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hamburgersv  Wer zählt nach, wie oft Borussia Mönchengladbach diese Saison schon abgestiegen ist? Zu wievielen Zeitpunkten es unwiderruflich sicher war, dass nächstes Jahr die Zweitligageographie ins Navi geladen wird? Der Autor braucht sich nur die im Archiv die Titel seiner Nachberichte anzusehen (wie z.B. "Anschluss verloren" und "vorbei"), um zwar nicht gerade sein Expertentum in Frage zu stellen (also bitte), aber um die Gefühlslage von vor vier Wochen deutlich wieder zu erleben. Und doch ist wider alle Erwartungen nur eines wahr: Wir sind noch da.


So wie sich die Entwicklung der letzten drei Spieltage einer sachlichen Analyse weitgehend entzieht, so steht es mit der Beschreibung der Lage vor dem Tag der Abrechnung. Das gibt Gelegenheit, die Blickrichtung auf etwas anderes als Punkte und Tore zu lenken. Denn wenn überall daraufhingewiesen wird, dass Favre und seine "die es nicht einsehen will" Crew noch nichts Zählbares erreicht haben, dann hat das auch nur soweit seine Richtigkeit, wie man Dinge zählen kann. Punkte und Tore eben, Tabellenplätze und Klassenzugehörigkeiten. Aber es lässt sich nicht mengen- und wertmässig erfassen, wenn die üblichen tausenden von Gladbacher Anhängern in Hannover plötzlich eine Mannschaft erleben, die ihre Anfeuerung vollständig wert ist.

Und es lässt sich schon gar nicht in irgendeiner Form quantifizieren, welche Stimmung den Borussiapark vor, während und nach dem letzten Heimspiel gegen Freiburg erfüllte. Diese Mischung aus Sehnsucht, Hoffnung und Bangen, die unter 50.000 Menschen nicht bei einem in gleicher Dosierung anliegt und doch bei allen in die gleiche Richtung weist, und die zu dieser Melange führt aus Schweissausbruch und Gänsehaut, die dennoch keine Salmonellenvergiftung anzeigt. Dass es überhaupt noch einmal zu so einer Situation kam, ist Favres Verdienst, jenseits aller Tabellenplätze.

Es lässt sich also nicht alles in Zahlen begreifen und nicht einmal in Worte fassen. Vielleicht ist das ja das Geheimnis, wie ein offizieller und amtlicher Absteiger am letzten Spieltag noch einmal handfeste Ansprüche auf den Klassenerhalt anmelden kann: Es braucht einfach nur ein Wunder, mehr nicht, und die sind ja konkreter Erfassungen abhold. Der Klassenerhalt der Borussen vor zwei Jahren gilt als ein Wunder, die Rettung von vor 13 Jahren unter Gladbacher Fans als DAS Wunder. Und beide Fälle stehen im Kriterium "totale Aussichtslosigkeit" hinter der Aufholjagd dieses Jahres. Es dürfte in der Bundesliga noch nicht vorgekommen sein, dass ein Tabellenletzter des 30. Spieltages eine Siegesserie startet, die den designierten Meister und den Tabellendritten einschliesst. Und die damit zu einer fast verrückten Zuversicht bei den Gladbachern führt, denn wo so viele Wunder nacheinander geschehen, ist das nächste Wunder ja nur eine Folgerichtigkeit. Wenn es nicht einträte, wäre es schon fast ein Wunder.

Ein bisschen erinnert die Stimmungslage an das jährlich wiederkehrende Wunder von San Gennaro in Neapel. Dort wird der gläubigen Menge ein Fläschchen mit dem Blut des Heiligen gezeigt, das sich regelmässig genau dann verflüssigt. Der Schriftsteller Luciano de Crescenzo ist davon überzeugt, dass nur die spirituelle Intensität von 60.000 Neapolitanern und ihr Glaube dieses Wunder bewirken ("bei 60.000 Mailändern würde sich gar nichts tun"). Die Formel lautet also: Wir glauben daran, dass das Wunder geschieht, und weil wir daran glauben, geschieht es, und weil es geschieht, glauben wir daran. Und es funktioniert ungefähr in der 600. Saison.

Ja, es stimmt: Der VFL Borussia Mönchengladbach kann am Samstag um 17.15 ein Zweitligist sein, ohne Wenn und Aber und Relegation. Vielleicht zerplatzen am Samstag nachmittag alle Hoffnungen und alle Zuversicht war umsonst. Dazu würde allerdings gehören, dass die restlos zerfallenden Frankfurter Dortmund auswärts schlagen und das wäre ein veritables Wunder.
 
Darum, liebe Fans von Borussia Mönchengladbach, entzündet eine Kerze vor dem Gedächtnisbild von Hennes Weisweiler und glaubt.


Der Gegner aus Hamburg

Fernab von allem metaphysischem und von Wundern trifft man auf den Hamburger Sportverein. Die letzten beiden Jahre waren in ihren Aufbruchzeiten von grossen Namen und grossen Hoffnungen geprägt und anschliessend von grosser Enttäuschung. Ein 7. Tabellenplatz mag den meisten Mannschaften nicht wie eine Katastrophe aussehen; wenn die Clubs davor aber Hannover, Mainz und Nürnberg heissen, ist eine Truppe um einen Ruud van Nistelrooy hinter den Erwartungen.

Kein Wunder also, dass letzterer farbig darüber klagt, dass er nicht zu dem Verein zurückkehren durfte, der ihn einst nicht mehr haben wollte. Auch Ze Roberto, dessen Verpflichtung durchaus ein Erfolg war, macht sein letztes Spiel für den HSV. Der Knackpunkt war die Laufzeit des nächsten Vertrages - wegen dieses Details war er einst nicht in München geblieben. Und auch der Abstieg des Lokalrivalen aus St. Pauli heilt die Narbe nicht, die die Niederlage im Derby gebracht hat. Als Folge davon riss der Bruch zwischen Vereinsführung und den einflussreichen Fanvertretern noch weiter auf; der Zwist an allen inneren Fronten sorgte wochenlang bundesweit für Schlagzeilen. Und nichts davon ist bisher ausgestanden.

Die Mannschaft, die sich zum Saisonende zu atomisieren scheint, hat ihren letzten Saisonsieg am 27. Spieltag eingefahren. Was erst noch wie ein Umschwung unter dem neuen Trainer Oenning aussah und mit den Unentschieden gegen Dortmund und Hannover zumindest nicht schlechter wirkte, geriet mit den Niederlagen gegen Freiburg und Stuttgart wieder aus den Fugen. Das Achtungsunentschieden in Leverkusen verhinderte noch grösseren Krach, aber die Mannschaft wirkt um nichts besser als zuvor unter Veh. Natürlich können Spieler wie Elia und van Nistelrooy und auch der beachtenswerte Son Spiele enfach mit ihrem Können entscheiden. Aber gegen einen enschlossenen Gegner, der von Anfang an das Geschehen auf dem Platz in die Hand nimmt, scheint der HSV in dieser Verfassung nicht um jeden Punkt zu kämpfen. Wenn er selbige dann abgibt, ist das jedenfalls kein Wunder.



Aufstellungen

Borussia: ter Stegen; Jantschke, Stranzl, Dante, Daems; Reus, Neustädter, Nordtveit, Arango; Hanke, Idrissou

HSV: Rost; Diekmeier, Kacar, Westermann, Aogo; Trochowski, Ze Roberto; Rincon, Son, Elia; Guerrero


SEITENWAHL-Meinung:

Michael Heinen: Selten hat Borussia in einer Saison so viele Endspiele absolvieren müssen. Da wäre es eigentlich nur folgerichtig, dass nach dem kommenden Samstag noch 2 weitere hinzukommen. Mit 1:0 schlägt man den HSV und erledigt somit seine Hausaufgaben. Da Wolfsburg gleichzeitig aber keinen Sieg zustande bringt, wird sich der Traum von der Relegation "leider" nicht erfüllen.

Thomas Häcki: Natürlich sind alle Profis. Es ist aber schon ein Unterschied, ob es um etwas geht oder nicht. Schwer vorzustellen, das man beim zweitwichtigsten Hanseverein von Deutschland bis zum letzten Atemzug kämpft. 2:0 für die Borussia plus Nichtabstiegsplatz.

Christoph Clausen: Weiter optimistisch: Borussia siegt mit 2:1 und hofft auf Hoffenheimer Schützenhilfe.

Christian Spoo: Borussia beendet die Saison mit einem Ergebnis, das man losgelöst von den Umständen durchaus als Erfolg bezeichnen könnte. Ob das 1:1 am Ende Triumph oder Drama bedeutet, entscheidet sich aber leider in Dortmund und Hoffenheim.

Christian Heimanns: Der 2:1 Sieg der Borussen sichert den 16. Tabellenplatz. Wir wohnen weiter einem Wunder in der Entstehung bei.