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Welch ein Glück, dass der dritte Platz schon vor dem Anpfiff sicher war. Es wäre so borussisch gewesen. Man stelle es sich vor: Nach einem 1:1 in Bremen hätte den Gladbachern noch ein letzter, mickriger Punkt gefehlt, um endlich in die Königsklasse einzuziehen. Man wäre auch in Führung gegangen. Und dann der große Auftritt von Michael Weiner. Was hätte man sich hinterher über den Platzverweis gegen Havard Nordtveit ereifern können. Lucien Favre drückte es mit „hart“ sehr höflich aus. Doch aller Ärger hätte nichts genutzt.

Das Spiel wäre gekippt, dank dieser roten Karte und eines Sonntagsschusses. Vielleicht hätte Leverkusen, von diesem Spielstand informiert, in Frankfurt doch noch einmal alle Kräfte mobilisiert. Und gewonnen, durch einen zweifelhaften Freistoß von Calhanoglou und ein Abseitstor von Kießling. Wie hätte man hinterher gehadert mit jener Szene kurz vor Schluss, als Johnson frei vor Hitz den Ball nicht aufs Tor brachte. Wie sehr sich die Haare gerauft darüber, dass Yann Sommer, dem überragenden Keeper dieser Saison, ausgerechnet in diesem alles entscheidenden Spiel ein haltbarer Lupfer durch die Hände geglitten war. Es wäre so borussisch gewesen. Ein weiteres Kapitel in jenem dicken Buch von der Gladbacher Ästhetik des Scheiterns. In diesem Buch hätte Schiedsrichter Weiner seinen Platz neben Boninsegna und van der Kroft eingenommen.

Alles Konjunktiv. In der Borussenchronik wird Weiners Fehlgriff nicht mal eine Fußnote wert sein. Die Gladbacher brachen in dieser Saison mit allen Negativserien und schlechten Gewohnheiten. Sie kündeten auch den Pakt mit dem Pech auf. Unaufgeregt, wie selbstverständlich, schlugen sie Leverkusen und Bremen. Das letzte Saisonspiel hatte nur noch statistischen Wert. So entzündeten sich hinterher die hitzigsten Diskussionen auch darüber, ob Lucien Favre nicht die verdienten Kämpen Thorben Marx und Filip Daems ein letztes Mal hätte einwechseln sollen. Oder ob solches angesichts des Spielstandes und der Bedeutung des Ergebnisses für den Gegner und dessen Konkurrenz als Guardioleske Stillosigkeit hätte gewertet werden können.

Herzzerreißendes Scheitern gab es am letzten Spieltag anderswo. In Paderborn und beim SC Freiburg. Letzterer erlitt ein Schicksal, das leidgeprüften Borussenfans so vertraut ist. In Hamburg hatten die Freiburger lange Zeit das Spiel beherrscht, 1:0 geführt und beste Chancen zum zweiten Tor ausgelassen. Und hatten in der Nachspielzeit ein Gegentor kassiert, das selbst der so notorisch schiedsrichterfreundliche „kicker“ ohne Einschränkung als irregulär bezeichnet hatte. Es sollte am Ende dieses Tor sein, das dem SC den direkten Abstieg bescherte und dem HSV erneut den Ausweg Relegation eröffnete. Mit freundlicher Mithilfe lust- und charakterloser Schalker. Solche Seelenpein kennt man in Gladbach gut.

„Geld schießt eben doch Tore“, schloss resigniert André Breitenreiter aus dem Ausgang des Abstiegskampfes. Er hat Recht, zu 92% jedenfalls. Die Zahl stammt von britischen Ökonomen, die in einer Langzeitstudie den Zusammenhang zwischen Finanzkraft und sportlichem Erfolg in der Premier League untersuchten. Ergebnis: Ablösesummen spielen zwar eine geringere Rolle, als man meinen könnte. Aber aus der Rangfolge der gezahlten Spielergehälter lässt sich zu 92% die sportliche Abschlusstabelle vorhersagen. So einfach und so traurig ist das.

Die Gladbacher Hoffnung liegt in den verbleibenden 8%. Dort hat sich die Borussia diese Saison festgebissen und viel zahlungskräftigere Konkurrenten überflügelt. Und dies nicht nur aufgrund deren Schwäche, sondern aufgrund eigener Stärke. 66 Punkte hat Lucien Favres Mannschaft geholt. Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel vor 19 Jahren reichte das fast immer für Platz 3. Zwei Ausnahmen gibt es, mehr nicht. Umgekehrt: In 9 dieser 19 Jahre reichten 66 Punkte zur Vizemeisterschaft. Ganz zu schweigen, von jener Saison, in der die Bayern mit nur 63 Punkten deutscher Meister wurden. Wir müssen also dieses eine Mal Max Eberl widersprechen: „Wenn Bayern, Schalke, Dortmund, Wolfsburg und Leverkusen es gut machen, dann werden wir mit der gleichen Arbeit, die wir jetzt abliefern, Sechster. Und das wäre übrigens auch ein tolles Ergebnis.“ Den zweiten Satz sollte sich jeder Borussenfan an die Wand hängen und dreimal täglich wiederholen. Den ersten widerlegen die Zahlen. Wer 66 Punkte holt, zieht nicht etwa nur in die Champions League ein, weil die Konkurrenz schwächelt. 66 Punkte sind uneingeschränkt königsklassenreif.

Dennoch hat Eberl natürlich Recht damit, die Erwartungen zu dämpfen. Die Gladbacher Saison hat gezeigt: Ja, man kann sich in den 8% eine Nische suchen, wenn alles perfekt läuft. Wenn die Belastungssteuerung so reibungslos funktioniert wie in dieser Spielzeit, man also schwerere Verletzungen weitgehend ausschaltet. Wenn Schiedsrichterleistungen wie die Michael Weiners im Borussiapark die Ausnahme bleiben. Wenn die Mannschaft so unaufgeregt, so stabil bleibt wie in dieser Saison. Wenn das alles zusammenkommt, dann kann es selbst ohne Brauseproduzenten, Chemiewerk oder Autokonzern für die Champions League reichen. Wer aber erwartet, dass solches zur Regel wird, ist ein Dummkopf.

So verabschieden wir uns am Ende dieser Spielzeit nicht nur von Thorben Marx und Filip Daems, nicht nur von Christoph Kramer und Max Kruse. Sondern auch von einer Saisonleistung, die in dieser Perfektion vielleicht lange nicht wiederkommen wird. Und die dennoch die Voraussetzungen dafür spürbar verbessert, dass die Borussia sich dauerhaft in der oberen Tabellenhälfte einnisten und, wenn es gut läuft, europäisch spielen kann. Auf solch realistische Ziele dürften auch die Transfers der nächsten Wochen ausgerichtet sein. Alles andere wäre schalkisch. Und wer möchte schon mit Schalke tauschen?