellt, indem er z. B. den 19jährigen Waldemar Anton und Noah-Joel Sarenzen-Bazee zum Bundesliga-(Startelf)-Debüt verhalf. Taktisch agierte er mit zwei Viererketten, die auch Borussia das Leben schwer machen werden. Davor lauert mit Kiyotake ein technisch begnadeter Regisseur, der weite Teile der Saison verletzt ausfiel und somit nur wenig zur sportlichen Misere des Klubs beitrug. Und im Sturm darf sich mal wieder Artur Sobiech beweisen, der unter Schaaf chancenlos war und sich bei seiner Rückkehr in Berlin direkt für den wichtigen Ausgleichstreffer verantwortlich zeichnete.

Ein Spaziergang dürfte es für Gladbach somit nicht werden, denn das abgeschlagene Tabellenschlusslicht wird sich beim Heimdebüt des neuen Trainers so teuer wie möglich verkaufen wollen. Schon im Hinspiel schlug er sich beim unglücklichen 1:2 unter Wert und setzte Borussia ordentlich zu. Die Mannschaft ist nicht so schlecht wie es der Tabellen- und Punktestand suggeriert, sie steht aber auch nicht ohne Grund ganz unten. Mit einer Leistung wie in Ingolstadt wird auch in Hannover kein Blumentopf, geschweige denn ein Punktedreier zu gewinnen sein. Sofern es Borussia aber gelingt, wieder so aufzutreten wie bei den Auswärtsauftritten davor so sollte sich die spielerische Überlegenheit am Ende auszahlen. Wenn der vermeintlich leichte Gegner dann noch zu 100% ernstgenommen und nicht unterschätzt wird, sollte der erste Auswärtssieg seit dem 31. Oktober 2015 möglich sein.

Hannover: Zieler - Sakai, Milosevic, Schulz, Albornoz - Sarenzen-Bazee, Schmiedebach, Sané, Karaman - Kiyotake - Sobiech

Borussia: Sommer - Elvedi, Christensen, Hinteregger - Johnson, Dahoud, Nordtveit, Wendt - Stindl, Hazard, Raffael

SEITENWAHL-TIPPS

Michael Heinen: "Es wird schwer. Das ist klar. Trotzdem muss beim Tabellenletzten ganz einfach der Auswärtsbock umgestoßen werden. Borussia gewinnt mühsam mit 2:1."

Uwe Pirl: "Sind wir wieder Auswärtsdeppen? Oder gibt es das dritte 5:1 der Saison? Alles ist möglich! Ich glaube an die Mannschaft und daran, dass Hannover nicht halb so unbequem zu spielen ist wie Ingolstadt. Deshalb: Sieg für Borussia. 2:0."

Claus-Dieter Mayer: "Wie vor jedem Spiel gilt auch hier "die hauen wir weg!". Hannover wird nochmal alles geben, aber nach dem ersten Tor zusammenbrechen. 4:1 fuer Borussia."

Christoph Clausen: "Wenn ich bei diesmal nicht auf Auswärtssieg setze, dann diese Saison gar nicht mehr. Und ich will noch mal. Also auch diesmal: Borussia siegt mit 2:0."

Thomas Häcki: "Das vermeintlich schlechteste Team der Bundesliga empfängt die schlechteste Auswärtsmannschaft. Bei Hannover wehte zuletzt ein neuer Wind, Gladbach zeigte zuletzt den alten Mief. Insofern benötigt Hannover lediglich Kampf, um beim 1:0 die Punkte daheim zu behalten. Über CL reden wir natürlich bei beiden Teams nicht mehr."

Christian Spoo: "Sind wir so auswärtsdeppert, dass wir sogar beim sicheren Absteiger Hannover verlieren? Nein, sind wir nicht. Auch ohne Granit Xhaka gelingt der erste Auswärtssieg seit langem - und womöglich auch der letzte in dieser Saison. Borussia gewinnt 2:1."