Nicht ganz unerwartet hat das 1:4 in Dortmund die Debatten in der Mönchengladbach-affinen Öffentlichkeit verschärft. Im Zentrum der Kritik steht – wie so oft in solchen Situationen – der Trainer, dessen Befürwortern so langsam die Argumente ausgehen. Seitenwahl hat sich seit einiger Zeit deutlich positioniert, André Schubert nicht als optimale Wahl für den Trainerposten eines ambitionierten Bundesligisten anzusehen. Die neuerliche Niederlage im Signal-Iduna-Park allein bietet aber wenig Anlass, um diese Kritik am Übungsleiter noch weiter zu verstärken. Zudem sollte jedem klar sein, dass eine solche Krisensituation immer vielschichtige Gründe hat und es zu einfach wäre, diese nur auf eine einzelne Person zu reduzieren.

Einkaufspolitik

Denn ja, selbst der zurecht unumstrittene und verdienstvolle Max Eberl hat in den vergangenen Monaten nicht immer alles richtig gemacht und muss sich dafür Kritik gefallen lassen. Bis vor einigen Jahren wurde er regelmäßig als „Einkaufsmeister“ gefeiert, dessen Transfers fast immer einschlugen. Eberl und sein Team zeichneten sich dadurch aus, oft schneller und schlauer zu sein als der Rest. So stachen sie bei Max Kruse z. B. die ebenfalls für ihr Transfergeschick berüchtigten Dortmunder aus. Auf ähnliche Weise waren sie bei André Hahn schneller als die Konkurrenz. Raffael wurde den Schalkern abgeknüpft, die für läppische 5 Mio. Euro hätten zuschlagen können. Hierzulande weitgehend unbekannte Spieler wie Dominguez, Christensen oder Reus entdeckten Borussias Scouts vor so vielen anderen und trugen so maßgeblich zum Aufschwung der vergangenen Jahre bei. Ein Verein, der wirtschaftlich gegenüber der Konkurrenz benachteiligt ist, muss dies durch Schnelligkeit und gutes Auge ausgleichen. Und zwar permanent über Jahre hinweg. Man frage z. B. nach in Bremen, wo dies sehr lange funktionierte und wo vieles zusammenbrach als das Einkaufsgeschick nachließ.

Noch sind die jüngsten Transfers von Eberl weit entfernt von der Allofschen Spätphase an der Weser. Mit Lars Stindl oder auch Tobias Strobl hat Eberl in den letzten Jahren weiter sinnvoll eingekauft. Die Bilanz war aber zuletzt „nur noch“ ordentlich. Der letzte große Transfercoup, mit dem die Branche überrascht wurde, war die Leihe von Andreas Christensen. Demgegenüber stehen aber zunehmende Flops, als die sich bislang z. B. Drmic, Hofmann oder auch N. Schulz erwiesen haben. Ob sich Talente wie der leider verletzte Doucouré oder Benes noch so entwickeln wie erhofft, bleibt abzuwarten. Für die letzten Spielzeiten gilt aber nicht mehr wie in den Jahren zuvor, dass Borussia die regelmäßigen Abgänge ihrer Topspieler auf gleichem Niveau kompensieren konnte. Die Behauptung, Borussia habe aktuell „den besten Kader aller Zeiten“ lässt sich so nicht aufrecht erhalten.

Führungspersönlichkeiten

Hinzu kommt, dass es Borussia nicht gelungen ist, das Führungsvakuum zu füllen, das durch die Abgänge vor dieser Saison entstanden ist. Mit Xhaka, Stranzl, Brouwers und Nordtveit verließen vier Typen den Verein, die diesen über Jahre hinweg auf und neben dem Platz geprägt hatten. Selbst wenn mit Vestergaard, Stindl und Kramer in den letzten Jahren Akteure hinzugekommen sind, die ebenfalls eine leitende Rolle für sich beanspruchen. Es ist unvermeidlich, dass sich bei solch gravierenden Veränderungen die Hierarchien verändern. Ein Kramer ist ein gänzlich anderer Typ als Xhaka, Vestergaard ist kein Stranzl. Dies ist den beiden Neuzugängen nicht anzulasten. Es belastet aber die Situation, wie auch Eberl nach der Dortmund-Pleite anführte. In Zeiten des Misserfolgs ist es für eine jede Gemeinschaft schwierig, gesunde Hierarchien zu bilden. Es wird eine große Herausforderung für Trainer, Sportdirektor, aber insbesondere auch für die Mannschaft selbst, diese Entwicklung aus sich selbst heraus zu bewerkstelligen.

Einbrüche in der zweiten Halbzeit

Die unübersehbare Tatsache, dass Borussia nach dem Seitenwechsel regelmäßig nachlässt und oftmals kraftlos wirkt, kann zum Teil ebenfalls mit solchen Führungsproblemen erklärt werden. Wenn die Kräfte nachlassen, können es manchmal 1-2 Spieler sein, die den Rest antreiben und mitziehen. Momentan ist auf dem Platz aber niemand zu erkennen, der dieser Rolle – so wie Xhaka oder Stranzl zuvor – gerecht werden könnte. Christoph Kramer müht sich redlich, fällt aber eher durch Verlangsamung des Spiels auf als durch dessen Antrieb. Mo Dahoud ist offensichtlich noch nicht reif, diese Rolle anzunehmen. Jannik Vestergaard ist als Neuzugang und zudem ebenfalls relativ junger Spieler gleichermaßen überfordert mit einer solch gewichtigen Funktion.

Daneben muss aber hinterfragt werden, ob es nicht auch konditionelle Defizite im Team gibt. Dies könnte durch den Abgang des Fitnesstrainers erklärt werden oder z. B. durch eine suboptimale Trainingsdosierung. Von außen fällt es schwer, so etwas zu bewerten. Der Verein intern wird sich dieser Analyse aber stellen müssen.

Verletztenmisere

Dabei sollte er dann gleich noch die Verletztensituation mit einbeziehen, die sich in den letzten beiden Jahren vehement verschärft hat. Die zunehmende Anzahl an Muskelverletzungen ist zu hinterfragen, denn bei aller Breite, die der Kader inzwischen aufweist: Der Ausfall von gleich mehreren Stammspielern ist in der Bundesliga nur vom FC Bayern ohne größere Qualitätseinbuße zu verkraften.

Abschlussschwäche

Nachdem inzwischen aber Raffael und Hazard wieder fit sind, ist die Verletzungswelle zumindest für die Offensive keine hinreichende Erklärung für die teils eklatanten Abschlussschwächen. Mit den beiden genannten, aber auch mit einem André Hahn verfügt Borussia über einige Spieler, die ihre Torgefahr bereits unter Beweis gestellt haben. Es wird im Winter zu überlegen sein, ob ein weiterer Knipser verpflichtet werden sollte. Allermindestens als Joker scheint dies Sinn zu machen. Borussia verfügt insgesamt aber auch jetzt schon über so viel Offensivqualität, dass sie in Normalform ganz automatisch zu Torchancen und in Folge dessen zu Toren kommen sollten. Dass dies in der bisherigen Saison kaum funktioniert, dürfte primär psychologische Gründe haben.

Verunsicherung

Denn vorne wie hinten wirkt die Mannschaft in diesen Tagen zutiefst verstört und wenig eingespielt. In Einzelaktionen blitzt immer wieder mal die individuelle Klasse auf. Als Mannschaft agiert die Fohlenelf aber nur noch sehr selten so genial wie es in den vergangenen Jahren vielfach Standard war. Die ständigen Positions- und Systemwechsel wurden an dieser Stelle bereits mehrfach kritisiert. Und da muss dann zwangsläufig doch wieder der Trainer mit in die Betrachtung hineingenommen werden. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum er aus den Erfahrungen nicht lernt, sondern seinen Traum von der perfekten Flexibilisierung konsequent weiterträumt. Defensive Stabilität ist in Zeiten wie diesen die Grundvoraussetzung, um sich aus der Misere zu befreien. Die Kontinuität, die auf dem Trainerposten so vehement beschworen wird, scheint auf dem Platz aktuell keine so große Rolle zu spielen. Es spricht viel dafür, dass es andersherum zielführender wäre. Die Mannschaft muss wieder geordnete Mechanismen lernen, damit sie als Mannschaft agiert und nicht wie ein hilfloser Haufen begabter Einzelkicker. Gelingt dies nicht, nützt das schönste Potential nicht, denn andere Vereine mit deutlich beschränkteren Möglichkeiten wie Köln oder Freiburg können ihre Qualitätsdefizite über die Teamleistung mehr als nur kompensieren.

Schönrederei

Selbst derzeit noch schwächere Teams wie Darmstadt, Bremen oder Ingolstadt haben den Vorteil, dass sie von Saisonbeginn an den Abstiegskampf einkalkuliert und sich gemeinsam auf dieses Ziel eingeschworen haben. Gerade in der heißen Endphase einer Saison kann so etwas Kräfte mobilisieren, die verunsicherte Teams oftmals nicht haben, die sich eigentlich für viel zu stark für die unteren Tabellenränge halten. Man frage nach in Stuttgart oder Hamburg. Von daher sollte Borussia die Situation als 13. mit 13 Punkten und 13 Toren nach 13 Spieltagen sehr ernst nehmen und auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Eine zunehmend realistische Eventualität ist nämlich, dass die Mannschaft in den Abstiegskampf dieser Saison sehr ernsthaft mit einbezogen wird.

Da ist es wenig hilfreich, wenn ein Christoph Kramer nach dem Dortmund-Debakel verniedlichend von einer „Phase“ spricht, in der man sich aktuell befände. Sämtliche Kritik an Mannschaft und Trainer als überzogene Erwartungshaltung eines verwöhnten Publikums abzutun, ist ebenso kontraproduktiv und lenkt ab von den eigentlichen Problemen. Niemand erwartet, dass Borussia ein Abonnement auf die Champions League hat. So schade es wäre, dass sich die schönen Auswärtstouren durch Europa in der kommenden Saison nicht wiederholen: Es ist wohl jedem klar, dass Gladbach in einem schwächeren Jahr ins Mittelmaß zurückrutschen kann. Schlimmeres sollte aber in jedem Fall abgewendet werden.

Und nicht minder wichtig ist der Blick auf die mittelfristige Perspektive. Die im Text angesprochenen Problemfelder – und sicherlich noch einige mehr – sind vereinsintern selbstkritisch und schonungslos zu analysieren, damit für die Zukunft die richtigen Schlüsse gezogen werden können. Eine mehrjährige Platzierung im Bundesliga-Mittelmaß wäre angesichts der Vereinshistorie der letzten Jahrzehnte kein Drama und würde von den allermeisten Fans verschmerzt werden. Es wäre aber trotzdem eine verpasste Chance auf ein Etablieren im oberen Drittel der Bundesligatabelle und ein Verspielen der hervorragenden Ausgangsposition, die sich der Verein in den letzten Jahren mit seiner überragenden Arbeit aufgebaut hat.

Wie sehr sich der Verein auf seine Fans verlassen kann und dass diese alles andere als dumm sind, sondern ein feines Gespür für die Situation haben, bewies die tolle Reaktion nach der frustrierenden Niederlage im Signal-Iduna-Park. Diese Gemeinschaft zeichnet den Verein aus und hebt ihn ab von so vielen Konkurrenten. Diese trotz allem positive Grundstimmung sollte genutzt werden, um in den letzten drei Meisterschaftsspielen dieses Jahres gegen Vereine auf Augenhöhe wieder zu punkten, um noch halbwegs gesichert in den Weihnachtsurlaub gehen zu können. Unabhängig vom Ausgang dieser Partien muss im Winter aber vieles auf den Prüfstand gestellt werden, was in diesem Jahr 2016 falsch gelaufen ist. Eine Bundesliga-Bilanz mit bislang 11 Siegen und 13 Niederlagen kann selbst bei gebremster Erwartungshaltung nicht den Ansprüchen des Vereins genügen.